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Antiquitäten-Zeitung — 6.1898

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Nr. 36 (7. September)
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https://doi.org/10.11588/diglit.61938#0285
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V erbürgle
Auflage 5000.

ar 7'""^ MntraL-Org an für Sammelwesen,
Berfteigerungeu und Alterthumskunde.

Offizielles Organ des Vereins zur Erbauung eines „Deutschen Reichsmuseums" in Stuttgart.

Herausgegeben unter Mitwirkung bewährter Fachleute von Josef Laut in Stuttgart, Reinsburgstr. 44, Verlagsbuchhandlung und Buchdrucker ei

Nr. 36.

Abonnement:
Deutschland u. Oesterreich S.öo.
vierteljährlich, Ausland S.—.

Stuttgart, 7. September 18S8.
(Erscheint wöchentlich.)

Anzeige«:
Die Ndnpareillereil« oder deren
Raum so Pfg., Aultionen so Pfg.

6. Jahrgang.

ALL LL LL LLLLLLLLLLLLLLLLLLL-LLLLL^
A Die Wtstenschasten sind Gemeingut, weil das Denken E
A Gemeingut ist, und das Denken aus der Quelle des Wissens E
H schöpft. (W. Wundt.) k
Die Uhrenausstellung in der
Urania zu Berlin.
Di« räumlich beschränkte, aber von Kostbarkeiten
geradezu strotzende Ausstellung, die gegenwärtig den
Oberlichtsaal der Urania in der Taubenstraße füllt, ge-
hört ohne Zweifel zu den interessantesten und werth-
vollsten Ausstellungen, die Berlin je gesehen. Einer
Blumenlese feiner und prächtiger Werke, wie die so
hoch entwickelte moderne Zeitmesser-Industrie mit dem
ganzen Aufgebote ihrer Intelligenz und Strebsamkeit,
ihrer gewaltigen technischen und finanziellen Hilfsmittel
sie nur irgend hervorzubringen vermag, gesellt sich dort
eine Sammlung von seltenen und zum Theil seltsamen
alten Uhren, die kunstgeschichtlich und kunstgewerblich
einen kaum zu schätzenden Werth darstellt, jedenfalls
aber sorgfältiges Studium lohnt. Hier findet man
neben den einfachen, selbst rohen Erstlingswerken der
eben erst aufkeimenden Uhrmacherkunst die mit staunens-
werthem Geschick gearbeiteten und mit ebenso staunens-
werthem Luxus aurgestatteten Prunkstücke späterer Zahr-
Hunderte, deren raffinirte Prachtliebe sich erklärlicher-
weise mit besonderer Vorliebe der Uhr zuwandte. So
bietet diese, vom deutschen Uhrmacherbunde zeitgemäß
geplante und vortrefflich durchgeführte Ausstellung ein
lehrreiches und fesselndes Bild ebensowohl der Ent-
wickelung wie des jetzigen Standes der Uhrmacherei.
Vorweg sei bemerk!, daß nicht nur deutsche, sondern
auch schweizer Uhren ausgestellt wurden. Das war um
deswillen nicht zu vermeiden, weil für Taschenuhren
in mittleren Preislagen die Schweiz neben Amerika
noch immer die einzige Bezugsquelle ist. Während
Deutschland in Wand- und Standuhren an der Spitze
marschirt, hat es in Taschenuhren noch keine erhebliche
Erzeugung aufzuweisen. Nur ganz feine Werke, wie
sie namentlich A. Lange u. Söhne-Glashütte (Sachsen)
liefern, und ganz billige, deren Herstellung neuerdings
in Ruhla, Pforzheim und auch in Silberberg (Schlesien)
betrieben wird, kommen als deutsches Fabrikat in Be-
tracht, und wenn hin und wieder versucht wurde, auch
die Erzeugung von Taschenuhren mittlerer Güte nach
Deutschland zu verpflanzen, so mußten diese Versuche
so lang mißlingen, als man nicht die ganze alte Kultur,
deren sich die Schweiz auf diesem Gebiete rühmen kann,
gleich mit verpflanzen konnte. Nur unter Aufwand
sehr beträchtlicher Mittel, unter Bereitstellung aller der
hauptsächlich in Amerika erfundenen, sehr vermannig-
fachten und verfeinerten Hilfsmaschinen und namentlich
unter Heranziehung zahlreicher geübter Arbeiterfamilien
aus der Schweiz, deren Sicherheit und Fixigkeit von
(keiner anderen Arbeiterschaft — vor der Hand wenig-

stens — zu erreichen ist, wäre ein Erfolg möglich. Viel-
leicht daß auch das einmal alückt; indeß ist, seit auch
Amerika sich der llhrengroßindustrie bemächtigte, die
Sache doppelt schwierig geworden. Nebenbei möge hier
einer recht zweckmäßigen Eigenart des amerikanischen
Uhrenhandels gedacht sein. Während bei uns die
Taschenuhr als etwas Fertiges, Vollständiges dem
Käufer vorgelegt wird, bietet der amerikanische Uhren-
händler Werk und Gehäuse einzeln an. Er führt vier
oder fünf Arten Werke von verschiedenem Preise und
stellt diese zunächst dem Käufer zur Wahl. Ist diese
Wahl getroffen, so kommt das Gehäuse an die Reihe.
Der Käufer wählt eines aus, das ihm nach Ausführ-
ung und Preis zusagt, und nun erst fetzt der Uhrmacher
das Werk in das Gehäuse ein. ' Solcherweise ist es
viel leichter, alle Wünsche des Käufers zu befriedigen,
als bei unserer Gewohnheit, wo meist das Eine oder
Andere an der fix und fertig zusammengesetzten Uhr
den Wünschen des Käufers nicht entspricht.
Betrachten wir nun einzelne ganz besonders merk-


Ruine Frankenstein, Hessen. (Text Seite SSt.)

