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Antiquitäten-Zeitung — 6.1898

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Nr. 52 (28. Dezember)
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https://doi.org/10.11588/diglit.61938#0413
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Aufl^^ooDentral-OrganfürSamMelweseN,
? Verstcigerungeu und ZllterthuMskande.

Verbürgte
Auflage 5000.

Offizielles Organ des Vereins zur Erbauung eines „Deutschen Reichsmufeums" in Stuttgart.

Herausgegeben unter Mitwirkung bewährter Fachleute von Josef Laut in Stuttgart, Reinsburgstr. 44, Verlagsbuchhandlung und Buchdruckerei.

Nr. >2

Abonnement:
Demlckland u Oesterreich s.so
vierteljährlich, Ausland 3. —.

Stuttgart, 28. Dezember L8S8.
(Erscheint wöchentlich.)

NrrHeigev:
Die Nonyareillezeile oder deren
Raum 20 Pfg., Auktionen 30 Pfg.

6. Jahrgang.

den wird. Ich sage absichtlich: die Wissenschaft,
nicht: der Forscher. Das ist ein gewaltiger Unter-
schied. Auch in den exakten Wissenschaften werden ja
selten oder nie Entdeckungen von einem Einzelnen ge-
macht: Anregungen, Versuche, Diskussionen vieler Fack-
genoffen erst sühren zu einem Resultat. Gerade so ist
es hier.
Daß es so ist, ist keine Frucht der Kunstforschung
des letzten halben oder gar erst viertel Jahrhunderts.
Früher war man nur auf den Instinkt angewiesen
und selbst in den besten Zeiten der Kunst war dieser
Instinkt nicht so fein, daß er nicht trog; von den


Gefälschte Kunstwerke.
Von
Fritz Stahl.
LDie Behauptung des Münchener Professors Furt-
wängler, ein jüngst erworbener altgriechischer Frauen-
köpf im Berliner Museum sei eine Fälschung, hat, be-
vor sie bewiesen, ja, bevor sie nur erst für die Oeffent-
lichkeit begründet ist, allgemeines Aufsehen erregt. „Ist
ein solcher Streit möglich?" so fragt man. „Was ist
den» die Archäologie, die ganze Kuustforschung über-
haupt für eine Wissenschaft, wenn einer
ihrer hervorragendsten Verirrter einem sol-
chen Bstrug zum Opfer fallni kann?! Sind
das die Erfolge der berühmten .Methode'?"
Auf diese Fragen und Zweifel möchte
ich ein paar Bemerkungen über die Fälsch-
ung von Kunstwerken und die Mittel der
Wissenschaft gegen die gefälschten machen.
Daß Antiquitäten gefälscht werden, ja,
daß ganze Werkstätten für solche Dinge be-
stehen, daß diese einen sehr erheblichen Theil
der gehandelten Maaren bilden, ist ja all-
gemein bekannt. Dieses ganz: Geschäft ver-
langt nicht einmal besondere Kenntniß, Kunst
und Sorgfalt: die Erzeugnisse stad nicht für
Kenner bestimmt, werden nie den öffentlichen
Sammlungen oder aber hervorragenden Pri-
Baten angeboten; sie weroen in Läden und
Auktionen an harmlose Menschen verkauft,
denen dunkle Farben und Schmutz die Echt-
heit eines Bildes, Risse und Wurmlöcher die
einer Holzskulptur beweisen, die nichts vom
Rauchfang und von Schrotschüssen wissen;
die Formen stimmen ungefähr. Gegen diesen
Betrug ist schon der bescheidenste Jünger der
Wissenschaft, der Kenner, der nur von ihr
genascht hat, völlig geschützt; es bedarf gar
keiner methodischen Untersuchung, der In-
stinkt genügt. Wenn der Unfug trotzdem
Dauer hat, so liegt das nur daran, daß
Keiner von den Wissenden ein Interesse hat,
einzugreifen, ja, daß eine Kritik im ein-
zelnen Falle sogar unangenehme Folgen,
Schadenersatzklagen und ähnliche, bringen
kann.
Anders liegt es mit Fälschungen, die als
anspruchsvolle Kunstwerke in den Handel gebracht wer-
den sollen.
Da wird natürlich ein anderer Aufwand gemacht;
Fälscher großen Stils müssen mit der Forschung Schritt
halten wie Einbrecher mit der Geldschrankfabrikation.
Trotzdem ist es heute sehr schwer, eine solche Fälschung
zu lanciren. Weil ich doch schon einmal bei dem Ver-
gleich mit dem Verbrecher bin: wie auch der gewiegteste
Verbrecher gewöhnlich bei allem Nachdenken irgend
etwas, oft ganz Naheliegendes vergißt, so wird es auch
dem rasfinirtesten Fälscher ergehen. Die Wissenschaft
ist aber so entwickelt, daß sie diesen Fehler sicher fia-

