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Antiquitäten-Zeitung — 6.1898

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Nr. 20 (18. Mai)
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https://doi.org/10.11588/diglit.61938#0157
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Nr. 2V.

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Deutschland u. Oesterreich ult S.SO
vierteljährlich, Ausland

Stuttgart, 18. Mai 18S8.
(Erscheint wöchentlich.)



Verbürgte
Auflage 5000.

Offizielles Organ des Vereins zur Erbauung eines „Deutschen Reichsmufeums" in Stuttgart.

Herausgegeben unter Mitwirkung bewährter Fachleute von Josef Laut in Stuttgart, Reinsburgstr. 44, Verlagsbuchhandlung und Buchdruckerei.

Anzeige«:
Die Nonpareillezetle oder deren
Raum 20 Pfg., Auktionen so Pfg.

6. Jahrgang.

Di« Wtssenschasten sind Gemeingut, weil das Denken 8°
Gemeingut ist, und da« Denken aus der Quell« der Mistens
schöpft. (W. Mundt.) E

Die Ausgrabungen in Delphi.

Nachdem der fünfte Sommer über der Arbeit der
französischen Archäologen am Fuße des Parnaß hinge-
gangen und das ganze Gebiet in der näheren Umgeb-
ung des Tempels gründlich durchforscht ist, lassen sich
die Schlußergebnisse dieser Unternehmung schon heute
nut genügender Sicherheit überblicken. Die einst von
Polygnot mit seinen berühmten Gemälden ausgeschmückte
Kindische Lesche wird neuerdings nicht mehr in un-
nnttelbarer Nähe des Theaters gesucht, sondern erscheint
auf dem kürzlich ausgegebenen Plan als der nordöst-
Uche Punkt im Tempelbezirk angesetzt. Auch über den
^auf der heiligen Straße werden wir nun endlich auf-
geklärt. Sie begann im Südosten des Bezirks und er-
hob sich Anfangs nach Westen laufend, dann nach scharfer
Kehre nordostwärts steigend zum Heiligthum. Links
vorn ersten Abschnitt des Weges lagen die beiden ersten
unter den vielgenannten Schatzhäusern, ein drittes be-
fand sich linker Hand da, wo der heilige Weg sich zur
entgegengesetzten Richtung umbog, und schon nach we-
nigen Schritten halte der Pilger die nördlichste unter
d«n vier Schatzkammern, den Aufbewahrungsort für
tue aus Athen kommenden Weihgeschenke, vor sich. Nach
feinem Eintritt in die Polygon-Mauer führte sodann
der Weg nordwäits an der Ostfront des Tempels ent-
lang, zunächst zu dem großen vor der Pforte desselben
flehenden Opferaltar; endlich erklomm er steil ansteigend
Den der Nordostecke des Heiligthums gegenüberliegenden
Aussichtspunkt. Hier, wo einst der schwere goldene
Dreifuß stand, welchen Gelon aus der karthagischen
«legesbeute bei Himera gestistet, hielt der Pilger inne
And überblickte den zu seinen Fügen liegenden reich-
lleschmückten Tempel in seiner Umgebung goldener,
dronzener und marmorner Weihgeschenke, weiter hinab
me Wohnungen der Delphier und das im Sommer
rrockene Bett des Plislosbaches, endlich gegenüber die
grünende Höhe des Kirphis, welche dieses Thal vom
korinthischen Meere trennt.
. Die Baugeschichte des Tempels bildet vielfach auch
Mt noch einen Gegenstgnd neuer Untersuchungen. Vor
wenigen Jahren glaubte der scharfsinnige Begründer
"er delphischen Cyromologie, Heinr. Pomtow in Neu-
tadt-Eberswalde, drei Brände annehmen zu sollen,
Welche im 6., im 4. und 1. Jahrhundert v. Ehr. das
^eillgthum zerstört hätten. Jetzt ist man allgemein
"or Ansicht, daß im 4. Jahrhundert ein Erdbeben es
gewesen, oder eigentlich zwei solche Erdstöße, welche (um
sska und 847) den Bau beschädigt hätten. Die lang
Nch hmziehende Wiederherstellung glaubt Homolle, der
der französischen Grabungen, jetzt mit dem Jahre
-2-W/29 als abgeschlossen betrachten zu dürfen. Ein

weiterer Neubau fand dann nicht mehr statt; die im
Jahre 83 v. Ehr. eingetretene Plünderung des Heilig-
thums durch die thrakischen Müder hat nicht zur gänz-
lichen Zerstörung des Baues geführt. Mit Ueberbleibseln
von dem herrlichen Bauwerk sieht es leider übel aus.
Einige spärliche Trümmer von dem Tempel des Spin-
tharos aus dem 6. Jahrhundert sind in Schutt ver-
steckt oder in Wohnungen verbaut wiedergefunden
worden; über Reste aus dem jüngeren Tempel verlautet
dagegen gar nichts.
Die drei Schatzhäuser, von deren bildnerischem
Schmuck der soeben genannte Leiter der Ausgrabungen
verschiedene Proben in der „Oarotts äos boaux arts"
vom Jahre 1895 mitgctheilt hat, beleuchten in recht
anschaulicher Weise die Entwickelung der alterthümlichen
Bildhauerkunst in Griechenland. An die derben Tuff-


No. es. Tint nzeuge im Museum zu Stuttgart. (Text S. ISS.)

