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Antiquitäten-Zeitung — 6.1898

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Nr. 35 (31. August)
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https://doi.org/10.11588/diglit.61938#0277
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Verbürgte
Auflage 5000.

Zentral-OrganfürSammelwesen,
Bersteigerungeu und Alterthumsknnde.

Verbürgte
Auflage 5000.

Offizielles Organ des Vereins zur Erbauung eines „Deutschen Reichsmufeums" in Stuttgart.

Herausgegeben unter Mitwirkung bewährter Fachleute von Josef Laut in Stuttgart, Reinsburgstr. 44, Verlagsbuchhandlung und Buchdruckerei.

Nr. 35

Abonnement:
Deutschland u. Oesterreich r.so.
vierteljährlich, Ausland S.—.

Stuttgart, »1. August 1888.
(Erscheint wöchentlich.)

Anzeige«:
Die Nonparetllezeile oder deren
Raum S0 Pfg., Auktionen so Pfg.

6. Jahrgang.

Ä Die Wissenschaften find Gemeingut, weil das Denken E
A Gemeingut ist, und das Denken aus der Quelle des Wissens 8
H schöpft. (W. Wundt.) E
Einige Bemerkungen über die
Winterthurer Hafnerei.
Von H. A n gst, Direktor des schweiz. Landesmuseums,
Zürich.

Die Arbeiten der Winterthurer Hafner des 16. bis
18. Jahrhunderts werden in dem Landesmuseum eine
so hervorragende Rolle spielen, daß es gerechtfertigt
erscheint, in diesem letzten Berichte vor der Eröffnung
einige Worte über diese schöne, leider gänzlich ausge-
storbene Kunstindustrie zu sagen, um das besuchende
Publikum auf den unerwarteten Anblick vorzubereiten,
welchen die Ausstellung der Winterthurer Majoliken
bieten wird.
Mit ihren Anfängen noch im 16. Jahrhundert
wurzelnd und bis in die Mitte des 18. hinunterreichend,
blieb die Winterthurer Hafnerei während des ganzen
17. Jahrhunderts unumschränkte Herrin auf diesem
Produktionsfelde in der Ost- und Centralschweiz. Es
konnte bei uns nirgends eine ernstliche Konkurrenz
gegen sie aufkommen; ja ihr Ruf war so groß, daß
trotz der vielen Verkehrs- und Transportfchwierigkeiten
jener Zeiten die Winterthurer Hafner nach Süddeutsch-
land, nach dem Vorarlberg und in die entlegenen
Thäler Graubündens Oefen lieferten. Wie leistungs-
fähig diese Hafner waren, geht aus der bedeutenden
Zahl ihrer noch erhaltenen Werke hervor. Der ver-
storbene Lokalforscher Dr. A. Hafner hat überdies für
das ganze 17. Jahrhundert in Winterthur 38 zünftige
Hafnermeister — Gesellen und Lehrlinge nicht gerechnet
— nachgewiesen. Um 1674 existirten ihrer 20, zu
denen in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts noch
23 hinzukommen, „eine erstaunliche Anzahl, wenn man
in Erwägung zieht, daß die gesammte Bevölkerung des
Städtchens damals wohl wenig über 2000 Seelen be-
tragen mochte", fügt Hafner bei. Die Annahme ist
wohl richtig, daß durch diese angestrengte Thätigkeit
die Grundlage zu dem späteren bemerkenswerthen Wohl-
stände Winterthurs gelegt wurde. Besonders einge-
bürgert war das Hafnerhandwerk in den drei Familien
Pfau, Erhärt und Graf, worunter die erstgenannte
von Anfang an die leitende Stelle einnahm und sie
anderthalb Jahrhunderte hindurch behauptete, ein Fall,
der unseres Wissens in der Geschichte der Keramik einzig
dasteht. Die „Schweizerösen", wie sie im Auslande
schlechtweg genannt wurden, finden sich jetzt in den
meisten kunstgewerblichen Museen und keramischen
Privatsammlungen der Nachbarländer sowie in den
Schlössern fremder Herren, während in der Schweiz
selbst vollständige Exemplare recht selten geworden sind.

Während bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts die
grünglasirten Relieföfen mit spärlicher Bemalung des
Kranzes und einzelner untergeordneter Theile mit Email-
farben in allgemeinem Gebrauch waren, bildete sich
gegen das Ende des Jahrhunderts der eigentliche Winter-
thurer Stil der weiß glassirten, ganz polychrom be-
handelten , mit Bildern und Sprüchen geschmückten
Thurmöfen aus, die in Verbindung mit Ofenwand und
Sitz zur Hauvtzierde des Raumes wurden, für den sie
bestimmt waren. Die Herstellung dieser kleinen Bau-
werke, deren malerischer Schmuck bald wie eine Bilder-
bibel, bald wie ein mythologisches Handbuch, bald wie
eine illustrirle Schweizergeschichte auf den Beschauer
einwirkle und Alt und Jung zur Belehrung diente,


