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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 47.1936

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Mahnung des Festsaals
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https://doi.org/10.11588/diglit.10943#0378

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366

INNEN-DEKO RATION

»SPEISESAAL« KURHAUS BADEN-BADEN WERKSTATTEN ANTON PÖSSENB ACHER

MAHNUNG DES FESTSAALS

Jeder Festsaal mahnt an etwas, das wir im Alltag oft
vergessen. Er mahnt daran, daß uns im Grunde das
ganze Leben ein Fest sein sollte, daß selbst seine
schwungloseren Strecken von einem festlichen Augen-
blick herkommen und auf eine künftige Festfreude
hinwandern sollten. Dieses Verlangen, diese Anlage,
nur im Fest den wahren Erfüllungsaugenblick des
Lebens zu finden, liegt in uns allen. Nur daraus ist es
zu verstehen, daß das Festefeiern keineswegs bloß
eine Begleiterscheinung höherer Kulturzustände ist,
sondern daß es gerade in primitiveren Lagen eine
außerordentliche Rolle spielt. Das ist so deutlich, daß
man fast zu sagen versucht ist: Den eigentlichen
»grauen Alltag« hat erst der Kulturmensch erfunden.
Mit Feiern der Sonnwende, der Ernte, der Jagdfreude,
der Männerweihe, ja sogar mit Festen der Trauer und
der Angst sieht man das Leben der Naturvölker durch-
setzt. Und wo diese naturhafte Führung des Fest-

lebens geschwunden ist, werden andre Anlässe gefun-
den, bis hinab zu jener tristen Festindustrie, die in
Städten und Dörfern ihre billigen Räusche spendet.
Überall hören wir aus den Festgepflogenheiten der
Völker heraus, daß nur die Feststunde als eine Stunde
des wahrhaft gelebten Lebens gilt. Wenn Schiller
sagt: »Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er
spielt«, so meint er dasselbe. Das Bedürfnis nach der
festlichen Stunde ist ein echtes Menschenbedürfnis.
Edlere Naturen werden freilich den Schwung des Da-
seins, auf den dieses Bedürfnis abzielt, auf höherer
Ebene zu finden wissen, im Dienst für die Gemein-
schaft, im geistigen Streben. Aber gerade sie werden
verstehen, was andre in lichterhellte Säle und zu
fröhlichen Nebenmenschen treibt: Es ist das Ahnen,
daß unser Leben nicht karg und schwunglos dahin-
schleichen, sondern daß es sich in größeren Rhyth-
men, in Gemeinschaftsrhythmen bewegen soll. H. R.
 
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