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Zeitschrift für christliche Kunst — 12.1899

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Bertram, Adolf: Zur Kritik der ältesten Nachrichten über den Dombau zu Hildesheim, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3944#0102

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151

1899.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 5.

152

der Fall ist, unter sich und mit dem Chore zu
einem ganz einheitlichen Räume so vollkommen
verschmolzen sind, dafs sie als Joche Eines
Schiffes sich an ein-
ander reihen.

Der Altar der Ma-
rienkapelle lag unter-
halb des Chores Alt-
frids; die Fundatio
sagt nicht: genau unter
dem Choraltare; sie
hebt es nicht als Eigen-
art hervor, dafs diese
beiden Altäre über

einander gelegen
hätten; sie redet all-
gemeiner: sanciuario
inferius situm. Bedenkt
man, dafs der erste Dom
ganz getrennt südlich
neben der Kapelle ge-
legen, und dafs im
Gegensatz dazu eine
Verbindung, ein An-
schlufs des neuen Do-
mes an die Kapelle
berichtet wird, so hat
das „sanctuario inferius
situm" auch dann noch

vernünftigen Sinn,
wenn der Kapellen-
raum mit seinem
.eigenen Altare unter
Altfrids Chore vortrat,
so dafs er nun in
Wahrheitals Anhängsel
(adhaerens), und die
Unterkirche in Wirk-
lichkeit als „doppelte"
untere Kirche er-
schien. Wie oft sagen
wir noch heute von
einem tief gelegenen
Anbaue, der unter dem
Osttheile eines hohen
monumentalen Bau-
werkes vorspringt: er
„liegt unterhalb" des
Osttheils des Hauptgebäudes. — Altfrids Chor
galt, mochte er baulich auch nur auf dem West-
theile der unteren Doppelkirche (also auf der
eigentlichen Altfrid-Krypta) liegen, doch als

Abb. 2. Grundrifs der Domkrypta in Hildesheim

seit ihrer Vollendung im XII. Jahrh.,

bestehend aus:

. Vierungsquadrat (Rest der Altfrids-Krypta), mit 2 westlichen
Treppen (1, 1) zum Mittelschiff des Domes und 2 — mut-
masslich später angelegten — seitlichen Treppen (m, m) zum
Querhaus des Domes; in der Mitte (f) dio Grabstatt St. Godo-
hards (|10;i8); die Westwand öffnet sich (n) zur Confossio
des Krouzaltares.

. Chorquadrat, mutlunasslich Anbau des Bischofs Hezilo
(t 1079); darin als älteste Grabstatt (h) das Grab des Bischofs
Adelog (j- 1190); b und e der spätere Standort der Seiten-
altäre, die bis 1046 im Westtheile der Gruft (Altfrids Krypta)
gestanden; unter h—k—c das Fundament der geradlinigen
Schlussmauer des Hezilo-Domes.

. Apsis, erbaut im XII. Jahrb., mit dem alsdann neu ange-
legten Hauptaltar (a) der Krypta. An der Aussenwand (o)
der tausendjährige Rosenstock. (Vgl. Abb. 1.)

Oberbau der ganzen Unterkirche überhaupt,
deren Glieder ja schon durch die Einheitlich-
keit des unteren Hauptaltares liturgisch zu-
sammengehörten, wie
sie baulich verbunden
waren. Wollte also die
Fundatio — in der wir
übrigens hier nicht die
Präcision der tech-
nischen Ausdrucks-
weise des Architekten,
sondern die sehr ge-
drängte, knappe Rede-
weise eines Chronisten
finden — das ganz neu
geschaffene örtliche
Verhältnifs (situm erat)
zwischen einem sol-
chen Oberbau und
einem aufsen „adhäri-
renden" Altarraume
der unteren Doppel-
kirche erzählen, so
durfte sie ganz wohl
sagen: sanctuario super-
imposito altare sacelli
inferius situm erat; das
heifst: der Wunderaltar,
früher entfernt vom
Domegelegen, war jetzt
unter den Domchor
getreten, der als Ober-
bau die untere Doppel-
kirche überragte.

Um die Fundatio
richtig zu verstehen,
müssen wir uns in die
Situation versetzen,
welche der Chronist bei
ihrer Abfassung vor
Augen hatte. Die
Krypta des Domes,
wie sie heute gestaltet
ist (vergl. Abb. 2) und
wie sie im Wesent-
lichen 1061 aus Hezi-
lo's Hand hervorging,
ist ein ganz einheit-
licher Raum. Es wird kaum jemand einfallen,
diese Domgruft als eine „doppelte Unter-
kirche" zu bezeichnen. Mag auch das geschulte
Auge des Archäologen und Architekten die
 
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