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Heidelberger Familienblätter — 1866

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No. 90 - No. 103 (1. August - 31. August)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43663#0381

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Heidelherger Tamilienblälter.

94. reitag, den 10. u — m60

Ein Gottvertrauen. 5
Kriminalgeſchichte von J. b. H. Temme.

— (orlehang 5* ö
Er wird nicht mehr laufen können. Es war ein weiter T Weg. Aber
was iſt das. Er ſteht! Zwanzig Schritt vom Hauſe! Hat er nicht den
Muth, weiter zu gehen, zu mir zu kommen? Hätten ſie ihn ſchuldig ge-
ſprochen? — Nein, nein! Still, da geht er wieder voran! Aber ſo lang-
ſam! Aber iſt er es denn d Iſt das ſein Schritt? Er iſt am Hauſe! An
der Thür!
Er kann es nur ſein. Großer Gott, was mag er bringen! ö
ODraußen an der Hausthür wurde die Glocke gezogen. Sie tönte hen
durch die Nachtſtille des Hauſes.
Die Kranke warf noch einen raſchen Blick auf den Knaben an dem
Tiſche, dieſer ſchlief ſo feſt auf ſeinem Buche. Er hatte nichts gehört.
Sie horchte nach der Hausthür, nach dem Gange. Aber ſie fiel auf
ihre Kiſſen zurück, erſchöpft, kreideweiß; ihr Athem ging ſchwer. Das arme
Kind war gar zu ſchwer angegriffen.
Sie flog wieder in die Höhe.
Die Magd war aus der Küche gekommen, die Hausthür zu Iſſnen.
Sie machte ſie auf. Sie ſprach mit Jemanden; es wurde ihr geantwortet.
ö Auguſt! rief entſetzt die Kranke. Er, er! und keztn In dieſen
Augenblick!
Die Thür des Zimmers öffnete ſich.
Die Kranke hatte recht gehört!
— Es war nicht der bucklige Burſch, der eintrat. nicht der brave chr-
liche, treue Matthes, der der erſte ſein wollte „ ihr die Freiſprechung des
Vaters zu verkünden.
ö Ihr Bruder Auguſt trat ein, der Dieb, der Mörder ſeines Baters,
wenn der treue Matthes nicht die Nachricht der Freiſprechung bringen konnte.
Der Doctor Frank hatte drei Kinder, Anguſt, Louiſe, Fritzz.
ſen. Kranke war immer der ſchöne, flare, milde, gottverirauende Engel
geweſen
Fritz verſprach der brave, muthige und feſte Vater zu werden.
Auguſt, der älteſte, ſtand jetzt in ſeinem neunzehnten Jahre, er
hatte das Talent ſeines Vaters geerbt, aber nicht deſſen ernſten, ſtrengen
Charakter. Zum Leichtſinn geneigt, hatte er zugleich Schwäche und Unab-
hangigkeit von Anderen gezeigt. So hatte er ſchon äls Knabe ſeine Mit-
ſchüler zu Manchem verleitet, was den Namen ſchlechte Streiche verdient
haben würde, wenn es nicht eben von unreifen Knaben ausgegangen waäͤre;
noch öfter hatte er von den Andern ſich ſo verleiten laſſen. Er hatte da-
durch ſeinem Vater mannigfachen Verdruß, der Mutter mannigfachen Kum-
mer verurſacht. Oft genug hatte er Beſſerung verſprochen; ebenſo oft
hatte er ſie ſich vorgenommen. Er konnte weder ſeinen Verſprechungen,
noch ſeinen Vorſätzen treu bleiben. Mit den zunehmenden Jahren trat zu
 
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