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Antiquitäten-Zeitung — 6.1898

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Nr. 14 (6. April)
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https://doi.org/10.11588/diglit.61938#0109
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Herausgegeben unter Mitwirkung bewährter Fachleute von Josef Laut in Stuttgart, Reinsburgstr. 44, Verlagsbuchhandlung und Buchdrucker«.

Zentral-OrganfürSammelwesen,
Versteigerungen und Alterthumskunde.

Verbürgte
Auflage 5000.

Verbürgte
Auflage 5000.
Offizielles Organ des Vereins zur Erbauung eines „Deutschen Reichsmuseums" in Stuttgart.

Nr. 14

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Die Nonpareillezeile oder deren
Raum SO Pfg., Auktionen 30 Pfg.

Abonnement:
Deutschland u. Oesterreich 2.S0
vierteljährlich, Ausland s.—

Stuttgart, «. April 18S8
(Erscheint wöchentlich.)

i 6» Jahrgang.

Die Wissenschaften sind Gemeingut, weil das Denken
Gemeingut ist, und das Denken aus der Quelle des Wissens


Roeoeo.*)

Wenn uns von Großmutters oder Urgroßvaters
Hausrath etwas in die Hände fällt, wenn wir einen
reich verzierten Altar, ein monumentales Portal sehen,
welche nicht die gröbsten Merkmale des Romanischen,
der Gothik oder der Renaissance an sich tragen, so
hören wir nur zu oft als Bezeichnung einer Stilrichtung
-für diese Objekte. — „Rococo!"
Diese Bezeichnung hatte am Anfänge dieses Jahr-
hunderts noch Berechtigung, als den meisten Kunst-
berufenen die geraden Linien und strengen Pendants
(Gegenstücke), einerseits der Renaissance, anderseits der
Empire- (Kaiser-) Periode noch zu sehr in Fleisch und
Blut steckte und die neue, resp. verflossene, sich von
allem Herkömmlichen befreiende Stitrichlung allgemein
verächtlicherweise Rococo genannt wurde.
Eine bestimmtere Klassifizirung, eine prä-
zisere Benennung der einzelnen Abstufungen
blieb erst dem feineren Beobachter am Ende
des 16. Jahrhunderts aufgespart.
Wir unterscheiden seil dem Niedergange
derRenaissance 4 Kunstepochen: Barock, Rococo,
Zopf und Empire.
Es wird häufig von „gelehrten Häusern"
dozirt, daß sich die 3 ersteren mit der Re»
gierungszeit der französischen Könige Ludwig
XIV. (1643-1715), XV. (1715-1774) und
XVI. (1774—1793) decken; dadurch entsteht
aber insofern eine verschwommene Vorstellung der Ab-
grenzungen, als das Rococo „rein" nur unter dem XV.
Louis vorkommt, während es in der 2. Hälfte der Re-
gierung Ludwig XIV. schon durchbricht und in der ersten
Hälfte der Regierungszeit Ludwig XVI. noch nach-
klingt.
Wir bleiben viel sachlicher und verständlicher, wenn
wir uns an die Objekte selbst halten und sagen: Die
Bezeichnung Renaissance ist solange am Platze, als im
Grund- und Aufriß die gerade Linie und der rechte
Wmkel vorherrscht.
r Sobald der rechte Winkel Überecks gestellt wird,
sobald die Verkröpfungen schiefwinkelig angeordnet
werden, sobald an Stelle der geraden Linien willkür-
liche Schweifungen treten, kommt das Barock zu seinem
Rechte. Die damit in Verbindung stehende reiche,
oft überladene Dekoration ist aber noch streng symme-
trisch.

') ES herrscht in fachmännischen und Laienkreisen nach vielfach
-ine mehr oder weniger groß- Unklarheit über die charakteristischen
Merkmale sowohl dieses Stiles als auch der ihm unmittelbar voraus-
gehenden und nachfolgenden Stilarten, so daß die vorstehende Ab-
handlung zur Klärung der Begriffe sehr dienlich und deshalb Vielen
-sich um die Sache Jnteressirenden, erwünscht sein dürste.

In dem Moment, wo das Pendant (Gegenstück),
die Symmetrie den Boden des Barock verläßt, wo die
Dekoration in flotten einseitigen Motiven ausklingt,
heißt das Kind: „Rococo".
Und in der Weise, wie die Dekoration ihren wilden
Charakter ablegt, wie wieder die gerade Linie immer
mehr an Stelle der geschweiften tritt, haben wir den
Verfall des Rococo vor uns und „Zopf" ist dafür die
richtige Bezeichnung.
Nehmen wir von diesem „Zopf" die letzte Schweif-
ung, setzen wir an Stelle der noch wenig übrigen ein-
seitigen Dekorationen kühl berechnete Ornamente, steife
Pendants, so stehen wir auf dem Boden des Empire.
Aus diesen kurzen Ausführungen ist zu erlernen,
daß die einzelnen Stile sich in ganz festen, leicht er-
kennbaren Angeln bewegen; dem Auge des feineren
Beobachters wird es dann nicht schwer fallen, den
fraglichen Gegenstand der einen, resp. der anderen
Kunstepoche einzureihen, aus der Konstruktion und Deko-
ration ein Stück Geschichte zu entrollen und die Ent-
stehungszeit des betreffenden Objektes ziemlich genau
zu bestimmen.
Wenn ich mich des Weiteren über diesen Gegen-
stand noch etwas langathmig verbreite, so wird dies

