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Heidelberger Familienblätter — 1866

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No. 117 - No. 130 (3. October - 31. October)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43663#0481

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heidelberger Familienblätter.

I19:. Sinutag, den 2. October 15866.
Frauenehre.

Eine Novelle von A. Ma v. —

. ö ö (Fortſetzung.eI
Otto war einen Augenblick im Zweifel, ob er die Klingel ziehen ſolle,
allein in dem Briefe ſtand „dritte Etage“ deutlich; eine zweite Thür war
nicht vorhanden; der Verſuch mußte alſo gemacht werden. Er zog die
Klingel. Ein Dienſtmädchen öffnete. Seine Frage, ob hier ein Herr
Mielchthal wohne, wurde bejaht. Das Mädchen führte ihn zu einer der
Thüren des innern Vorplatzes. Auf ſein Klopfen ertönte ein „Herein“
und Otto trat in ein Gemach, welches zwar nicht ſehr geräumig war, aber
ſchon auf den erſten Anblick den Eindruck eines bequem eingerichteten
Wohnzimmers machte. An einem Fenuſter, durch welches eben die Mittags-
ſonne ihre freundlichen Strahlen hineinwarf, ſaß ein noch junger Mann
im Schlafrocke. Beim Eiutritt Otto's entfuhr dem Bewohner des Zim-
mers ein Ausruf der Freude. Er erhob ſich und trat auf Otto zu. „Wie
gut ſind Sie, lieber Baron, meiner Bitte ſo ſchnell zu willfahren,“ redete
Otto an. ———
Otto erkannte ſogleich die Züge ſeines einſtigen Spielgenoſſen. Das
Geſicht hatte nie eine beſondere Jugendfriſche; gegenwärtig trug es aber
noch die Spuren einer überſtandenen ſchweren Krankheit unverkennbar an
ſich. Seine Magerkeit fiel umſomehr auf, als ſie durch keinen Bartwuchs
verdeckt wurde. Die Bläſſe, mit der es überzogen war, trat durch den
Gegenſatz der langen, ſchwarzen, rückwärts gekämmten Haare und der
Heror Anlage zur Schwärmerei verrathenden Augen nur noch greller
ervor. — ᷣ*
Otto, von Mitgefühl für die leidende Erſcheinung ergriffen, drückte
ihm die Ueberraſchung, welche der Brief in ihm hervorgerufen, unbefangen
aus und forderte den Kranken auf, ſeiner vollen Bereitwilligkeit zu jeder
Dienſtleiſtung ſicher zu ſein. ö
„Ich nehme Ihr Anerbieten mit aufrichtigſtem Danke an,“ erwiederte
der Jugendgeſpiele. „um Ihnen jedoch mitzutheilen, was Gegenſtand
meiner Bitte iſt, muß ich Ihnen einige Auskunft über mein ſeitheriges
Schickſal geben.“ Er führte Otto zum Sopha, und nachdem Beide Platz
genommen hatten, begann Flemminnnz Bů. *
ö „Meine Jugendgeſchichte iſt ſchon oft dageweſen. Ich will Ihnen alſo
nur kurz erzählen: Ich bezog die Univerſität, um mich der Theologie zu-
widmen, fand jedoch keinen Geſchmack an meinem Fachſtudium, deſto mehr
am Theater, verſuchte mich auf der Bühne, fand Aufmunterung und wurde
nun hinter dem Rücken meiner Familie Schauſpieler. Durch die Vermitt-
luug eines meiner Freunde, eines anerkaunten Namens in der Theaterwelt,
erhielt ich ein Engagement an der Bühne einer größeren norddeutſchen
Handelsſtadt. Seit jener Zeit führe ich den Namen Melchthal. Ich wollte
aus Rückſichten, die ich den Meinigen ſchuldig zu ſein glaubte, den Namen
Flemming nicht in das Theaterleben mit hinübernehmen. Erſt von dort,
 
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