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Heidelberger Familienblätter — 1866

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No. 131 - No. 142 (4. November - 30. November)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43663#0537

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Hewelberger Familienblätter.

35— re ben 9 Honenber 1866.

Troauenehre. *
Eine Novelle von A. Mav.

(dortſehing.
ö Sich Lenore 4l6 Meichthar's Frau zu denken, ſchien ihm unmöglich.
unerträglich. Zwar, Melchthal hatte ſelbſt bekennen müſſen, keine Proben
beſonderer Neigung von ihr zu beſitzen. Aber der Antrag hatte ſeine ver-
lockenden Seiten für ſie, namentlich, wenn ſie in der That mit einer ſol-
chen Hingebung an ihrer Kunſt hing und wenn ſie unter den Folgen die-
ſes verwünſchten Duells litt. Andrerſeits ⸗konnte er ſich. nicht denken, daß
Lenore ihre Hand ohne Liebe, ohne heiße, warme Liebe vergeben werde.
Melchthal hielt ſie keiner ſolchen faͤhig. Otto glaubte, die gegentheilige ö
Beobachtung gemacht zu haben.
Die größte Wirkung übten Melchthal's Aeußerungen hinſichtlichdor
Gründe, aus welchen er ſich über Lenoren's Vergangenheit hinwegſetzen zu
müſſen glaubte, auf Otto aus. Der Gedanke, daß die Rückſicht auf Leno-
ren's Glück eine, Pflicht ſei, die höher ſtehe, als alle Bedenken über die
Meinung der Welt, trat ihm bei ſeiner erſten Auffaſſung als eine tiefe
Wahrheit entgegen. Er konnte Melchthal ſeine höchſte Achtung nicht ver-
ſagen, daß er ſich ſo friſch und muthig eniſchloſſen hatte, ſofort der er-
Kkannten Pflicht gemäß zu handeln. ö
ö Unwillkürlich pochte die Frage an ſein Herz/ ob er nicht ſelbſt bei
ähnlichen Empfindungen für Lenore zu einem ſolchen Entſ ſchluſſe hätte
kommen ſollen, zumal, wenn ſeine Duellgeſchichte, wie Melchthal ſagte,
Schuld trug, ihr die Gegenwart zu verbittern. — Wir müſſen hier nach-
träglich bemerken, daß ihn namentlich dieſe Aeußerung ſehr ſchmerzlich be-
rührt hatte.
Freilich, meinte er, ein Mann in Meſchthal's Stellung⸗ habe⸗ hierbei
weniger Hinderniſſe zu überwinden, als dies bei ihm der Fall wäre. Und.
dann — fagte er ſich — lag die Folge, die das Duell für Lenore gehabt
haben ſoll, im Kreiſe meiner Berechnung ? Muß nicht jeder Uubefangene
einräumen, daß ich mich hier in einer Weiſe benommen habe, die mir,‚,
Lenoren gegenüber, nur zum Verdienſte anzurechnen iſt? Hat mir nicht
Lenore ſelbſt dies deutlich zu erkennen⸗gegeben?
Endlich beſchwichtigte ihn eine nähere Prüfung des Gedankens Melch-
thal's vollends. Eine Pflicht, rief er ſich zu, kann nur beſtehen, wenn
man zu der Ueberzeugung gekommen wäre, durch einen ſolchen Schritt
allein Lenore glücklich machen zu können, wenn man zur Einſicht gekom-
men wäre, daß ſich Lenore außerdem unglücklich fühlen würde. Trüge
Lenore eine Neigung zu mir im Herzen, die ihr das Leben ohne mich in-
haltslos, freudenleer erſcheinen laſſen würde, dann, ja dann wöre die Mei-
nung der Welt zuletzt doch nichts Anderes, als ein Vorurtheil, dann wäre
es allerdings, wie Melchthal ſagte, kleinlich, der Rückſicht auf ein ſolches
Vorurtheil ſein eigenes Gluck und das Glück eines ſo vortrefflichen Weſens
zu opfern; dann müßte ich mich vor mir ſelbſt ſchäamen, wenn ich nicht
 
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