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Antiquitäten-Zeitung — 6.1898

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Nr. 42 (19. Oktober)
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https://doi.org/10.11588/diglit.61938#0333
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Verbürgte
Auflage 5000.

Zentral-

OvganfürSammelwesen,
Versteigerungen und Alterthumskunde.

Verbürgte
Auflage 5000.

Offizielles Organ des Vereins zur Erbauung eines „Deutschen Reichsmufeums" in Stuttgart.

Herausgegeben unter Mitwirkung bewährter Fachleute von Josef Laut in Stuttgart, Reinsburgstr. 44, Verlagsbuchhandlung und Buchdruckerei.

Nr. 42.

Abonnement:
DeuNchland u. Oesterreich s.so.
vierteljährlich, Ausland S.—.

Stuttgart, IS. Oktober 18S8.
(Erscheint wesentlich.'

Anzeige«:
Die Nanpareillezeile oder deren
Raum so Pfg., Auktionen «o Pfg.

6. Jahrgang.

Di« Wissenschaften sind Gemeingut, weil dar Denken
Gemeingut ist, und das Denken aus der Quelle des Wissens
schöpft. (W. Wundt.)


Die Meister der Geigenbaukunst.
Von Franz Frioberg.

Die jüngste Erfindung auf dem Gebiete der Streich-
instrumenle, ist die Geige. In früherer Zeit verfügten
die Orchester nur über drei Arten von Streichinstru-
menten: Viola äi braoeio, heute Viola alta oder deutsch
Bratsche genannt, Viola äi xamba (Violoncello) und
Violono oder contra basso. Diese letzteren Instrumente
besaßen nur drei Saiten, wie sie heute noch meistentheils
inJralien zu finden sind. Sie klingen bei weitem nicht
so rief wie unsere deutschen Bässe, was den italienischen
Orchestern zwar einen Hellen und wohlrhönenden, unseren
Ohren aber doch etwas unbefriedigenden Klang giebt.
Die hier angeführten Instrumente dienten blos zur Be-
gleitung des Gesanges, denn es- gab damals noch keine
Soloinstrumente. Erst ein Deutscher, Namens Kaspar
Tieffenbrucker in Tirol, kam auf den Gedanken, ein
Instrument zu bauen, das der menschlichen Stimme am
nächsten kam. Man vergesse nicht, daß bis in das
sechzehnte Jahrhundert hinein die Musik hauptsächlich
in den Kirchen getrieben wurde, und der Gesang aus-
schließlich von Kastraten ausgeführt wurde, deren Stim-
men viel höher klangen als Frauenstimmen. Tieffen-
brucker zog mit seiner Erfindung nach Brescia, woselbst
er seinen Namen in Gaspard Duiffopruggar umänderte.
Seine Geigen wurden sehr bald berühmt, und er als
ihr Meister hochgeehrt. Und so herrscht die Geige bis
zum heutigen Tage noch als Königin über allen anderen
Instrumenten. Die Geigen Duiffopruggars werden in
unserer Zeit nicht mehr als Konzertinstrumente benutzt.
Sie sind zu groß und zu unhandlich für unsere moderne
Technik, auch ist ibr Klang, obschon von köstlichem Wohl-
laut, zu dunkelfarbig und wenig ausgiebig für unsere
großen Konzertsäle. Sie sind im Handel fast gar nicht
zu haben und befinden sich hauptsächlick im Privatbe-
sitz oder in Museen. Eine echte Duiffopruggar steht
heutigen Tages in ungeheuer Hohem Preise; erstens
schon ihrer kunsthistorischen Bedeutung wegen, zweitens
sind die Köpfe dieser Geigen — entweder einen Chri-
stuskopf oder seinen eigenen darstellend — mit einer
solchen Vollendung geschnitten, daß sie allein schon als
Wunder der Holzschneidekunst gelten. Duiffopruggar
war ursprünglich „Herrgottschnitzer" und in diesem natio-
nalen Handwerk der Tiroler als Erster seines Faches
weit und breit berühmt. Was aber endlich auch nicht
wenig zu dem hohen Werth dieser Instrumente beiträgt,
sind die mit verschiedenen Heiligenbildern bemalten Rück-
seiten; denn der sie gemalt, war kein Geringerer als
— Leonardo da Vinci. Außerdem sind sie noch mit
allem möglichen Zierrath in Gold und Perlmutter künst-

lerisch ausgestattet, und an den Zargen (Wänden) fast
einer jeden steht in goldenen Buchstaben irgend ein hüb-
scher Vers. Der poetischsten einer dürfte dieser sein:
„Viva, t'ui in 8Z^Ivi8, 8nm äura ooei8k 8seuri.
vuin vixi, taoui, inort-na äulve eano."
(In den Wäldern lebte ich, die erbarmungslose Axt
hat mich getödtet. Lebend schwieg ich, todt singe ich süß.)
„Worin liegt denn eigentlich das Geheimniß der
italienischen Geigenknnst?" hören wir oft fragen.
Sämmtliche Geigenbauer dieses Jahrhunderts sowie
Alles, was sich überhaupt für die Geige interessirt, haben
sich die Köpfe darüber zerbrochen, ohne mehr als ein
negatives Resultat zu erzielen. Dem Geheimniß am


