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Heidelberger Familienblätter — 1866

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No. 1 - No. 13 (3. Januar - 31. Januar)
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Heidelberger 2—.——

— —.— den 21. d — — 1866

9.

Aus einer kleinen Stadt.

Oumoreske von Adorf Beneke.
(Sonb)
Es war am Nachmiüttage deſſelben Tages, als ſich Roſine mit threr
Mutter allein im Zimmer befand. Dieſe war eifrig mit einem Strumpfe,
jene mit der Lektüre eines modernen Romans beſchäftigt.
„Hör' mal, mein Kind,“ hub jetzt die Mutter an, yboꝛ; mal, ich habe
was Wichtiges mit Dich zu beſprechen.“
„Nun, theure Mama 2⸗ fragte geſpannt die Tochter, indem ſie das
Buch aus der Hand legte.
„Liebe Roſine, ſag' mich mal Deine aufrichtige Meinung über unſern
Miethsmann, den Muſcheh (Monſieur) Braunau.
Ein liebliches⸗ Roth verklärte die Wangens Roſinens und verſchämt
ö fragte ſie? „Wie meinſt Du das, theure Mama?“
ö „Na, ich meine man ſo. Sieh einmal, der Herr Braunau — halt'
mal, mir ſind ein paar Maſchen gefallen, eine, zweie, dreie, viere, fünfe,
ſo — ja der Herr Braunau wohnt nun ſchon vier Monate bei uns, hat
dazu bei uns gegeſſen und getrunken und mich noch keinen Pfennig bezahlt.
Na, das drückt mir wohl nicht; ich habe es ja, warum ſollte ich da nicht;
aber dennoch möchte man nicht gern betrogen werden.“
„O Mutter, ich bitte Dich, betrachte das offene Geſicht des Doktors,
ſnr ſeine Stirn, ſchau⸗ ſein klares Aug'! Der ein Betrüger? Nimmer-
mehr!“
Na, na, das wohl nicht; er iſt ja auch ſonſt ein ganz netter Menſch,
lobt die Wohnung, lobt mein Eſſen und Trinken, lobt meine Wirthſchaft
und lobt vor Allem mir. Das mag ich von dem jungen Menſchen wohl
leiden, aber der Bäcker borgt mich darauf kein Zweipfennigbrod.“
„O Mutter, ſo erlaube mir denn, daß ich Dir ein offenes Bekennt-
niß ablege. Sieh, ich lebte in einer Wüſte, in einer Oede, wo kein Quell
mich erquickte kein Baum, kein Strauch mir Schatten und Kühlung ge-
währte, keine Sonne einen mild erwärmenden, leuchtenden Strahl auf mich
herniederſenkte. Nur die hehre Dichtkunſt, dieſe liebliche Tochter des Him-
mels, führte mich bisweilen hinaus ans ſolch ſchrecklichem Daſein, ließ
mich ihren Nektar koſten und — ſchwand wieder, um mich unglücklicher,
beklagenswerther denn je zurückzulaſſen. Da endlich, zendlich erſchien an
meinem dunkeln Himmel der ſo heiß, ſo latig erſehnte, ſo beglückende
Stern der — Liebe. Ich ſah ihn, ihn, der mir im Träumen und Wachen
vorgeſchwebt, ihn, mein verkörpertes Ideal. Sehen und lieben war Eins.
O Mutter, theure Mutter, Du haſt die Liebe nicht gekannt, Du —“
ö „O bitte, ich und der ſeligé Meier —“
„Mutter, das war die Liebe nicht, nein, nimmernehr! I0. aber liebe!
So recht init dem Bichter fühle ich: e
Zwei Seelen und Ein Geßanke,
Zwei Herzen und Ein Schlag.“
 
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