bei aufmerksamem Studium zum besseren Verständniß
des bisher Gesagten beitragen.
Schon im Zeitalter Ludwig XIII. (1610-1643)
erlaubte sich die Spät-Renaissance einige Freiheiten:
An Portalen und Fenstern wurde der dekorative Giebel
gebrochen, gerundet und geschweift, die Sockel der
Säulen aber waren noch in geraden Linien rechtwinkelig
angeordnet und im Grundriß herrschte immer noch die
im rechten Winkel gegliederte gerade Linie. An Stelle
der pyramidalen Verzierungen traten Kugeln, Artischoken
und wuchtige Arabesken; die ruhige Grazie der Hoch-
Renaissance mußte massigen Konturen und überladenen
Schnörkeln Weichen.
Als man sich launiger Weise gestattete, im Grund-
riß den rechten Winkel zu verschieben, war der Renais-
sance das Todesurtheil gesprochen, dem Barock der
Weg gezeigt.
Ludwig XIV. bestieg den Thron (1643-1715).
Dieser kunstsinnige Fürst hatte es verstanden, Künstler
jeglicher Art an seinen Hof zu ziehen; er wurde die
Pflegestätte der Kunst, die Heimstätte der Künstler.
Das Bestreben, Neues zu schaffen, brachte auf die Idee,
die geraden Linien zu schweifen, den rechten Winkel zu
verschieben: Die Träger der geschweiften Balkons

wurden schräg angeordnet, Säulen und Pfeiler in-
einandergeschoben, im Sockel willkürlich, schiefwinkelig
angeordnet; auf diese Art wurden ganz eigenartige
neue Perspektiven erzielt. Man benützte noch die Dekors
(Verzierungen) der Spät-Renaissance: Blumen- und
Früchten-Gewinde, dieselben Arabesken, aber alles auf
in der Hauptsache geschweiften Fond (Grund). An
Stelle der Kugel und Artischoken - Bekrönungen traten
reichverzierte, überladene Blumenvasen, alles in strengem
Pendant, Zeichnung und Arrangement gleichseitig, hüben
wie drüben. Die Siuckoerzierung wurde immer mehr
Mode als Innendekoration von Kirchen und Palästen.
Man ging in diesem Genre nicht immer verständig und
pietätvoll zu Werke. Wie im 17. Jahrhundert, z. Zt.
der Renaissance, wurden auch jetzt Säulen aus roma-
nischer Zeit in vandalischer Weise mit dem Spitzpickel
bearbeitet, damit Stuck und Tünche besser daran haften
blieben, alte Kruzifixe, Leuchter und sonstige Geräthe
wurden verschleudert und durch oft werlhlosen Tand
ersetzt. Die neue Stilrichtung hatte alles Traditionelle
über Bord geworfen; man schuf Gutes und Schlechtes.
Das Ornament des Barock ist Muschel und Schnecke.
Tisch- und Stuhlbeine, die früher auf der Drehbank
gefertigt wurden, sind geschweift und mit reicher Schnitzerei
versehen, bauchiges Kastenmövel, Jntarsien-
Arbeit (Holzmosaik) war on vogns (im
Schwünge), reiche vergoldete Beschläge im
Muschel-Ornament, aber immer streng sym-
metrisch gezeichnet, vervollständigten die
Dekoration, Boule-Arbeiten (Arbeiten aus
feinen Hölzern mit Einlagen von Schild-
kröt, Metall und Elfenbein, nach ihrem
Erfinder, dem Schreinermeister Andreas
Boule in Paris, benannt) erreichten die
höchste Blüthe. Das schwerfällige und
überladene des Barock ist spanischem Ein-
flüsse zuzuschretben.
Erst gegen Ende der Regierung Ludwig XIV. wurde
mit dem strengen Pendant des Barock gebrochen, gleich-
seitige Verzierungen klingen in der Achse in einem ein-
seitigen Motiv aus, die Dekoration kam aus dem Lothe.
Das find die ersten Anfänge des Rococo. Realistisch
blitzenden Nimben (Strahlenkronen) und Sonnen sind
typisch für die Geschmacksrichtung „roi soloil." („Sonnen-
könig" — so wurde Ludwig XIV. genannt.
Wir stoßen nun auf flotte, einseitige Verzierungen:
Rococo! In den Worten „flott und einseitig" ist die
genialste aller Stilrichtungen zusammcnzufassen; sie
war aber keineswegs „einseitig" im schlechten Sinn,
sondern sogar sehr vielseitig, nur nicht gleichseitig.
Dem Drange folgend, immer neue Formen zu schaffen,
originelle Ueberraschungen zu bringen, kamen die Künst-
ler auf diese „Abwege."
Wir befinden uns bereits im Zeitalter Ludwigs
XV. (1715-1774). Es wehte in der Politik schon ein
scharfer Wind, aber die Kunst hatte am Pariser Hofe
tiefe Wurzeln geschlagen und allen Anfeindungen ent-
gegen machten das Rococo und mit ihm französische
Sitten und Gebräuche einen Triumphzug durch alle euro-
päischen Fürstenhöfe.


Nr. 50. Jagdhorn im Museum in Stuttgart, Neckarstr. 8. (Text Seite 108.)
 
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