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1899. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 7.
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den täglich wiederkehrenden heiligsten Hand-
lungen.
Nach der Fundatio war Altfrid's Unterkirche
eine crypta duplex gewesen, indem der eigent-
lichen Krypta Altfrid's die Ludwig'sche Marien-
kapelle adhärirte. Mit dieser eigenartigen An-
lage einer doppelten Unterkirche räumte Hezilo
auf; er schuf die eine, einheitliche Krypta, die
wir noch heute besitzen. Wie geschah dieser
Umbau? Wie oben erwiesen, gehört in der
Krypta das Vierungsquadrat dem Baue Altfrid's
an; in dem als Verlängerung vor dieselbe
duplex erat) eine einheitliche Krypta dadurch,
dafs er das Schiff der Altfrid-Krypta um ein
Quadrat verlängerte und durch die geradlinige
Schlufswand Gruft und Chor einheitlich ab-
schlofs; der noch übrige Theil der Ludwig'-
schen Kapelle, die ehedem östlich „adhärirte",
blieb aufserhalb dieser Mauer und damit abge-
schnitten von Krypta und Chor.8) Was mit
diesem Kapellenreste geschehen sollte, blieb
späterer Entschliefsung überlassen. — Ist diese
Auffassung richtig, so erreichte Hezilo mit
seinem Umbaue eine Vergröfserung der (eigent-
Abb. 5. Der alte Thurm der Andreaskirche in Hildesheien.
tretenden Chorquadrate aber weisen die Ab-
weichungen in Fluchtlinie, Mauerstärke und
Gewölbebildung auf eine andere Zeit hin; ins-
besondere weisen die bei der Restaurations-
arbeit 1896 nur in diesem Quadrate (sowie in
der Apsis) aufgedeckten Reste der Längs- und
Quergurten auf das XI. Jahrh.; denn seit dem
XI. Jahrh. ward in Deutschland die Begrenzung
der Kreuzgewölbe durch vorspringende Gurten
heimisch.7) Es ist darum gewifs wahrscheinlich,
dafs dieser Theil dem Umbau Hezilo's ange-
hörte. Hezilo gab demnach dem Dome statt
der ehemaligen doppelten Unterkirche (prius
7) Dehio und v. Bezold S. 458.
Abb. 6. Domthurm in Minden.
liehen) Altfrid-Krypta und damit eine mäfsige
Vergröfserung des Altfrid-Chores. — Eine solche
Entwicklung wird jeder, der das Raumbedürf-
nifs des liturgischen Chordienstes aus Erfahrung
kennt, als wahrscheinlicher und natürlicher er-
kennen, als die Annahme, Altfrid's kleiner Chor
sei nach zwei Jahrhunderten durch einen unserer
8) Extra sanetuarium, extra cryptam (Fundatio p. 16).
Sanctuarium = Chor. Während das Sanetuarium beim
Dome zu Lund einen sakristeiartigen Nebenraum
bezeichnete (Seesselberg »Die früh-mittelalterliche
Baukunst« S. 119 f.), bezeichnet dieses Wort beim
Hildesheimer Dome in der Fundatio überall das öst-
liche oder westliche Heiligthum als Haupttheil der
Kathedrale, also den Chor.
1899. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 7.
214
den täglich wiederkehrenden heiligsten Hand-
lungen.
Nach der Fundatio war Altfrid's Unterkirche
eine crypta duplex gewesen, indem der eigent-
lichen Krypta Altfrid's die Ludwig'sche Marien-
kapelle adhärirte. Mit dieser eigenartigen An-
lage einer doppelten Unterkirche räumte Hezilo
auf; er schuf die eine, einheitliche Krypta, die
wir noch heute besitzen. Wie geschah dieser
Umbau? Wie oben erwiesen, gehört in der
Krypta das Vierungsquadrat dem Baue Altfrid's
an; in dem als Verlängerung vor dieselbe
duplex erat) eine einheitliche Krypta dadurch,
dafs er das Schiff der Altfrid-Krypta um ein
Quadrat verlängerte und durch die geradlinige
Schlufswand Gruft und Chor einheitlich ab-
schlofs; der noch übrige Theil der Ludwig'-
schen Kapelle, die ehedem östlich „adhärirte",
blieb aufserhalb dieser Mauer und damit abge-
schnitten von Krypta und Chor.8) Was mit
diesem Kapellenreste geschehen sollte, blieb
späterer Entschliefsung überlassen. — Ist diese
Auffassung richtig, so erreichte Hezilo mit
seinem Umbaue eine Vergröfserung der (eigent-
Abb. 5. Der alte Thurm der Andreaskirche in Hildesheien.
tretenden Chorquadrate aber weisen die Ab-
weichungen in Fluchtlinie, Mauerstärke und
Gewölbebildung auf eine andere Zeit hin; ins-
besondere weisen die bei der Restaurations-
arbeit 1896 nur in diesem Quadrate (sowie in
der Apsis) aufgedeckten Reste der Längs- und
Quergurten auf das XI. Jahrh.; denn seit dem
XI. Jahrh. ward in Deutschland die Begrenzung
der Kreuzgewölbe durch vorspringende Gurten
heimisch.7) Es ist darum gewifs wahrscheinlich,
dafs dieser Theil dem Umbau Hezilo's ange-
hörte. Hezilo gab demnach dem Dome statt
der ehemaligen doppelten Unterkirche (prius
7) Dehio und v. Bezold S. 458.
Abb. 6. Domthurm in Minden.
liehen) Altfrid-Krypta und damit eine mäfsige
Vergröfserung des Altfrid-Chores. — Eine solche
Entwicklung wird jeder, der das Raumbedürf-
nifs des liturgischen Chordienstes aus Erfahrung
kennt, als wahrscheinlicher und natürlicher er-
kennen, als die Annahme, Altfrid's kleiner Chor
sei nach zwei Jahrhunderten durch einen unserer
8) Extra sanetuarium, extra cryptam (Fundatio p. 16).
Sanctuarium = Chor. Während das Sanetuarium beim
Dome zu Lund einen sakristeiartigen Nebenraum
bezeichnete (Seesselberg »Die früh-mittelalterliche
Baukunst« S. 119 f.), bezeichnet dieses Wort beim
Hildesheimer Dome in der Fundatio überall das öst-
liche oder westliche Heiligthum als Haupttheil der
Kathedrale, also den Chor.