Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für christliche Kunst — 12.1899

DOI Artikel:
Braun, Joseph: Die sogen. Dalmatik des hl. Lambertus in der Liebfrauenkirche zu Maestricht
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.3944#0242

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
381

1899. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 12.

382

(-{• ca. 708) aus. In seiner Geschichte der »litur-
gischen Gewänder« (Bd. II, S. 276) meint Bock
ähnlich: „Eine stoffreiche Dalmatik von hohem
Alter .... bewahrt heute noch der Schatz der
Liebfrauenkirche zu Maestricht und berichtet
eine ziemlich glaubwürdige Tradition, dafs dieser
merkwürdige Ornat dem hl. Lambert angehört
habe. Derselbe besteht aus einem höchst inter-
essanten gemusterten Byssusstoff, dessen Dessins
für das hohe Alter des Gewandes beweisführend
sein dürften." Hingegen bezeichnet ein Inventar
aus dem Jahre 1818 das Gewand als „Super-
pelliceum S. Lamberti Episcopi et Martyris."
Dasselbe thut auch schon ein älteres Ver-
zeichnifs der Reliquien der Liebfrauenkirche,
das in einer Kopie aus dem Beginn des
XVII. Jahrh. vorliegt.

Ein Superpelliceurh des Heiligen ist das Ge-
wand jedenfalls nicht gewesen. Denn die
Superpelliceen sind erst in relativ recht junger
Zeit in Gebrauch gekommen. Zu Lebzeiten
des hl. Lambertus, also Ende des VII. Jahrh.
kannte man sie noch nicht. Aus diesem Grunde
nennen denn auch wohl Bock und Willemsen
das Gewandstück Dalmatik des hl. Lambertus.
In der That könnte die Tunika mit weit mehr
Recht als dessen Dalmatik, denn als sein Super-
pelliceum bezeichnet werden. Wenigstens hat
sie die weiten Aermel, welche der alten Dalmatik
eigen waren. Allerdings fehlen ihr die purpurnen
Streifen (clavi), mit denen dieselbe verziert zu
sein pflegte. Dagegen bildet es keine Schwierig-
keit, dafs unser Gewand aus einem Seidenstoff
besteht. Denn die dem hl. Germanus von Paris
zugeschriebene, jedenfalls aber vor der karo-
lingischen Reform entstandene Mefserklärung
sagt ausdrücklich, dafs die diakonale Tunika
des gallicanischen Ritus aus Seide oder Wolle
gemacht werde. Aber hat das Gewand über-
haupt dem hl. Lambertus angehört? Ich möchte
das keineswegs einfach verneinen; ob indessen
eine unbestimmte und unbestimmbare Tradition
und die nicht einmal zutreffende Angabe zweier
Inventare aus recht später Zeit wirklich einen
genügenden Anhalt bieten, die Tunika dem
Heiligen zuzuweisen?

Es gibt eine Reihe von Ornatstiicken, welche
gewissen Heiligen zugeschrieben werden, ohne
indessen von denselben herzurühren. Dahin
gehören z. B. die seiner Zeit in dieser Zeit-
schrift besprochene Sixtuskasel im bischöflichen
Museum zu Münster und die ebenfalls in der-

selben behandelten Paramente zu Kastei S. Elia,
ferner die Kasel des hl. Johannes Angeloptus
zu Ravenna, eine Schöpfung des XI. oder
XII. Jahrh., die Dalmatik Karls d. Gr., die, wie
ich in Heft 10 des Jahrganges 1898 der »Stimmen
aus Maria- Laach« nachgewiesen habe, weder mit
dem grofsen Karl etwas zu thun hat, noch
überhaupt die Ehre hat, Kaiserdalmatik genannt
werden zu können.3)

Dafs auch nur in einem dieser Fälle eine
absichtliche Täuschung vorliege, dafür habe
ich nicht den geringsten Anhalt gefunden; auch
berechtigen diese unechten Gewandstücke keines-
wegs, schlechthin alle Ornatstücke des Mittel-
alters, die Heiligen zugeschrieben werden, als
unecht zu bezeichnen und die diesbezüglichen
Traditionen in Zweifel zu ziehen. Sie mahnen
aber zur Vorsicht und heifsen insbesondere auf
die Eigenthümlichkeiten in der Form und Be-
schaffenheit solcher Gewänder achten, da sich
aus ihnen gewöhnlich ein mehr oder minder
sicheres Urtheil über deren Alter bilden läfst.

Leider läfst uns in unserm Falle dieses
Hülfsmittel so ziemlich im Stich. Nur soviel
läfst sich aus dem Stoff des Gewandes schliefsen
dafs wir in ihm eine orientalische Arbeit vor
uns haben. Jedoch läfst sich nicht erkennen
ob es ursprünglich für einen kirchlichen Zweck
bestimmt gewesen, oder erst nachträglich dazu
verwendet worden sei. Auch über das Alter
der Tunika erhalten wir aus seiner Beschaffen-
heit keinen befriedigenden Aufschlufs. Die
Dalmatiken hatten eine Form, wie sie unserm
Ornatstück eignet, bis ins XII. Jahrh., später
aber gleichen die Superpelliceen bis ins
XVII. Jahrh. hinein in der Form vielfach bis
auf ein Haar unserer Tunika. Was ferner
die Musterung des Stoffes anlangt, so möchte
man vielleicht denselben aus einem gewissen
Stilgefühl dem XII. Jahrh. zuschreiben; allein
das Stilgefühl ist nicht immer zuverlässig,
am wenigsten aber, wo es an parallelen oder
verwandten Bildungen fehlt. Endlich ist die
Technik, welche bei Herstellung des Gewebes
angewandt wurde zwar eine so hochentwickelte,
dafs man dasselbe ungern in das VII. Jahrh.
versetzen möchte. Indessen wird man schwer-
lich behaupten können, es sei die Anfertigung
des Stoffes für jene Zeit schlechthin unmög-

3) Vgl. auch meine Arbeit »Die pontifikalen Ge-
wänder des Abendlandes c S. 16 (Mitren), S. 67 (Hand-
schuhe), S. 104 (Pontifikalschuhe).
 
Annotationen