189!). _ ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST
Auf's vollkommenste sehen wir diese Grund-
sätze bei der neuesten Behandlungsart der Glas-
fenster gewahrt wie sie aufser den Engländern
und Amerikanern auch z. B. Christiansen be-
treibt. Es ist die durch wunderbare neue Glas-
flüsse unterstützte reine Mosaikkunst, neben der
die Malerei mit Schlagloth und Silbergelb, das
Dekorationsprinzip der Renaissanceglasmalerei,
m die bescheidensten Grenzen zurückgedrängt
wird. Von diesem Gesichtspunkt aus wird es
nicht so absurd erscheinen, trotz der himmel-
weiten Verschiedenheit der Zeichnung, zwischen
den nach Christiansen's Kartons ausgeführten
Fenstern von Engelbrecht und den Glasmosaik-
teppichen der Kathedrale von Chartres einen ver-
wandtschaftlichen Zusammenhang festzustellen.
Und das Gleiche wie von den Glasfenstern läfst
sich von den gewirkten Wandteppichen der
Scherrebecker Schule, von den Munch'schen
Entwürfen für Wirkerei, dasselbe von den nach
Eckmann's Zeichnungen ausgeführten Thonmo-
saiken auf Gypsgrund behaupten. Durch alle
diese gesundesten Hervorbringungen der mo-
dernen Kunst geht als gemeinsamer Zug das
Hervorheben der festen Schranken, welche der
Werkstoff und seine Bearbeitung der künstleri-
schen Darstellung setzt, also eine „Stilisirung"
mit Rücksicht auf das Material. Und diese ist
bekanntlich eins der eisernen Gesetze der frühgo-
thischen Formenwelt; weder die Spätgothik
noch die Renaissance noch auch das Rokoko
kannten diese Beschränkung, ihnen war die
virtuose Ueberwindung des Materials höchstes
Kunstgesetz.
Ist diese bis jetzt bezeichnete Verwandt-
schaft wohl nicht Jedem auf den ersten Blick
überzeugend nachzuweisen, so mufs in den Ein-
zelformen des Neueren auch den flüchtigen Beob-
achter manches geradezu frühgothische Orna-
ment überraschen. Von der Bevorzugung ein-
heimischer Blumen und Kräuter sprachen wir
bereits; die grofse Rolle, welche der stilisirte
Baum in der englischen Wanddekoration spielt,
weist auf die dem frühen Mittelalter mafsgeben-
den persischen und sasanidischen Stoffe hin.
Allerdings mufs zugegeben werden, dafs es be-
sonders England, und zwar aus den oben an-
geführten Gründen ist, bei dem wir dies aus-
gesprochene Zurückgreifen auf die gothische
Flachornamentik, diese Stilisirung im Sinne
der frühen Heraldik finden. Geringere Anklänge
an die genannte Quelle wird man in den neuen
Ornamentformen gewisser festländischer Künst-
ler bemerken. Hier hat sich eine Stilnuance
herausgebildet, für die einer unserer Altmeister
des Kunstgewerbes die nicht üble Bezeichnung
„Tentakularstil" gefunden hat. Den Fangarmen
und Tastfäden mancher niederer Thiere der
Wasserwelt gleichen diese unbestimmt langge-
zogenen, nervös zitternden Linienornaroente, die
in einer vielfachen Repetition ein weiteres Cha-
rakteristikum haben. Hier wäre nun ein ab-
solut Neues, von keiner historischen Erinnerung
beeinflufstes, und gewifs gibt es auch Leute,
die finden, dafs dies nicht sein einziger Vor-
zug ist.
Schwieriger, als beim Ornament der Fläche,
sind die Beziehungen zwischen der neuen Kunst
und der Frühgothik in den Erzeugnissen der
tektonischen Gewerbe nachzuweisen. Aber auch
hier offenbart sich dem genaueren Beobachter
manches Verwandte, besonders wenn wir die
Arbeiten einiger belgischen Künstler der radi-
kalsten Richtung, zunächst ausscheiden. Wir
gestehen gern, dafs es uns noch nicht ge-
lungen ist, in die Bildungsgesetze der Möbel,
Thüren, Einrahmungen etc. eines van den
Velden einzudringen. In den weniger will-
kürlich gezeichneten Holzarbeiten, wie wir
sie auf den Ausstellungen dieser Jahre und
in den Heften der oben genannten Zeitschriften
antrafen, den Erfindungen der v. Berlepsch,
Michael, Bertsch in München, Schwindrazheim
in Hamburg, Billing in Karlsruhe, des Schotten
Makintosh, des Holländers Cachet, der Bel-
gier Sorel und Serrurier-Bovy begegnen uns
Motive, die unzweifelhaft auf das Fundamental-
gesetz der Gothik zurückzuführen sind, die Form
des Möbels aus der Konstruktion zu entwickeln.
Allerdings häufig aus einer „ästhetischen Kon-
struktion", wie Herr v. Poellnitz diese sich nicht
nothwendig ergebenden, sondern ästhetisch auf-
gesuchten Konstruktionsmotive zutreffend be-
zeichnet. Streben, Versteifungshölzer, Konsolen.