Ein neu entdeckter Albrecht Dürer. (Text Seite sss).
nächsten kam der berühmte französische Geigenmacher
I. B. Vuillaume 1799 --- 1875. Dieser aber schlug
ein radikales Verfahren ein. Er nahm für ungefähr
200,000 Francs Instrumente, zerlegte sie und ließ sie
Faser für Faser von den berühmtesten Chemikern un-
tersuchen. Die 200,000 Francs und vielleicht mehr noch
waren zwar verloren, dafür verdiente der schlaue Fran-
zose aber später Millionen, indem er die italienischen
Instrumente am täuschendsten imitirte und für echt in
den Handel brachte. Die Herren Engländer fielen na-
türlich am meisten hinein. Den feinen Kenner aber
können selbst diese meisterhaft gearbeiteten Nachbildungen
nur selten täuschen.

Viele sind der Meinuna. daß das Geheimniß der
Italiener im Lacke liege. Nun ist aber bekannt, daß
Straduarius seine Geigen einfach roth angestrichen hat.
Seltsam genug ist es ja, daß die Farben mit der Zeit
einen so unheimlich feurigen Glanz angenommen haben.
Daraus dürste vielleicht doch zu schließen sein, daß
hinter der Mischung der Farben oder in den Ingre-
dienzien selbst ein Geheimniß steckt, das mit der Zeit
verloren gegangen sein mag. Zweifellos übt der Lack
auf den Ton der Geige einen Einfluß aus. Eine neu
lackirte Geige wird nie klingen, schon der Feuchtigkeit
halber, und zweitens behindert das Gewicht der aufge-
tragenen Lackmassen die Vibration des Holzes. Der
Lack der Italiener hat sich mit der Zeit theils abge-
schliffen, theils mit dem Holz amalgamirt, so daß er
jetzt gnasi einen Theil desselben bildet. Er vibrirt mit,
wirkt aber zugleich als Dämpfer gegen die allzu starke
Bewegung des rohen Holzes, und daher der weiche
und volle Ton.
Andere meinen wieder, es läge in der Qualität
des Holzes. Auch darin liegt eine große Wahrschein-
lichkeit. Straduarius und Guarnerius haben sorgfältig
das älteste Holz ausgesucht, um es dann ost noch 30
Jahre liegen zu lassen, bevor sie es in die Arbeit
nahmen. Straduarius hat seine schönsten Geigen aus
einem alten Billardbrett verfertigt, das er in irgend
einer Rumpelkammer stehen sah. Ein anderes Mal
hobereine Thüre aus, um sie zu verwcrthen. Die alten
Italiener hatten auch noch die Gabe, nachdem sie das
Holz einige Male mit einem Hammer anschlugen, an
dem Klang zu erkennen, ob es sich für die Fabrikation
eigne. Dieses Verständniß dürfte wohl mit der Zeit
auch verloren gegangen sein.
Ob die Jahre des Holzes auf den Ton irgend
einen Einfluß haben, wie mancher Fachkenner behauptet,
ist zu bezweifeln, da die Meisterwerke der Italiener ofi
ganz unregelmäßige Jahre aufweisen. Und so dürfte
die große italienische Geigenbaukunst ein ewiges Geheim-
niß bleiben. Ist es aber auch ein Geheimniß S Meiner
Ansicht nach ist es eben eine Kunst, die entstand, blühte
und zurückging, wie viele andere Künste. Oder wollen
wir uns vielleicht der Thatsache verschließen, daß die
bildende Kunst im sechzehnten Jahrhundert ihren Höhe-
punkt erreicht hat, und ihre weit jüngere Kollegin —
die tönende Kunst — sich vom Beginn der zweiten
Hälfte unseres Jahrhunderts an im progressiven Nieder-
gang befindet? Die Kunst ist eben ein Stück der unbe-
greiflichen Gottheit, die ab und zu auf die Erde nieder-
steigt, um das Menschengeschlecht zu beglücken und dann
wieder zu verschwinden, uns ihre Werke hinterlassend,
die wir immer wieder mit neuem Ergötzen in uns aus-
nehmen, ohne das Genie ergründen zu können. Ein
solches Stück Gottheit waren Antonius Straduarius
1614 1733, sein Meister Nicolo Amati 1596—1684
und sein gottbegnadeter Schüler Joseph Antonius
Guarnerius del Gesü 1683—1745. Merkwürdigerweise ist
der Toncharakter dieser drei Heroen ganz verschieden,
obwohl sie ein und derselben Schule angehören. Die
Stradivari klingt feurig, faszinirend, voll hellstrahlender
Pracht, sie jubelt uud stürmt in jugendlicher Wildheit
 
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