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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 47.1936

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Mayreder, Friedrich: Ein Wohnhaus in Wien
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https://doi.org/10.11588/diglit.10943#0059

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INNEN-DEKORATION

47

EIN WOHNHAUS IN WIEN

Am Beginn des Werdens eines Hauses stehen zwei
Xa. Faktoren, und zwar ein aktiver und ein passiver.

Der aktive ist der Bauherr. Die Form seiner tat-
sächlichen Existenz ist, spottend dem Sprachge-
brauch, an keinerlei Geschlecht geknüpft. Der Bau-
herr kann auch eine Baufrau sein - und ist es auch
zumeist. Nicht immer ist er zudem eine Einzelperson,
oft, zu oft tritt eine Vielheit an seine Stelle, die durch-
aus nicht aus Trägern gleicher Absichten und Wünsche
zu bestehen braucht. Ja, diese bauherrliche Vielheit
von (meistens) Familienmitgliedern ist kaum je ge-
wollt, dennoch aber ist sie plötzlich da. Des Archi-
tekten Aufgabe ist es, ihrer aller bemühtes Wollen in
die ihm eigene und eigentümliche Bahn des Bauens,
Aufbauens, Ausbauens still und unbemerkt ein-
fließen zu lassen. Wer - gleichviel ob gestern, heute
oder morgen - kritischen Auges und Herzens vor
oder in einem Hause steht, der hört dann nichts mehr
von freundschaftlichem Krieg und Frieden zwischen
Bauherrn und Architekten. Das Haus bleibt nun völlig
auf sich selbst gestellt. Nicht das Werden, das Sein
lenkt jetzt das Urteil des Beschauers wie des Insassen.

Der andere, der als passiver Faktor an der Wiege
allen Bauens steht und von dem wir eingangs spra-

1936. ii. 2.

chen, ist das Grundstück. Es redet und fordert
nicht mit Worten. Architekt und Bauherr müssen
auf eine stumme Sprache horchen, müssen auf sie
hören, sie verstehen, ihr folgen. Mißverstehen und
Unterlassen rächt sich späterhin unweigerlich.

Das heute vorgeführte Wiener Wohnhaus Fritz
Reichls vermittelt in nichts den Eindruck, eines
Kompromisses Kind zu sein. In bewußter Überlegung
ordnet und baut es seine Räume neben- und überein-
ander, fügt es sich den harten Notwendigkeiten des
engen Grundstückes in neuerschlossenem großstädti-
schem Gelände, für das 5 Meter Vorgarten und je
3 Meter seitlicher Bauwich vorgeschrieben war. Eine
um weniges größere Ellbogenfreiheit ergab sich dies-
mal aus dem Umstand, daß es sich um eine Eck-
parzelle handelt. Die Kosten betrugen ohne Bau-
grund 70000 Schilling.

Das Haus steht an einem Südhang am Rande der
Großstadt, am Schafberg, wo ausgedehnte Lauben-
kolonien der Nachkriegsjahre gegen die »Villen-
viertel Wiens branden. Sind auch Terrassen bei derlei
freistehenden Wohnhäusern meistens nichts als ein
kostspieliger modischer Unfug: hier haben sie Sinn
und Berechtigung. Denn von der Südseite, zugleich
 
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