Reproduktion einer Kachel von einem Ofen vonLudw. Pfau, Winterthur.
(Text neben.)

wurde zum Monopol der Winterthurer Hafner, dem
selbst die Hauptstadt Zürich sich fügen müßte. Trotz-
dem der Bezug gemalter Oefen von Winterthur den
Stadtzürchern bei Buße verboten war, wurden dort von
den reichern Leuten beständig Bestellungen gemacht;
1632 wurde sogar für die neugegründete züricherische
Stadtbibliothek in der Wasserkirche von den Winter-
thurer Hafnern ein farbiger Fließenboden erbeten und
1699 schenkte der Rath von Winterthur die drei pracht-
vollen Pfau-Oefen in das neue Rathhaus von Zürich.
Einer davon befindet sich noch an Ort und Stelle; die
beiden andern haben in dem Schweizerischen Landes-
museum eine bleibende Stätte gefunden, wo der eine
in dem „Lochmann-Saal", der andere in dem „Winter-

thurer Kabinett" aufgestellt ist. Thatsächlich blieb
Zürich seiner Unterthanenstadt Winterthur in dieser
Beziehung ein volles Jahrhundert lang für öffentliche
und private Bauten tributpflichtig.
Allein nickt nur auf die Erstellung gemalter Oefen
erstreckte sich die Thätigkeit der Winterthurer Hafner-
werkstätten ; Hand in Hand damit ging vielmehr eine
erst in neuester Zeit nach Verdienst gewürdigte, er-
giebige Fabrikation von Gegenständen des häuslichen
Gebrauches, wie Schüsseln, Platten, Teller, Krüge aller
Art, Gießfässer, Tintengeschirre, Kalenderrahmen und
sogar Hängeleuchter nach dem Muster von in Holz
geschnitzten, sogenannten „Lüsterweibchen." Charakte-
ristisch sind unter diesen Erzeugnissen besonders die
großen runden Schüsseln, die wegen der gewöhnlich
darauf vorkommenden heraldischen Dekoration bei uns
einfach „Wappenplatten" genannt werben. Die Zahl
dieser Schüsseln muß früher eine erstaunlich große ge-
wesen sein; denn es ist kaum eine der noch bestehenden
alten Züricher und Winterthurer Familien zu nennen,
deren Wappen nicht auf Winterthurer Platten vor-
kommt. Der breite Rand solcher Wappenschüsfeln ist
gewöhnlich mit naturalistisch behandelten Früchten be-
malt; daneben kommen auch stilisirte Blumen, Orna-
mente und figürliche Darstellungen als Randdekoration
vor. Anstatt der Wappen und der Vertiefung der
Schüssel finden sich häufig Darstellungen aus der bib-
lischen Geschichte, Allegorien, Ansichten und Landschaften ;
einzelne hervorragende Exemplare sind mit Orna-
menten in Relief oder durchbrochener Arbeit verziert.
Daß diese dekorativ gehaltenen Schüsseln, die beinahe
ohne Ausnahme mit einem Oehr zum Aufhängen ver-
sehen sind, ursprünglich schon als Zimmerschmuck dienten,
ist aus alten Handzeichnungen und Stichen ersichtlich,
welche Interieurs des 17. Jahrhunderts wiedergeben
und Winterthurer Wappenplatten, an der Wand hängend
oder auf dem Büffet stehend, zeigen. Henkelkrüge in
allen möglichen Formen und Dekorationsweisen wurden
von den Winterthurer Hafnern den in Deutschland und
den angrenzenden Ländern stark verbreiteten rheinischen
Steinzeugkrügen mit solchem Erfolg entgegengestellt,
daß letztere in der Ostschweiz nur selten angetroffen
werden. Wie die gleichzeitigen Glasgemälde sind die
kleineren Produkte der Winterthurer Keramik mit ihren
Wappen, Familiennamen und figürlichen Darstellungen
auf's innigste mit dem damaligen Kulturleben ver-
wachsen, was sie, abgesehen von der künstlerischen Seite,
für den Forscher sehr anziehend macht. Winterthurer
Wappenplatten und Krüge dienten häufig als Geschenke
an Freunde, was die auf verschiedenen Exemplaren in
der Sammlung des Landesmuseums enthaltenen Wid-
mungen bezeugen; sie fanden also eine ähnliche Ver-
wendung, wie in allgemeinerer Weise die Glasmalereien.
Die zunehmende Werthschätzung, welcher sich diese bei
uns lange verkannten und im Auslande unter falscher
Flagge segelnden Erzeugnisse altschweizerischen Kunst-
fleißes endlich zu erfreuen haben, hat denn auch durch
die rasch steigenden Preise auf den Kunstauktionen
der letzten Jahre eine glänzende Bestätigung er-
fahren.
 
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