Metopen des ältesten Tempels in Selinunt sehen wir
jetzt als stiloerwandte Genossen die aus gleichem Stoff
gehauenen Metopevplatten des sikyonischen Schatzhauses
in Delphi sich anschließen. Der kalydonische Eber und
die auf der „Arao" nach Kolchis fahrenden Genossen
weisen keinen allzu großen Fortschritt in der Kunst
jenen kindlichen Anfängen gegenüber auf; die auf dem
Stier reitende Europa und die drei von einem Beute-
zug heimkehrenden Krieger lassen jedoch einen solchen
entschieden wahrnehmen. Die Entstehungszeit dieser
Werke wird auf etwa 570—50 Jahre vor Christus be-
rechnet. Viel schöner ist bereits der Bilderschmuck an
dem um 520 gebauten zweiten Schatzhause. Schon die
West- und Südseite seines Marmoifrieses, die Apotheose
des Herakles und der Frauenraub, zeigen in ihren
wenigen, streng symmetrisch angeordneten Figuren bereits

tüchtiges Können und künstlerischen Geschmack. Noch
mehr ist dieses der Fall bei den beiden anderen Seiten
des Bilderstreifs, welche ein Gefecht zwischen Göttern
und Giganten sowie den Kampf um die Leiche des
Euphorbes zum Gegenstand haben. Hier hat der Künstler
durch das Zusammenschieben mehrerer Figuren auf
eine Fläche, durch kühne Wendungen und Drehungen
der Glieder, im Nothfall durch kunstgemäße Verkürzung
der Formen bereits recht schwierige Aufgaben sich ge-
stellt und glücklich gelöst. Die Gruppe dreier weiblicher
Figuren aus den dem Kampf zuschauendcn Göttern hat
schon so mancher Kunstforscher an die ähnlichen Ge-
stalten auf dem Fries des Parthenon erinnert und zu
der Annahme veranlaßt, Phidias sei durch diese Schöpf-
ung seines Vorgängers beeinflußt worden.
Wird man bei Betrachtung der Metopen am Si-
kyoner Schatz an die noch rohen Zeichnungen korinthischer
Vasen erinnert, so gemahnen dagegen die Figuren am
Fries des zweiten Gebäudes an die Vasen mit schwarzen
Bildern; sie gleichen denselben auch in der Art, wie
die Namen der dargestellten Personen oder Gegenstände
in unregelmäßigen Buchstaben sich beigeschrieben finden.
Daß dieselben aber mitunter recht schwer lesbar sind,
geht aus den vielfach schon zurückgenommenen und
verbesserten Deutungsversuchen der Scenen nur allzu
klar hervor.
Weniger günstig als über den Reliefschmuck dieses
Gebäudes lauten die Berichte über die ebenfalls er-
haltenen Skulpturen eines Giebels. Der Versuch des
Herakles, den apollinischen Dreifuß fortzutragen, ist
dargestellt in Figuren, von denen der Künstler nur den
oberen Theil völlig ausgearbeitet hat, während die
unteren Partien unfertig und nur als Relief behandelt
sind. Die plastische Kunst war also in der Heimath
dieser Figuren noch nicht so weit fortgeschritten als in
Agina, wo ja um dieselbe Zeit schon die bedeutend
vollendeteren, jetzt in München befindlichen Giebelgruppen
angefertigt wurden.
Die Reliefs am Schatzhause der Athener bekunden
dagegen in der Feinheit und Eleganz ihrer Linien
abermals einen bedeutenden Fortschritt über jene
archaischen Versuche hinaus. Sie entstammen allerdings,
da sie erst nach der marathonischen Schlacht angefertigt
sein können, schon einer Z-it, in welcher Athen, wie in"
politischer, so in ästhetischer Hinsicht die Führung
Griechenlands zu übernehmen begann. Diese Metopen
zeigen starke Verwandtschaft mit den älteren rothfigu-
rigen Vasen.
Recht merkwürdig bleibt aber der Umstand, daß
die zweite unter den oben erwähnten Schatzkammern
forthin nicht mehr als Gründung der Siphnier gelten
soll. Alle an dem Hause angebrachten Inschriften
weisen nämlich auf das Eigenthum'der Stadt Knidos.
Die Knidier, so erfahren wir, haben, als Harpagos
sämmtliche Griechenstädte in Asien dem Großkönig zu
unterwerfen trachtete, vom pythischen Orakel den Rath
bekommen, sich di»fim Ansinnen ruhig zu fügen. Sie
haben es gethm. pive» sich unter persischer Regierung
wohl befunden und haben deshalb das Heiligthum,
abgesehen von der berühmten Lesche auch noch mit
 
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