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INNEN-DE KOR AT ION
ERICH SCHILLING-MÜNCHEN-GAUTINO »SOMMFR«
WANDGEMÄLDE IM FESTSAAL DES KURHAUSES IN BADEN-
setzten Ornament ist es freilich nicht getan, sondern:
Je mehr sich eine stimmungtragende Form mit ech-
tem Stoff und gediegener Arbeit verbindet, desto tiefer
gäht ihre Wirkung; daher sie ihre höchsten Möglich-
keiten erst dort erreicht, wo sie unmittelbar den
architektonischen Körper ergreift und Gebilde hervor-
bringt, vor denen man, wie einmal Heinrich Wacken-
roder sagte, mit Gefühl und Gedanken unwidersteh-
lich in eine bestimmte, eindeutige Richtung, meist
natürlich der erhabenen Art, gelenkt wird. — H. L.
EINE NEUE KUNDE VOM WANDBILD
Nichts spricht deutlicher von einer be-
stimmten Lücke im Lebensgefühl des
modernen Menschen als der Verfall des
Wandbildes. Wir wissen nicht mehr, was
das Wandbild war. Wir wissen erst recht
nicht, was es uns heute wieder sein könnte,
wenn wir unser eignes Menschsein, unser
Wohnen, Bauen, unser Verhältnis zum
Innenraum recht verstünden.
Wir haben die Überlieferung des Wand-
bildes verfallen lassen, weil wir es für eine
Sache des Schmuckes hielten. Dadurch ge-
riet für uns das Wandbild unter die Rubrik
jener »dekorativen Zutaten«, jener überflüs-
sigen, kostümhaften, fälschenden »Verzie-
rungen«, von denen wir nichts mehr wissen
wollten. Aber das Wandbild ist nicht
Schmuck im Sinn der Zutat. Es ist Gedanke
und Wort. Es ist geistige Lebensbearbei-
tung. Es ist Sprache für Ideen und Lebens-
gefühle, für Begeisterungen und mächtige
gemeinschaftliche Freuden. Gewiß kann
auch schon ein Raum an sich, als architek-
tonische Form, geistige Wirklichkeiten
dieser Reihe zum Ausdruck bringen. Aber
wieviel deutlicher, wie unendlich viel spre-
chender werden sie vom Wandgemälde ins
Wort gebracht! Und nur da ist der Mensch
im Vollbesitz seiner eigenen Welt, wo er
seine Götter nennt und bekennt, wo er
seine Verehrung ausspricht und das Ja
seines Bewußtseins an sie richtet. Es ist ge-
radezu ein Zeichen für ein teilweises Ver-
stummen, ja für ein Verstummen-Wollen
des modernen Menschen, daß er sich das
Wandbild versagt und durch immer radi-
kalere Theorien verleidet hat. Wir sehen
heute deutlich, in welchem Zusammenhang
dies steht zur fortschreitenden »Entmen-
schung« der uns umgebenden Welt, zur
Herrschaft der Sachen, die wir sich errich-
ten sahen und die gewiß der geheime Kern-
punkt des modernen Kulturzerfalls ge-
wesen ist. IstdieKirchenureinemSchmuck-
bedürfnis gefolgt, wenn sie Wandfelder und
Nischen der Kirchenräume mit den Gestal-
ten der Glaubenshelden füllte? War es
bloßer Zierat, wenn die Rathäuser, die Fürstenpaläste,
die Adels- und Kaufherren-Höfe, die Thermen, die
Versammlungshallen, Torbauten, Gedenksäulen in
Standbildern, Reliefs und Gemälden von großen Män-
nern und Taten redeten? Nein - sondern ein Nennen
und Bekennen von führenden Mächten lag darin, und
eben damit eine Aufforderung und ein Ansporn, eine
gestaltende und verpflichtende Einwirkung. Welch ein
Wahn, zu glauben, daß ein Raumgebilde nur solche
Zwecke habe, die das Leibliche des Menschen betref-
INNEN-DE KOR AT ION
ERICH SCHILLING-MÜNCHEN-GAUTINO »SOMMFR«
WANDGEMÄLDE IM FESTSAAL DES KURHAUSES IN BADEN-
setzten Ornament ist es freilich nicht getan, sondern:
Je mehr sich eine stimmungtragende Form mit ech-
tem Stoff und gediegener Arbeit verbindet, desto tiefer
gäht ihre Wirkung; daher sie ihre höchsten Möglich-
keiten erst dort erreicht, wo sie unmittelbar den
architektonischen Körper ergreift und Gebilde hervor-
bringt, vor denen man, wie einmal Heinrich Wacken-
roder sagte, mit Gefühl und Gedanken unwidersteh-
lich in eine bestimmte, eindeutige Richtung, meist
natürlich der erhabenen Art, gelenkt wird. — H. L.
