Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 47.1936
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https://doi.org/10.11588/diglit.10943#0364
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Michel, Wilhelm: Aufgeschlossenes Wohnen
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INNEN-DE KOR AT ION
AUFGESCHLOSSENES WOHNEN
ohnen war in früheren Zeiten vor allem eine
Sache der Abschließung, ja der Verteidigung
gegen eine als unzuverlässig empfundene Außenwelt.
Wir reden von Haus und von Natur in den gleichen
Ausdrücken, einerlei ob wir dabei vom 17. oder vom
20. Jahrhundert sprechen. Aber welch ein Unter-
schied in den gegenseitigen Beziehungen, in den
Funktionen ! Natur umgab den Menschen immer, und
immer hatte sie ihm etwas zu sagen. Aber man höre
noch Fichte 1799 in seiner »Bestimmung des Men-
schen« die »rohe« Natur förmlich verketzern und den
Menschen zu ihrer rücksichtslosen »Bearbeitung« an-
stiften! Selbst der Reisende im Postwagen fuhr durch
diese Natur nur mit der geladenen Pistole in der
Tasche. Der Reiter, der zwischen Heidelberg und
Bruchsal durch dichte Waldungen kam, empfand sie
als »schauerlich«, weil der Gedanke an Wegelagerer
mit ihm ging. Hätte die Goethezeit diese betonte Vor-
liebe für die saubere, tischglatte Kulturlandschaft
haben können, wenn sie nicht mit der ungepflegten
Landschaft den Begriff der Gefährdung verbunden
hätte? Und das gleiche Gefühl gestaltete die Häuser:
Fester Abschluß gegen außen, nach dem geheimen
Ideal der Burg, weil nur auf die tatsächliche Wider-
standskraft der Mauern und Türen Verlaß war.
Heute sind die Beziehungen zwischen Haus und
Umwelt grundsätzlich unter ein neues Gesetz ge-
stellt: unter das des gegenseitigen Vertrauens. Das
bedenken wir vermutlich nicht so genau, wie es sich
gehört; sonst könnten uns die zugehörigen Folgerun-
gen nicht so befremden, wie sie es manchmal noch
tun. Eine Zeit, deren Ärzte die Luft für schädlich
und die Sonne für augenzerstörend hielten, eine Zeit,
da man bei schlechter Atemluft im Zimmer nicht
etwa die Fenster öffnete, sondern räucherte, muß
einen andern Haustyp erzeugen als eine Zeit, die um
Sauerstoff, um Heilkraft und Lebenserweckung durch
Sonne weiß. Austausch und Vertrauen bestimmen
heute ein Verhältnis, das einstmals von Abschluß
und Mißtrauen bestimmt war. — Wilhelm michel
INNEN-DE KOR AT ION
AUFGESCHLOSSENES WOHNEN
ohnen war in früheren Zeiten vor allem eine
Sache der Abschließung, ja der Verteidigung
gegen eine als unzuverlässig empfundene Außenwelt.
Wir reden von Haus und von Natur in den gleichen
Ausdrücken, einerlei ob wir dabei vom 17. oder vom
20. Jahrhundert sprechen. Aber welch ein Unter-
schied in den gegenseitigen Beziehungen, in den
Funktionen ! Natur umgab den Menschen immer, und
immer hatte sie ihm etwas zu sagen. Aber man höre
noch Fichte 1799 in seiner »Bestimmung des Men-
schen« die »rohe« Natur förmlich verketzern und den
Menschen zu ihrer rücksichtslosen »Bearbeitung« an-
stiften! Selbst der Reisende im Postwagen fuhr durch
diese Natur nur mit der geladenen Pistole in der
Tasche. Der Reiter, der zwischen Heidelberg und
Bruchsal durch dichte Waldungen kam, empfand sie
als »schauerlich«, weil der Gedanke an Wegelagerer
mit ihm ging. Hätte die Goethezeit diese betonte Vor-
liebe für die saubere, tischglatte Kulturlandschaft
haben können, wenn sie nicht mit der ungepflegten
Landschaft den Begriff der Gefährdung verbunden
hätte? Und das gleiche Gefühl gestaltete die Häuser:
Fester Abschluß gegen außen, nach dem geheimen
Ideal der Burg, weil nur auf die tatsächliche Wider-
standskraft der Mauern und Türen Verlaß war.
Heute sind die Beziehungen zwischen Haus und
Umwelt grundsätzlich unter ein neues Gesetz ge-
stellt: unter das des gegenseitigen Vertrauens. Das
bedenken wir vermutlich nicht so genau, wie es sich
gehört; sonst könnten uns die zugehörigen Folgerun-
gen nicht so befremden, wie sie es manchmal noch
tun. Eine Zeit, deren Ärzte die Luft für schädlich
und die Sonne für augenzerstörend hielten, eine Zeit,
da man bei schlechter Atemluft im Zimmer nicht
etwa die Fenster öffnete, sondern räucherte, muß
einen andern Haustyp erzeugen als eine Zeit, die um
Sauerstoff, um Heilkraft und Lebenserweckung durch
Sonne weiß. Austausch und Vertrauen bestimmen
heute ein Verhältnis, das einstmals von Abschluß
und Mißtrauen bestimmt war. — Wilhelm michel