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Heidelberger Familienblätter — 1866

DOI Kapitel:
No. 90 - No. 103 (1. August - 31. August)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43663#0389

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Danenna Tanuleulühe.

96.— d den 15. a

ö Ein Gottberirtnen.
von N. D. 8. emme —

*

ö „(Fortſetzung.) ö
I dem Zumer herſcht Todtenſtille. Sie danerte länger als eine
halbe Minute. Auch draußen auf dem Platze, in den Straßen war es
ſtill! Man hörte keinen Menſchen ſprechen, und man hätte das leiſeſte
Geräuſch, das dort war, vernehmen müſſen. ö
Der Buckelige wurde unruhig. Er horchte nach dem Platz, nach den
Straßen. Es blieb ſtill dort. Er wurde ängſtlich. War der Angeklagte
wirklich freigeſprochen? Er hatte den Wahrſpruch der Geſchwornen ſelbſt
nicht gehoͤrt; er hatte nicht einmal gehört, daß ſie in den Saal zurückge-
kommen waren. Nur ihre Thür, war geöffnet worden; ſelbſt das wußte

er nicht gewiß; es konnte auch eine andere Thür geweſen ſein. Gewiß

war nur der Jubel, den er gehört hatte, das Hoch, das ſie dem Angeklag ·
ten, den Geſchwornen brachten. Es konnte ſich nur auf eine Freiſprechung
beziehen; auch das wahr wohl gewiß. Aber konnte nicht ein Mißoerſtänd-
niß vorliegen, eine Uebereilung? Es hätte freilich nur die Uebereilnng eines
Augenblicks ſein können, und der Jubel und das Rufen hatte ſich aus dem
Saale durch das ganze Haus fortgeſetzt und aus dem Hauſe auf die Straße,
und aus dem Fenſter hatte Einer laut die Freiſprechung verkündet. Aber
ein Mißverſtändniß, wie es raſch entſteht, läuft ſchnell weiter fort, und
die Berichtigung hinkt langſam hinterher und' hält ſeinen Lauf nicht auf.
Und draußen auf dem Platze und in den Straßen des entlegenen
Stadttheiles war es ſtill und blieb es ſtil; noch immer hörte man keinen
Schritt, keine Stimme eines Menſchen. Es war ein langer Weg von dem
Gerichtshauſe bis hieher. War auf ihm das Mißverſtändniß ereilt, aufge
halten? Den Buckeligen überlief es ſiedend heiß.

Allmächtiger Gott, wenn er nicht freigeſprochen wäre! Wenn die Ge-
ſchwornen ihn für ſchuldig erklärt, ihn zum Tode verurtheilt hätten! Warum
wäre es ſonſt ſo ſtill draußen? Warum käme noch immer Niemand? Frei-
lich, mußte nicht Jeder ſich ſcheuen, die Nachricht des Todesurtheils in das
Haus des Verurtheilten zu bringen, ſeinen Kindern, der armen Kranken?
Aber einmal mußte ſie kommen. Uud bald, letzt Rleich. Es war nicht mehr
weit von Mitternacht! ö
Kann ich babei ſein? Könnte ich es anhören? rief es wie mit Stim-
men der Furien in dem Burſchen. Er ſtand leiſe auf und trat an das
Ruhebett der Kranken. Sie hatte die Augen noch geſchloſſen; ſie ſchlief,
unruhig zwar, aber ſie ſah und hörte ihn doch nicht, wenn er ging, und
ſehen durfte ſie ihn nicht. Er konnte ihr nie wieder vor die Augen tyeten,
wenn er ihr die falſche Nachricht gebracht hatte, wenn ihr Vater zum Tode
verurtheilt war. Er wollte das Zimmer verlaſſen.
Wohin willſt du, Matthes? fragte ihn der Bruder der Kranken.
Ich romme gleich wieder, Herr Auguſt. ö
 
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