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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 47.1936

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Wieszner, Georg Gustav: Radio-Träume
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https://doi.org/10.11588/diglit.10943#0267

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INNEN-DEKO RATION

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türme. Wie aber soll nun der Empfänger aussehen?

Radio im Hause: Bellamys Träume vom 20. Jahr-
hundert verwirklicht! Der Dichter spricht nur von
Schaltern, wie aber soll das Tongehäuse aussehen,
nachdem die Interimszeit der Ohrenklappen überwun-
den ist? Unsere Eltern hätten sich leicht getan: Ein
Trompeter von Säckingen, gemalt oder aus Gips,
hätte die Aufmerksamkeit aller auf seinen Trompeten-
Schalltrichter konzentriert. Unsere Romantik ist sub-
tiler, metaphysischer geworden. Eine bewußt tech-
nische Zeit brachte Rahmenantenne und jugendstil-
gebogenen Lautsprecher in die Zimmer. Heute ist es
die kleine, tönende Kiste, die an die Spieluhr der Ur-
großmutterzeiten erinnert. Innenarchitekten bauen
das Gerät in Bücherecken ein und nähern die Stimme
der Literatur (Abb. S. 262), stellen den Apparat in
trauliche Nischen und machen ihn zum gemütlichen
Plauderer (Abb. S. 252). Kreise leuchten auf (Abb.
S. 257), sanfte Stimmen schallen bescheiden aus
Ecken, es redet von der Decke, es flüstert an Teppi-
chen entlang, das alles ist möglich. Die Apparatur
aber, die aus der Höhe eines sprechenden Menschen
schallt, dürfte die beste, weil unserem menschlichen
Empfinden vertrauteste sein. Die »Form« als solche

scheint noch am Anfang einer Entwicklung zu stehen,
etwa dort, wo einmal das Wandtelefon oder das
»Nürnbergisch Ei« unter den Uhren stand.

Es gibt Autos mit eingebautem Empfänger. Neben
Kilometermessern, Hebeln und Schrauben liegt auch
der Schalter, der den ganzen Wagen tönen macht,
den neuen Rhythmus erzwingend, in dem sich einmal
ein sonst belangloser Tonfilm »Drei von der Tank-
stelle« bewegte. Pneus und Motore schalten sich
anders ins Leben ein als Stiefel und Hufe. Märsche
und Reiterlieder werden von Motorrhythmen über-
tönt werden. Unsere Truppentransportwagen werden
ihre Regimentsmusik unsichtbar im Wagen haben,
und Tyrtäus hinkt dem Heere nicht mehr nach, er
spricht seine Heldenlieder daheim ins Mikrophon.

Und selbst Flugzeuge werden klingen. Und die
neuen Rhythmen werden die Menschen und ihre Ma-
schinen miteinander verbrüdern.

Die Form ? Sie wird technisch vollkommen sein,
wie der Geist, der sie sich schafft. Sie ist weder
theoretisch noch experimentell zu erzwingen. Sie
wird wachsen aus dem Bedürfnis und eines Tages da-
sein so schlicht und so selbstverständlich wie das
Zifferblatt unserer Uhr. - oeorg Gustav wieszner
 
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