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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 11.1906

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Heft 5
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Hoeber, Fritz: Zur Hegemonie der Architektur: historisch-kritische Skizze
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https://doi.org/10.11588/diglit.26233#0243

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ZUR HEGEMONIE DER ARCHITEKTUR.

Heidelberger Schlosses, der Otto-Heinrichsbau
und der Friedrichsbau, an! —

Der älteste Bau aber „in antikischer Manier“,
wie man es damals nannte, muß hier der Palast
des Kurfürsten Friedrich II., der in der Hofecke
zwischen den beiden großen Palästen ein-
geklemmte „gläserne Saalbau“, sein. Daselbst
noch ein wenig rhythmischer Sinn: in dem als
Sockel behandelten Untergeschosse zwei ge-
drückte Arkaden auf klotziger Säule, welch
erstere sich in den wenig in bezug auf das
Höhenverhältnis untereinander differenzierten
beiden Obergeschossen verdoppelt und ent-
sprechend kleiner, aber auch ebenso formlos
wiederholen. Aber dieselben frei und weit vor
die Wand gestellten Arkaden werfen die schönsten,
die „malerischsten“ Schatten auf jene, wenn die
Sonne im Zenit steht! —

Wie ganz anders schon der Otto-Heinrichs-
bau, der wahrscheinlich von dem niederländi-
schen Steinmetzen Anthony unter Mithilfe
mehrerer Baumeister und Bildhauer in den
Jahren 1556 bis 1559 — also zu Beginn der
klassizistischen Invasion — errichtet wurde!
Da sind zuerst, um mit der vertikalen Architek-
turgliederung zu beginnen, fünf Doppeltraveen,
d. s. pilasterumrahmte Felder mit je zwei
Fenstern und einer Figurennische dazwischen,
durch alle drei Stockwerke genommen. (Das
Erdgeschoß freilich weist noch als mittleres
Prunkstück das echt deutsche, rein malerisch-
plastische Schmuckportal auf.) In Deutschland
bildet eine solche rhythmische Travee, die höchst
architektonische Kombination: Fenster—Nische—
Fenster als in einer Ordnung geschlossenen Ein-
heit, gerade so die Ausnahme, wie in Frankreich
(Ducerceau, Ph. Delorme) und vor allem in
Italien (Bramante) die Regel. Ja, unser Er-
staunen ob dieser feinsinnigen Berechnung
wächst noch, wenn wir bemerken, daß jedes
Einzelfenster des ersten Obergeschosses mit
seinem Rahmen von Gebälkstücken oben und
unten, Pilaster auf der einen, Nische und dar-
über befindlicher Konsole auf der andern Seite,
in streng planimetrischem Sinne ein ähnliches
Rechteck bildet! Und ebensolche genaue Gesetz-
mäßigkeit in der Harmonie der horizontalen
Bauglieder! Die Stockwerkshöhen, deren Ab-
grenzung ein dorisches, ein ionisches und ein
korinthisches Gebälk (allerdings nicht akademisch
entsprechend den darunter befindlichen Kapi-
tellen) übernimmt, sind nach der sog. Serlioschen
geometrischen Reihe im Verhältnisse 3:4 ab-
gestuft; d. h. wenn das Erdgeschoß als Einheit
angenommen wird, muß das erste Obergeschoß
s/4 von dessen Höhe betragen und das zweite
Obergeschoß wieder s/4 von der Höhe des ersten;
am Otto-Heinrichsbau ist sogar noch der Sockel
des ganzen Gebäudes in diese metrische Reihe
einbezogen: er beträgt seiner Höhe nach 3/4 des
zweiten Obergeschosses. — Allein diese wunder-

bare baukünstlerische Harmonie wäre aufs
empfindlichste verletzt worden, wenn noch die
Giebel der beiden Zwerchhäuser — die übrigens
jetzt wieder stark, ob im ursprünglichen Plane
gelegen, angezweifelt werden — die Trauflinie
des Ganzen überragten, und so die ruhig lagernde
Architektur zugunsten eines spitzen Nachoben-
strebens durchbrächen! Man kann den geschmack-
vollen Kanonen Melacs nicht dankbar genug
sein, daß sie diese unlogischen Giebel wegfegten!

Die baukünstlerische Verwendung der er-
wähnten „Serlioschen Harmonie“ ist durchaus
nicht das Feinste, was man an schönen Fassaden-
horizontaldifferenzierungen kennt. Verglichen
mit der Idealarchitektur eines Palazzo Strozzi in
Florenz, welcher außer der viel empfindlicheren
Stockwerkverjüngung nach der Proportion 5:6
noch die mannigfaltigsten ästhetischen Be-
ziehungen zwischen Mauermasse und -durch-
brechung, zwischen Gesims und Stockwerk
usw. konstituiert, muß sie recht derb, handgreif-
lich-hanebüchen erscheinen! Und dennoch, ihr
so seltenes Vorkommen in deutschen Landen
überhaupt verleiht dem Otto-Heinrichsbau einen
sonderlichen tektonischen Adel, einen Adel
unter lauter Bauern, zu denen man dann,
konsequenterweise, eigentlich auch den mehr
als dreißig Jahre später entstandenen Friedrichs-
bau zu zählen hat! —

An dem prächtigen Bau des Johannes Schoch
aus Straßburg, der Heimatsstadt des südwest-
deutschen Barock nämlich ist vor allem schon
die destruktive, eben die „malerische“ Seite
des neuen Stils zu verspüren. Wohl hat noch
die innere (Hof-) Seite das vom Otto-Heinrichs-
bau übernommene System der Doppeltraveen
aufzuweisen; aber schon ist dieses an der
äußeren dem Neckartale zu gelegenen Front zu-
gunsten der einfachen Pilasterordnung auf-
gegeben. Und hier zeigt sich vor allem die ver-
änderte Stimmung: am Otto-Heinrichsbau noch
alles geometrisch-flächenhaft; am Friedrichsbau
hingegen das Relief zu gewaltigster Schatten-
wirkung gesteigert; die stark sich verjüngenden
Pilasterschwellen in lebendiger Elastizität auf
und ab ; darüber kragen die Gesimsverkröpfungen
in schneller Aufeinanderfolge sehr weit vor;
die dicht gestellten Fenster können kaum
zwischen den sie umengenden Halbpfeiler-
ordnungen Atem schöpfen! — Und derselbe
Schwung in der wagerechten Gliederung: das
entscheidende Übergewicht, welches das untere
(Sockel-) Geschoß über die beiden darüber be-
findlichen besitzt, es ist genau so hoch wie
die beiden oberen, nur wenig voneinander
unterschiedenen Stockwerke! — Trotzdem ist
auch an dieser Fassade noch eine gewisse
Abstufung in dem nach oben hin immer spar-
samer werdenden ornamentalen Dekor wahr-
zunehmen. — Und so läßt sich auch hier noch
von einer großartigen Weisheit der alles klar

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