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1899. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 9.
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her leicht zu beschaffen war. Bezüglich dieser
Gedenksteine macht Schröder Wahrnehmungen
und Schlüsse, die für die Geschichte der mittel-
alterlichen Epitaphik sehr zu beachten sind und
unter geänderten Verhältnissen auch anderwärts
ihre Bestätigung finden können. Er unter-
scheidet zwischen der Grabplatte, einem in den
Estrich eingelassenen Monolith, der Nachfol-
gerin der altchristlichen Loculusplatte und des
Sarkophagdeckels — diese Form weisen die
sämmtlichen Denkmäler von dem Jahre 1347
auf —: und zwischen dem Epitaph, einem in
die Wand eingefügten Bild- oder Inschrift-
steine. Das älteste Epitaph stammt aus dem
eben genannten Jahre 1347. Von dieser Zeit
an ungefähr bis zur Mitte des XVI. Jahrh.
kommen dann beide Denkmalarten an ein und
demselben Grabe zugleich vor, bis die Epita-
phien allmählich über die Grabplatten obsiegten.
Seit 1651 finden sich nur mehr Epitaphien.
Wie haben wir uns nun den Entwicklungsgang
von der Grabplatte zum Epitaph hin zu denken?
Etwa in der Weise, dafs sich letzteres allmäh-
lich aus dem ursprünglichen Grabverschlusse
herausstellte, indem die Grabplatte selbst in die
Wand eingelassen wurde? Diese Uebung findet
sich thatsächlich gegen den Ausgang des
XV. Jahrh. Sie geht vielleicht mit auf Rech-
nung des fortschreitenden Humanismus, dessen
Adepten anstatt ihr wohlgetroffenes Bild den
Füfsen der Darüberhinwegschreitenden zu unter-
breiten, lieber dieses erhalten und sich darin
verewigt wufsten. Nach Schröder's Meinung
ist der Entwicklungsgang der Epitaphien ein
anderer und zwar selbstständiger. Was er Epi-
taph nennt, das habe vormals keine direkte
Beziehung zu einem Begräbnisse besessen. „Das
Epitaphium ist nicht ursprünglich als Erinne-
rungsstein gedacht; vielmehr verdankt es seine
Entstehung der Absicht einer frommen Stiftung.
Zur Ehre Gottes und der Heiligen und zur
Zierde des geweihten Raumes stellte man an
den Wänden Bildwerke auf, die im Laufe der
Entwicklung (erst) auch als Gedenksteine für
die Stifter dienten. Die Entstehungsweise der
Epitaphien gibt sich deutlich kund in jenen
frühen Wandskulpturen, welche gänzlich ohne
Inschrift geblieben od,er blos mit dem Namen
des Stifters, nicht auch mit dem Todesdatum
versehen sind; sie verräth sich überdies in dem
Mangel eines äufseren Zusammenhangs zwischen
Skulptur und Inschrift bei einigen älteren Exem-
plaren. Umgekehrt vermag diese Hypothese
der Thatsache gerecht zu werden, dafs gerade
bei Epitaphien die Todesdaten erst nachträg-
lich ergänzt wurden, wodurch sich das betref-
fende Bild als Stiftung bei Lebzeiten zu er-
kennen gibt; und namentlich erklärt sich aus
diesem ursprünglichen Charakter der Epitaphien
als frommer Stiftungen der an sich auffallende
Umstand, dafs die Epitaphien des Mittelalters
durch den Gegenstand ihrer Darstellungen, von
verschwindenden Ausnahmen abgesehen, gar
keinen Bezug nehmen auf den Tod oder das
Leben nach dem Tode oder die Auferstehung,
sondern sich als Andachtsbilder von beliebigem
Vorwurf zu erkennen geben." Nachmals haben
sich dann derlei Bildwerke zu Denkmälern für
Verstorbene entwickelt, wozu der Ort der Auf-
stellung, der Wunsch der Stifter, in ihrer Nähe
bestattet zu werden, und schliefslich wohl auch
eine verbilligende Art der Denkmalserstellung
das Ihrige beitrugen.
Die ikonographische Entwicklung der Grab-
platte und des Epitaphs verfolgt Schröder mit
statistischer Genauigkeit. Heben wir daraus
die wesentlichen Züge hervor, so halten sich
das XIV. Jahrh. hindurch auf den Grabplatten
für Geistliche Darstellungen von Halbfiguren
in Medaillons mit solchen von Ganzfiguren das
Gleichgewicht. Im XV. Jahrh. verschwinden
erstere ganz gegenüber den nunmehr stets
plastischer gebildeten Reliefdarstellungen der
ganzen Figur, der zu Füfsen das Wappen bei-
gegeben ist, während die Legende am Rande
der Platte hinläuft. Die Laienmonumente zeigen
nur Wappen als Füllung und Randumschrift.
Vom XVI. Jahrh. an verdrängt auf den Grab-
platten von Geistlichen und Laien die Inschrift
die Umschrift, als plastischer Schmuck wird bei
beiden Ständen nur mehr das Wappen ver-
wendet
Ein viel abwechslungsreicheres Feld der
Thätigkeit eröffnete sich der Bildnerei bei den
Epitaphien. Dieselben erscheinen in einer Menge
von Variationen, wenn auch die weitaus über-
wiegende Mehrzahl bis zum Beginne des XVI.