schlechteu Zeiten ganz zu schweigen. So konnte ein
Amor, den der junge Michel Angelo in Florenz ganz
aus eigener Erfindung gemacht halte, in Rom an einen
großen Kenner als Antike verkauft werden. Dem
gegenüber erscheint es gar nicht wunderbar, daß den
Herrschern des kunstfremden Brandenburg, dem großen
Kurfürsten und dem großen König, ganze Galerien
plumpster Fälschungen angehänzt wurden. Fälschungen
aus diesen Zeiten sind für uns natürlich nicht mehr
gefährlich, wir durchschauen sie auf den ersten Blick
erkennen gleich den Stilcharakter der Zeit, in der sie
entstanden sind. Kein Künstler kann diese ihm natür-

liche Ausdrucksweiie ganz verleugnen. Thorwaldseitz
hat mit intimster Vertiefung in den Stil die ägineti-s
schen Giebelgrnppcu in der Münchener Glyptothek er-
gänzt; er konnte nach seinem eigenen Wort selbst nicht
wehr die Zuthaten vom Original unterscheiden. Bei
uns kennt sie der junge Student in archäologischen.
Uebungen am Gipsabguß auseinander.
Durch welche Methode ist dieser Fortschritt errun-
gen? Durch die minutiöse Stilkrilik, durch eine Be-
obachtung, die nicht den allgemeinen Charakter einer
Formensprache, sondern ihre geringsten Details auffaßt..
Am schärfsten hat der italienische Senator Giovanni
Morelli, der unter dem sarmatischen Pseudo-
nym Ivan Lermoliew schrieb, diese Methode
präzisirt und gehandhabt. Morelli war von
Haus aus Arzt, und ihm schwebte alsJdeal die
exakte Forschung der Naturwissenschaft vor.
Er ging von den Formen der Ohren, der
Hände aus, die er nach sicher beglaubigten
Werken eines Meisters sich einprägte oder skiz-
zirte, und die ihm für die Beurlheilung na-
menloser oder willkürlich gekaufter Werke
sicheren Anhalt boten. So hat er, besonders
aus Werke der italienischen Renaissance hin,
alle europäischen Sammlungen durchforscht
und erhebliche Resultate erzielt. Natürlich ist
die Methode doch nicht im strengsten Sinne
exakt, es bleibt immer etwas der subjektiven
Auffassung überlassen, und es sind Jrrthümer
möglich ; aber, um einen naturwissenschaftlichen.
Ausdruck zu gebrauchen, die Fehlerquelle ist
sehr klein geworden. Diese Methode ist in
der Archäologie schon vor Morelli im Schwung
gewesen, aber dann noch bewußter angewandt
worden. Gerade die beiden Gelehrten, zwi-
schen denen jetzt der Streit entbrannt ist
Gehsimralh Kekule und PiofessorFurtwängler
sind die hervorragendsten Vertreter einer sol-
chen Stilkritik.
Natürlich verläßt man sich bei der kleinen
Anzahl sicher beglaubigter Originale aus der
griechischen Zeit nicht gern auf diese Kritik
allein. Sehr ins Gewicht fällt z. B. die Her-
kunft des Werkes; es ist, wie Jeder verstehen
wird, ein Unterschied, ob ein Werk plötzlich,,
unbekannt woher, im Kunsthandel auftaucht,
oder ob es von einem bekannten Forscher aus-
gegraben wird. Obwohl-ich will die
Dinge durch eine Geschichte beleuchten, die mir ein Ber-
liner Professor, ein Sammler in großem Stil, erzählt hat.
Er suchte den Torso zu einem Kopf, dessen Fundstelle
ihm bekannt war, sechs Wochen wurde von einer ganzen
Schaar von Arbeitern unter Leitung eines „zuverlässigen"
Mannes der Boden in weitem Umkreis durchforscht, aber
ohne Erfolg. Kurze Zeil nachher bot ein Mannaus der Ge-
gend dem Direktor Les Museums von Konstantinopel
den Torso an. Und auf die verwunderte Frage: „Aber
da har doch mein Freund aus Berlin sechs Wochen ge-
graben?" antwortete er mit Seelenruhe: „Ja, ich habe
selbst die Ausgrabungen geleitet; wir haben ihn immer
 
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