Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 47.1936

DOI article:
Wieszner, Georg Gustav: Radio-Träume
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.10943#0266

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
254

INNEN-DEKORATION

RADIO-TRÄUME

Manchmal muß der Mensch der Großstadt all den
Röhren und Drähten und Kabeln und Kanälen,
die auch den Freiesten wie in ein Netz verstricken, ent-
fliehen. Auf einsamer Berghütte sitzt er dann, draht-
und rohrlos ist das Haus, es gibt weder Gas noch
Elektrisch, und die Wasserleitung sprudelt unabstell-
bar vor dem Hause. Du dünkst dich weltfern. Da
dreht der Hüttenwart an einer kleinen Schraube, und
es entsteht dieses groteske Erlebnis: Die Welt, der du
zu entfliehen wähntest, dringt in Tönen auf dich ein.
Du spürst den Berg eingekreist von Wellen, es gibt
keine Einsamkeit mehr, und selbst wenn du auf den
letzten Gipfel fliehst - das Gefühl bleibt: die tasten-
den Töne sind da, umdrängen, durchdringen dich.
Der Mensch hat sie erdacht und geschaffen, der
Mensch hat sie noch nicht seelisch gebändigt. Aber
es wächst gewiß eine Generation heran, die wird den
Taschenapparat an das ragende Gipfelkreuz anschlie-
ßen und sich in größter Einsamkeit ins Kollektiv der
Menschheit einspannen, und sie wird ohne diesen
kleinen Apparat ebensowenig leben wollen wie wir
ohne Taschenuhr, und dieser Apparat wird dann ins

Leben eine neue Ordnung bringen, genau so, wie sie
die Uhr ins Leben der letztvergangenen Jahrhunderte
brachte. Dieser kleine Apparat wird vielleicht das
Instrument werden, das dann das heute zersplitterte
Menschliche, das Zeit und Raum überhaupt wieder
ordnet. Diese Generation wird sich wieder beruhigen
in dem uns bedrängenden Koordinatengewirr der
Wellen aller Länder, in dieser allerletzten Auswir-
kung des Stofflichen, die die Materie, die uns heute be-
lastet, wieder leicht macht und den Menschen frei. -

Wir aber spielen heute erst mit dem Instrument,
das uns, wie unseren Vorfahren die Uhr, als Symbol
der Zeit geschenkt ist. Noch nicht einmal die end-
gültige Form ist gefunden, in der sich schließlich
jeder Geist, jede Erfindung erlöst. Das Bedürfnis nach
Zeiteinteilung ließ einmal primitive Sonnenuhren an
Kirchtürme malen. Uhren mit turmlangen Gewichts-
ketten traten an ihre Stelle, unendlich viele Formen
wurden gefunden und verworfen, bis sich heute »die
Zeit« als glatter Reif ums Handgelenk spannt.

Der Radio-Sender trägt seine technische Form offen
zur Schau: Drähte, Leuchtröhren, Isolatoren, Sende-
 
Annotationen