Stützen, die bei schweren Holzarbeiten, im Zim-
merwerk und bei grofsen Thorflügeln etc. kon-
struktiv nothwendig sind, werden in etwas spie-
lender Weiseauf die leichten Formen desMobilars
übertragen. Hierdurch erhalten diese Möbel oft,
wenn auch ihren Erfindern wohl meist unbe-
wufst, eine auffallende Aehnlichkeit mit den
Holzarbeiten der Gothiker der 50er und 60er
Jahre, eines Ungewitter, Statz, Viollet, Schmidt
und Oppler. Auch der reichliche dekorative
Auf's vollkommenste sehen wir diese Grund-
sätze bei der neuesten Behandlungsart der Glas-
fenster gewahrt wie sie aufser den Engländern
und Amerikanern auch z. B. Christiansen be-
treibt. Es ist die durch wunderbare neue Glas-
flüsse unterstützte reine Mosaikkunst, neben der
die Malerei mit Schlagloth und Silbergelb, das
Dekorationsprinzip der Renaissanceglasmalerei,
m die bescheidensten Grenzen zurückgedrängt
wird. Von diesem Gesichtspunkt aus wird es
nicht so absurd erscheinen, trotz der himmel-
weiten Verschiedenheit der Zeichnung, zwischen
den nach Christiansen's Kartons ausgeführten
Fenstern von Engelbrecht und den Glasmosaik-
teppichen der Kathedrale von Chartres einen ver-
wandtschaftlichen Zusammenhang festzustellen.
Und das Gleiche wie von den Glasfenstern läfst
sich von den gewirkten Wandteppichen der
Scherrebecker Schule, von den Munch'schen
Entwürfen für Wirkerei, dasselbe von den nach
Eckmann's Zeichnungen ausgeführten Thonmo-
saiken auf Gypsgrund behaupten. Durch alle
diese gesundesten Hervorbringungen der mo-
dernen Kunst geht als gemeinsamer Zug das
Hervorheben der festen Schranken, welche der
Werkstoff und seine Bearbeitung der künstleri-
schen Darstellung setzt, also eine „Stilisirung"
mit Rücksicht auf das Material. Und diese ist
bekanntlich eins der eisernen Gesetze der frühgo-
thischen Formenwelt; weder die Spätgothik
noch die Renaissance noch auch das Rokoko
kannten diese Beschränkung, ihnen war die
virtuose Ueberwindung des Materials höchstes
Kunstgesetz.
Ist diese bis jetzt bezeichnete Verwandt-
schaft wohl nicht Jedem auf den ersten Blick
überzeugend nachzuweisen, so mufs in den Ein-
zelformen des Neueren auch den flüchtigen Beob-
achter manches geradezu frühgothische Orna-
ment überraschen. Von der Bevorzugung ein-
heimischer Blumen und Kräuter sprachen wir
bereits; die grofse Rolle, welche der stilisirte
Baum in der englischen Wanddekoration spielt,
weist auf die dem frühen Mittelalter mafsgeben-
den persischen und sasanidischen Stoffe hin.
Allerdings mufs zugegeben werden, dafs es be-
sonders England, und zwar aus den oben an-
geführten Gründen ist, bei dem wir dies aus-
gesprochene Zurückgreifen auf die gothische
Flachornamentik, diese Stilisirung im Sinne
der frühen Heraldik finden. Geringere Anklänge
an die genannte Quelle wird man in den neuen
Ornamentformen gewisser festländischer Künst-
ler bemerken. Hier hat sich eine Stilnuance
herausgebildet, für die einer unserer Altmeister
des Kunstgewerbes die nicht üble Bezeichnung
„Tentakularstil" gefunden hat. Den Fangarmen
und Tastfäden mancher niederer Thiere der
Wasserwelt gleichen diese unbestimmt langge-
zogenen, nervös zitternden Linienornaroente, die
in einer vielfachen Repetition ein weiteres Cha-
rakteristikum haben. Hier wäre nun ein ab-
solut Neues, von keiner historischen Erinnerung
beeinflufstes, und gewifs gibt es auch Leute,
die finden, dafs dies nicht sein einziger Vor-
zug ist.
Schwieriger, als beim Ornament der Fläche,
sind die Beziehungen zwischen der neuen Kunst
und der Frühgothik in den Erzeugnissen der
tektonischen Gewerbe nachzuweisen. Aber auch
hier offenbart sich dem genaueren Beobachter
manches Verwandte, besonders wenn wir die
Arbeiten einiger belgischen Künstler der radi-
kalsten Richtung, zunächst ausscheiden. Wir
gestehen gern, dafs es uns noch nicht ge-
lungen ist, in die Bildungsgesetze der Möbel,
Thüren, Einrahmungen etc. eines van den
Velden einzudringen. In den weniger will-
kürlich gezeichneten Holzarbeiten, wie wir
sie auf den Ausstellungen dieser Jahre und
in den Heften der oben genannten Zeitschriften
antrafen, den Erfindungen der v. Berlepsch,
Michael, Bertsch in München, Schwindrazheim
in Hamburg, Billing in Karlsruhe, des Schotten
Makintosh, des Holländers Cachet, der Bel-
gier Sorel und Serrurier-Bovy begegnen uns
Motive, die unzweifelhaft auf das Fundamental-
gesetz der Gothik zurückzuführen sind, die Form
des Möbels aus der Konstruktion zu entwickeln.
Allerdings häufig aus einer „ästhetischen Kon-
struktion", wie Herr v. Poellnitz diese sich nicht
nothwendig ergebenden, sondern ästhetisch auf-
gesuchten Konstruktionsmotive zutreffend be-
zeichnet. Streben, Versteifungshölzer, Konsolen.
Stützen, die bei schweren Holzarbeiten, im Zim-
merwerk und bei grofsen Thorflügeln etc. kon-
struktiv nothwendig sind, werden in etwas spie-
lender Weiseauf die leichten Formen desMobilars
übertragen. Hierdurch erhalten diese Möbel oft,
wenn auch ihren Erfindern wohl meist unbe-
wufst, eine auffallende Aehnlichkeit mit den
Holzarbeiten der Gothiker der 50er und 60er
Jahre, eines Ungewitter, Statz, Viollet, Schmidt
und Oppler. Auch der reichliche dekorative