Würdige Stücke der geschichtlichen Abtheilung. Da sind
zunächst die ältesten Taschenuhren in Trommelform
aus der Sammlung der Gebr. Junghans in Schram-
berg. unter ihnen die erste von Peter Henlein (Peter
Hele) in Nürnberg um 1500 herum, und zwar ganz
aus Eisen gebaute Uhr, ferner eine Schreibtischuhr in
Trommelform mit gravirtem Bronzegehäuse aus dem
10. Jahrhundert. Schon in demselben Jahrhundert
wurden Taschenuhren mit Wecker gemacht, wie mehrere
Stücke der Ausstellung lehren, und wie weit alsbald
die künstlerische Ausführung der Gehäuse ging, zeigen
zahlreiche Prachtuhren, z. B. eine in wundervoll gear-
beitetem Bronzegehäuse mit aufgelegten, durchbrochenen
und gravirten Verzierungen (No. 34 des Katalogs),
eine Damenuhr in Goldpiqus-Arbeit (36), mehrere um
den Hals zu tragende Uhren in Gehäusen aus Berg-
krystall oder Rauchtopas (Sammlung Marfels No. 123,
124, 152), sowie eine gold-emaillirte Taschenuhr in
Form einer Nuß mit dem Bildnisse Kaiser Karls V.
und der Jahreszahl 1564, ein Kabinettstück ersten
Ranges. Nicht so alt, aber nicht minder interessant,

sind aus derselben Sammlung eine goldene Uhr in
Form einer Mandoline, eine andere in Form einer
Tulpe, deren Blätter sich zurückschlagen, wenn das
Zifferblatt sichtbar werden soll, wieder älter No. 153,
ein Halsührchen in fein gezeichnetem Rosenachatgehäuse,
in Gold- und Relief-Email montirt. Beachtenswerth
ist ferner No. 122, ein bronzenes Uhrgehäuse (ohne
Werk) mit äußerst feingeschnittenen Inschriften aus
dem 16. Jahrhundert. Die Vorliebe jener Zeit für
allerhand Spielereien bekunden mehrere Stücke, so
No. 56, eine flache goldene Spindeluhr mit der Gestalt
eines römischen Kriegers, der mit den Armen die Zeit
anzeigt, wenn man auf einen Knopf drückt, oder
No. 160, eine Uhr mit Perlmuttergehäuse und emaillirten
Goldverzierungen. Der Kloben dieser Uhr stellt einen
Jagdzug dar, und in einem Ausschnitte dahinter sieht
man Reiter ein Turnier ausfechten. Die Reiter stoßen
mehrmals aufeinander und gehen dann aneinander
vorüber, während ein anderes Figürchen das Ergebniß
des Kampfes anzeigt. Bei aller Kleinheit dieser Figür-
chen ist doch jede ihrer Einzelheiten mit vollendeter
Meisterschaft gearbeitet. Auch No. 186 gehört dahin.
Im klebrigen bietet jedes einzelne der ausgestellten
Stücke bemerkenswerthes an Schönheit und Reichthum.
Gehäuse aus edlem Stein oder aus edlem Metall in
prachtvoller Arbeit, doppelte Gehäuse, das obere aus-
gesägt und ziselirt, das untere gravirt, Besatz von Edel-
steinen, herrliche Schmelzmalereien sc. — irgend etwas
dergleichen hat jede Nummer aufzuweisen. Nicht minder
interessant wie die Taschenuhren der geschichtlichen Ab-
theilung sind ihre Wand- und Standuhren, unter denen
wir beispielsweise die älteste bekannte Holzräderuhr,
aus dem Jahre 1613 stammend, ferner die erste Schwarz-
wälderuhr mit Wecker, von 1680, vorfinden. Aus 1730
rührt schon eine Schwarzwälder Uhr mit Viertel- und
Stundenschlag, Mondlauf und Weckerwerk her. Die
Unruhe dieser alten Uhren hat meist die Gestalt eines
schwingenden Wagebalkens, der an Stelle der Federn
Büschel von Schweinsborsten besitzt, deren Elastizität
ihn immer wieder zurücktreibt. Die Glocken wurden
damals aus Glas gemacht, und mehrere der Uhren
enthalten ganze Glockenspiele, davon eins aus Metall-
platten mit Hämmern, wie wir sie noch heute als
Kinderspielzeug verwenden. Aus 1700 stammt eine
japanische Sägeuhr. Das Werk dieser Uhr sitzt an
einer senkrecht stehenden Zahnstange, an der es ganz
allmählich durch sein eigenes Gewicht herabgleitet. Die
Reibung an den Zähnen der Stange hält dabei das
Werk im Gange. Auf ähnlichem Grundsätze beruhen
zwei Rutschuhren (Schiefe-Ebene-Uhren), deren eine von
Gebr. Junghans, deren andere von Max Heilbronner-
Berlin ausgestellt wird. Diese Uhren gleiten in Folge
ihrer Schwere langsam eine schiefe Ebene hinab und
werden dabei durch die Reibung im Gange erhalten.
Bei der einen bleibt das Zifferblatt aufrecht, während
sich der Zeiger bewegt, bei der anderen zeigt umgekehrt
der Zeiger stets nach oben, während sich das Zifferblatt
dreht. Die silberne Satteluhr No. 1018 ist besonders
sehenswerih wegen des kunstvollen Gehäuses in gesägter
Arbeit mit Schildkrot-Uebergehäuse. Auch die Nummern
 
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