EINE NEUE KUNDE VOM WANDBILD
Nichts spricht deutlicher von einer be-
stimmten Lücke im Lebensgefühl des
modernen Menschen als der Verfall des
Wandbildes. Wir wissen nicht mehr, was
das Wandbild war. Wir wissen erst recht
nicht, was es uns heute wieder sein könnte,
wenn wir unser eignes Menschsein, unser
Wohnen, Bauen, unser Verhältnis zum
Innenraum recht verstünden.
Wir haben die Überlieferung des Wand-
bildes verfallen lassen, weil wir es für eine
Sache des Schmuckes hielten. Dadurch ge-
riet für uns das Wandbild unter die Rubrik
jener »dekorativen Zutaten«, jener überflüs-
sigen, kostümhaften, fälschenden »Verzie-
rungen«, von denen wir nichts mehr wissen
wollten. Aber das Wandbild ist nicht
Schmuck im Sinn der Zutat. Es ist Gedanke
und Wort. Es ist geistige Lebensbearbei-
tung. Es ist Sprache für Ideen und Lebens-
gefühle, für Begeisterungen und mächtige
gemeinschaftliche Freuden. Gewiß kann
auch schon ein Raum an sich, als architek-
tonische Form, geistige Wirklichkeiten
dieser Reihe zum Ausdruck bringen. Aber
wieviel deutlicher, wie unendlich viel spre-
chender werden sie vom Wandgemälde ins
Wort gebracht! Und nur da ist der Mensch
im Vollbesitz seiner eigenen Welt, wo er
seine Götter nennt und bekennt, wo er
seine Verehrung ausspricht und das Ja
seines Bewußtseins an sie richtet. Es ist ge-
radezu ein Zeichen für ein teilweises Ver-
stummen, ja für ein Verstummen-Wollen
des modernen Menschen, daß er sich das
Wandbild versagt und durch immer radi-
kalere Theorien verleidet hat. Wir sehen
heute deutlich, in welchem Zusammenhang
dies steht zur fortschreitenden »Entmen-
schung« der uns umgebenden Welt, zur
Herrschaft der Sachen, die wir sich errich-
ten sahen und die gewiß der geheime Kern-
punkt des modernen Kulturzerfalls ge-
wesen ist. IstdieKirchenureinemSchmuck-
bedürfnis gefolgt, wenn sie Wandfelder und
Nischen der Kirchenräume mit den Gestal-
ten der Glaubenshelden füllte? War es
bloßer Zierat, wenn die Rathäuser, die Fürstenpaläste,
die Adels- und Kaufherren-Höfe, die Thermen, die
Versammlungshallen, Torbauten, Gedenksäulen in
Standbildern, Reliefs und Gemälden von großen Män-
nern und Taten redeten? Nein - sondern ein Nennen
und Bekennen von führenden Mächten lag darin, und
eben damit eine Aufforderung und ein Ansporn, eine
gestaltende und verpflichtende Einwirkung. Welch ein
Wahn, zu glauben, daß ein Raumgebilde nur solche
Zwecke habe, die das Leibliche des Menschen betref-