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Heidelberger Familienblätter — 1866

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No. 14 - No. 25 (2. Februar - 28. Februar)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43663#0089

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Hemelerher Zamilicnblin..

21. Sonntag, den 18. Februr 1866.
Von jenſeit des Meeres.

Von Theodor Storm.

„ Gborisehun9.)
Dem Hauſe gegenüber gelangte ich in das Bosquet, breite Steige
ſchlangen ſich ſcheinbar regellos zwiſchen Gebüſchen und kleineren Raſen-
partien; hier und dort leuchtete noch ein Jasmin mit ſeinen weißen
Blüthen aus dem Duͤnkel. Nach einer Weile trat ich auf einen ſehr brei-
ten quer vor mir liegenden Weg hinaus, jenſeit deſſen ſich majeſtätiſch und
hell vom Mond beleuchtet die Laubwände der alten Gartenkunſt erhoben.
Ich ſtand einen Augenblick und ſah daran empor; ich konnte jedes Blatt.
erkennen; mitunter ſchwirrte über mir ein großer Käfer oder ein Schmet-
terling, aus dem Laubgewirr in die lichte Nacht hinaus. Mir gegenüber
führte ein Weg in das Innere; ob es derſelbe war, deſſen Dunkel mich
zuvor von der Terraſſe aus gelockt, konnte ich nicht entſcheiden; denn das
Gebüſch verwehrte mir den Rückblick nach dem Herrenhauſes.
Auf dieſen Steizen, die ich nun betrat, war eine Einſamkeit, die mich
auf Augenblicke mit einer traumhaften Angſt erfüllte, als würde ich den
Rückweg nicht zu finden wiſſen. Die Laubgewände an beiden Seiten
ſtanven ſo dicht und waren ſo hoch, daß ich nur wie abgeſchnitten ein

Stückchen Himmel über mir erblickte. Wenn ich, wo ſich zwei Gänge ö

kreuzten, auf einen etwas freieren Platz gelangte, ſo war mir immer, als
müſſe aus den Schatten des gegenüberliegenden Ganges eine gepuderte
Schöne in Reifrock und Contuſche am Arm eines Stutzers von anno 1750
in den Mondſchein heraustreten. Aber es blieb alles ſtill; nur mituñter
hauchte die Nachtluft wie ein Athemzug durch die Blätter.
Nach einigen: Kreuz⸗ und Quergängen befand ich mich an dem Rande
eines Waſſers, das von meinem Standort aus etwa 100 Schritte lang und
vielleicht halb ſo breit ſein mochte, und von den es an allen Seiten um-
gebenden Laubwänden nur durch einen breiten Steig und einzelne am
Ufer ſtehende Bäume getrennt war. Weiße Teichroſen ſchimmerten überall
aus der ſchwarzen Tiefe; zzwiſchen ihnen aber in der Mitte des Baſſins
auf⸗einem Poſtamente, das ſich nur sben über dem Waſſer erhob, ſtand
einſam und ſchweigend das Marmorbild der Venus. Eine lauiloſe Stille
war an dieſem Platze. Ich ging an dem Ufer entlang, bis ich dem Kunſt-
werke ſo nahe als möglich gegenüberſtand. Es war offenbar eine der
ſchönſten Statuen aus der Zeit Louis quinze. Den einen der nackten
Füße hatte ſie ausgeſtreckt, ſo daß er wie zum Hinabtauchen in die Fluth
nur eben über dem Waſſer ſchwebte; die eine Hand ſtützte ſich auf einem
„Felsſtück, während die andere das ſchon gelöſte Gewaͤnd über der Bruſt
zuſammenhielt. Das Antlitz vermochte ich von hier aus nicht zu ſehen;
denn ſie hatte den Kopf zurückgewandt, als wolle ſie ſich vor unberüfenen
Lauſchern ſichern, ehe ſie den enthüllten Leib den Wellen anvértrauer
Der Ausdruck der Bewegung war von ſo täuſchendem Leben und da-
 
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