Jahrh. hin die Darstellung der Gottesmutter
zum Gegenstande hat. Vielfach sind die vor
Maria und dem göttlichen Kinde knieenden
Stifter von ihren Patronen begleitet. Humanis-
mus und Reformation machen sich aber von
jetzt an deutlich fühlbar. Nicht nur begegnen
jetzt Darstellungen, welche ohne irgend welchen
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her leicht zu beschaffen war. Bezüglich dieser
Gedenksteine macht Schröder Wahrnehmungen
und Schlüsse, die für die Geschichte der mittel-
alterlichen Epitaphik sehr zu beachten sind und
unter geänderten Verhältnissen auch anderwärts
ihre Bestätigung finden können. Er unter-
scheidet zwischen der Grabplatte, einem in den
Estrich eingelassenen Monolith, der Nachfol-
gerin der altchristlichen Loculusplatte und des
Sarkophagdeckels — diese Form weisen die
sämmtlichen Denkmäler von dem Jahre 1347
auf —: und zwischen dem Epitaph, einem in
die Wand eingefügten Bild- oder Inschrift-
steine. Das älteste Epitaph stammt aus dem
eben genannten Jahre 1347. Von dieser Zeit
an ungefähr bis zur Mitte des XVI. Jahrh.
kommen dann beide Denkmalarten an ein und
demselben Grabe zugleich vor, bis die Epita-
phien allmählich über die Grabplatten obsiegten.
Seit 1651 finden sich nur mehr Epitaphien.
Wie haben wir uns nun den Entwicklungsgang
von der Grabplatte zum Epitaph hin zu denken?
Etwa in der Weise, dafs sich letzteres allmäh-
lich aus dem ursprünglichen Grabverschlusse
herausstellte, indem die Grabplatte selbst in die
Wand eingelassen wurde? Diese Uebung findet
sich thatsächlich gegen den Ausgang des
XV. Jahrh. Sie geht vielleicht mit auf Rech-
nung des fortschreitenden Humanismus, dessen
Adepten anstatt ihr wohlgetroffenes Bild den
Füfsen der Darüberhinwegschreitenden zu unter-
breiten, lieber dieses erhalten und sich darin
verewigt wufsten. Nach Schröder's Meinung
ist der Entwicklungsgang der Epitaphien ein
anderer und zwar selbstständiger. Was er Epi-
taph nennt, das habe vormals keine direkte
Beziehung zu einem Begräbnisse besessen. „Das
Epitaphium ist nicht ursprünglich als Erinne-
rungsstein gedacht; vielmehr verdankt es seine
Entstehung der Absicht einer frommen Stiftung.
Zur Ehre Gottes und der Heiligen und zur
Zierde des geweihten Raumes stellte man an
den Wänden Bildwerke auf, die im Laufe der
Entwicklung (erst) auch als Gedenksteine für
die Stifter dienten. Die Entstehungsweise der
Epitaphien gibt sich deutlich kund in jenen
frühen Wandskulpturen, welche gänzlich ohne
Inschrift geblieben od,er blos mit dem Namen
des Stifters, nicht auch mit dem Todesdatum
versehen sind; sie verräth sich überdies in dem
Mangel eines äufseren Zusammenhangs zwischen
Skulptur und Inschrift bei einigen älteren Exem-
plaren. Umgekehrt vermag diese Hypothese
der Thatsache gerecht zu werden, dafs gerade
bei Epitaphien die Todesdaten erst nachträg-
lich ergänzt wurden, wodurch sich das betref-
fende Bild als Stiftung bei Lebzeiten zu er-
kennen gibt; und namentlich erklärt sich aus
diesem ursprünglichen Charakter der Epitaphien
als frommer Stiftungen der an sich auffallende
Umstand, dafs die Epitaphien des Mittelalters
durch den Gegenstand ihrer Darstellungen, von
verschwindenden Ausnahmen abgesehen, gar
keinen Bezug nehmen auf den Tod oder das
Leben nach dem Tode oder die Auferstehung,
sondern sich als Andachtsbilder von beliebigem
Vorwurf zu erkennen geben." Nachmals haben
sich dann derlei Bildwerke zu Denkmälern für
Verstorbene entwickelt, wozu der Ort der Auf-
stellung, der Wunsch der Stifter, in ihrer Nähe
bestattet zu werden, und schliefslich wohl auch
eine verbilligende Art der Denkmalserstellung
das Ihrige beitrugen.
Die ikonographische Entwicklung der Grab-
platte und des Epitaphs verfolgt Schröder mit
statistischer Genauigkeit. Heben wir daraus
die wesentlichen Züge hervor, so halten sich
das XIV. Jahrh. hindurch auf den Grabplatten
für Geistliche Darstellungen von Halbfiguren
in Medaillons mit solchen von Ganzfiguren das
Gleichgewicht. Im XV. Jahrh. verschwinden
erstere ganz gegenüber den nunmehr stets
plastischer gebildeten Reliefdarstellungen der
ganzen Figur, der zu Füfsen das Wappen bei-
gegeben ist, während die Legende am Rande
der Platte hinläuft. Die Laienmonumente zeigen
nur Wappen als Füllung und Randumschrift.
Vom XVI. Jahrh. an verdrängt auf den Grab-
platten von Geistlichen und Laien die Inschrift
die Umschrift, als plastischer Schmuck wird bei
beiden Ständen nur mehr das Wappen ver-
wendet
Ein viel abwechslungsreicheres Feld der
Thätigkeit eröffnete sich der Bildnerei bei den
Epitaphien. Dieselben erscheinen in einer Menge
von Variationen, wenn auch die weitaus über-
wiegende Mehrzahl bis zum Beginne des XVI.
Jahrh. hin die Darstellung der Gottesmutter
zum Gegenstande hat. Vielfach sind die vor
Maria und dem göttlichen Kinde knieenden
Stifter von ihren Patronen begleitet. Humanis-
mus und Reformation machen sich aber von
jetzt an deutlich fühlbar. Nicht nur begegnen
jetzt Darstellungen, welche ohne irgend welchen