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Zeitschrift für christliche Kunst — 12.1899

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Graeven, Hans: Ein altchristlicher Silberkasten
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https://doi.org/10.11588/diglit.3944#0017

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18lJ9. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 1.

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liehe Darstellung an der Vorderseite erwarten,
aber dann hätte der Künstler die Madonna
tiefer rücken und alle Figuren der Szene kleiner
bilden müssen, weswegen er sie lieber auf die
Rückseite verlegte.

Die Mutter Gottes sitzt auf einem vor-
nehmen mit Polster belegten Lehnstuhl, aber
ihr Haupt ist nicht vom Nimbus umgeben*
der allein der Christusfigur des Deckels vor-
behalten blieb. Der Mantel der Maria ist
wie üblich, wenn wir von wenigen älteren
Katakombenbildern absehen, über den Kopf
gezogen, da die altchristliche Sitte den Frauen
nicht gestattete, unbedeckten Hauptes vor
Männern zu erscheinen. Das Christkindlein
ist nackt, während es die Sarkophage schon
durchgehends bekleidet zeigen. Die Haupt-
verschiedenheit zwischen unserem Relief und
allen anderen Darstellungen derselben Szene
macht sich in der Gestaltung der Magier
geltend. Dafs sie nicht in der gewöhnlichen
Dreizahl erscheinen, ist weniger befremd-
lich, da auch anderswo aus Raummangel oder
gleich wie hier aus Symmetrierücksichten
von der Regel abgewichen wurde, aber überall
sonst ist den Magiern orientalische Tracht ge-
geben. Die Männer, welche hier dem Christ-
kind ihre Gaben darbringen, sind nur mit einem
Pallium bekleidet. Wie es scheint, hat der
Künstler ihren Charakter als Magier betonen
wollen und ihnen deshalb das Gewand der
griechischen Philosophen geliehen, seine Kolle-
gen dagegen haben sich an die evangelische An-
gabe gehalten, dafs die Magier aus dem Morgen-
land gekommen seien, und haben deshalb für
sie das Kostüm der Orientalen gewählt.

Die sechs Figuren, die im Hintergrund auf-
ragen, müssen, wenn sie überhaupt einen Namen
haben sollen, als Begleiter der Magier bezeichnet
werden. Die Hirten, an deren Anwesenheit
sich ebenfalls denken ljefse, wären gewifs
durch die Tracht als solche kenntlich ge-
macht. Wahrscheinlich ist, dafs der Künstler,
da zu seiner Zeit eine grofse Freiheit herrschte
hi der Verwendung von Hintergrundsfiguren,
die lediglich zur Raumfüllung dienten, sich J
selbst nicht klar gemacht hat, was die sechs
Figuren hier vorstellen sollten; daher ist auch
für uns die Frage nach ihrer Bedeutung eine
müssige.

Passende Füllfiguren bot die Szene, die
auf der angrenzenden Kastenseite zur Dar-

stellung kam, das Urtheil Salomos, dessen
Thron seine Trabanten umgeben. Der König
selbst ist nach dem Muster der damaligen
Kaiser gebildet. Constantin hat wieder be-
gonnen, den Bart zu rasiren, und seine näch-
sten Nachfolger übernahmen diese Sitte. Ihre
Porträts zeigen das starke weit in die Stirn
herabfallende und hochaufliegende Haar und
oftmals als dessen Schmuck einen edelsteinbe-
setzten Goldreifen der gleichen Form, wie ihn
Salomo trägt; auch seine Kleidung entspricht
genau der kaiserlichen, bestehend aus Schuhen
und trikotarligen Beinkleidern, aus einer Tunica
mit langen Aermeln, an deren Ansatz auf der
Schulter die Goldstickerei durch Gravirung
wiedergegeben ist, und aus einer Chlamys, die
auf der rechten Schulter durch eine Agraffe
gehalten wird. Das dem Kaiser zukommende
Szepter fehlt dem israelitischen Herrscher nicht.
Selbst an seinen Trabanten ist ein des Kaisers
Umgebung entlehnter Zug zu beobachten. Sie
tragen den Panzer, ein kurzes Mäntelchen,
einen Schild, aber keinen Helm. In antiken
Darstellungen mythologischer Stoffe pflegen
die Trabanten der Könige behelmt zu sein,
ihnen entsprechen in manchen christlichen
Bildwerken die Trabanten hinter Herodes,
hinter Saul, hinter Josua. Da aber das Ge-
folge des Kaisers bei friedlichen Aktionen un-
behelmt war, ist die Barhäuptigkeit auf die
Soldaten Salomos übertragen.

Zu Füfsen des Richters liegt das tote Kind,
in Binden eingewickelt nach Art der Mumien,
die auch für die Darstellung des Lazarus all-
gemein verwandt wurde. Auf jeder Seite steht
eine der beiden streitenden Frauen; in eifriger
Rede sind sie einander zugekehrt, die Knie
gebeugt, den Oberkörper vorlehnend; der einen
ist beim hitzigen Wortkampf der Mantel vom
Kopf herabgeglitten. Durch die Befreiung von
der lästigen Vermummung, welche die christ-
liche Kunst den weiblichen Wesen auferlegt
hat, ist gerade diese Frau zu einer der an-
muthigsten Gestalten unserer Reliefs geworden
und zeigt das Können des Silberarbeiters ' in
hellstem Lichte. Er hat in der ganzen Szene
ein treffliches Bild eines heftigen Auftritts
zwischen zwei Weibern geliefert, eine Illustration
zu dem Bibelvers (I Kön. 3. 22.) „Das andere
Weib sprach: Nicht also, mein Sohn lebt, und
dein Sohn ist todt. Jene aber sprach: Nicht
also, dein Sohn ist todt und mein Sohn lebt."
 
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