INNEN-DEKO RATION
195
HANS HARTL »KÜCHENMÖBEL« MATTLACK TAUBENGRAU MIT BLAUEM LINOLEUM
VON DER KOCHKUNST
Ein chinesischer Weiser hat den Satz geprägt: Ein man sie geschickt abwechseln läßt. Wie monoton und
gutes Mahl wird von der Zunge eines Weisen ge- unerträglich wäre ein Mahl, das aus nur Breiigem
träumt, von seinen Füßen gefunden, von seiner Nase oder nur Knusperigem bestände - ist damit nicht alles
gekocht und von seinem Herzen aufgetischt. Ein be- gesagt? Und dagegen in weiser Abwechslung: Knus-
kannter Sinologe interpretiert diesen tiefsinnigen Satz perigkeit, anmutige Flüssigkeit, lockere Zartheit,
dahin, daß nach altchinesischer Auffassung ein Mahl derbfeste Kraft, der keine Zähigkeit innewohnt, über-
für erlesene Gäste wie eine Dichtung geträumt wer- krustete Breiigkeit, flüchtige Schaumigkeit, erstarrte
den muß. Unermüdlichkeit, symbolisiert durch die Sämigkeit und wie sie alle heißen mögen, die phan-
menschlichen Gehwerkzeuge, muß die besten Zu- tastischen Eigenschaften der eßbaren Substanzen,
taten beschaffen, die Nase, als die unbestechliche einzeln oder kombiniert verwendet und von den ihnen
Königin der Arome, überwacht die Auswahl und die vorteilhaften Temperaturen unterstützt! Welche
Zubereitung der Rohstoffe, und das Herz als der Sitz Wonnen vermögen sie der beweglichen Zunge und
alles Humors übernimmt es, die Speisen aufzutragen. den im leichten Zerdrücken oder im kräftigen Zer-
* malmen gleich glücklichen Zähnen zu geben.
Daß die Aggregatzustände und die Temperatur in *
der Kochkunst eine besondere Rolle spielen, ist von Es gibt Schmierköche und Zierköche. Über erstere
den wenigsten Schriftstellern bisher beachtet wor- ist kein Wort zu verlieren, sie sind Feinde der
den. Und doch, wie wichtig sind gerade sie, ebenso Menschheit. Man sollte sie an den Pranger stellen
wichtig wie die Kunst, die den Dingen innewohnen- und verbannen. Letztere leben in dem Glauben, daß
den Arome der Zunge zur vollen Köstlichkeit zu ent- man einen verfaulten Rehrücken, eine übergegangene
falten! Zu dulden, daß eine Suppe kalt oder ein Eis Pastete durch Ornamente genießbar machen kann,
im Schmelzzustand gereicht werde, ist ein Verbrechen Diesen sollte man empfehlen, in das Handwerk der
am heiligen Geist der Kochkunst. Und nun die Aggre- Stukkateure und Tüncher überzusiedeln, denn es ist
gatzustände! Welche Möglichkeiten geben sie, einer nicht angängig, daß man den Magen durch Putz und
Speisefolge zauberischen Reiz zu verleihen, wenn Zierat um seine edelsten Rechte betrügt. — K. v.H.
1936. VI. 3
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HANS HARTL »KÜCHENMÖBEL« MATTLACK TAUBENGRAU MIT BLAUEM LINOLEUM
VON DER KOCHKUNST
Ein chinesischer Weiser hat den Satz geprägt: Ein man sie geschickt abwechseln läßt. Wie monoton und
gutes Mahl wird von der Zunge eines Weisen ge- unerträglich wäre ein Mahl, das aus nur Breiigem
träumt, von seinen Füßen gefunden, von seiner Nase oder nur Knusperigem bestände - ist damit nicht alles
gekocht und von seinem Herzen aufgetischt. Ein be- gesagt? Und dagegen in weiser Abwechslung: Knus-
kannter Sinologe interpretiert diesen tiefsinnigen Satz perigkeit, anmutige Flüssigkeit, lockere Zartheit,
dahin, daß nach altchinesischer Auffassung ein Mahl derbfeste Kraft, der keine Zähigkeit innewohnt, über-
für erlesene Gäste wie eine Dichtung geträumt wer- krustete Breiigkeit, flüchtige Schaumigkeit, erstarrte
den muß. Unermüdlichkeit, symbolisiert durch die Sämigkeit und wie sie alle heißen mögen, die phan-
menschlichen Gehwerkzeuge, muß die besten Zu- tastischen Eigenschaften der eßbaren Substanzen,
taten beschaffen, die Nase, als die unbestechliche einzeln oder kombiniert verwendet und von den ihnen
Königin der Arome, überwacht die Auswahl und die vorteilhaften Temperaturen unterstützt! Welche
Zubereitung der Rohstoffe, und das Herz als der Sitz Wonnen vermögen sie der beweglichen Zunge und
alles Humors übernimmt es, die Speisen aufzutragen. den im leichten Zerdrücken oder im kräftigen Zer-
* malmen gleich glücklichen Zähnen zu geben.
Daß die Aggregatzustände und die Temperatur in *
der Kochkunst eine besondere Rolle spielen, ist von Es gibt Schmierköche und Zierköche. Über erstere
den wenigsten Schriftstellern bisher beachtet wor- ist kein Wort zu verlieren, sie sind Feinde der
den. Und doch, wie wichtig sind gerade sie, ebenso Menschheit. Man sollte sie an den Pranger stellen
wichtig wie die Kunst, die den Dingen innewohnen- und verbannen. Letztere leben in dem Glauben, daß
den Arome der Zunge zur vollen Köstlichkeit zu ent- man einen verfaulten Rehrücken, eine übergegangene
falten! Zu dulden, daß eine Suppe kalt oder ein Eis Pastete durch Ornamente genießbar machen kann,
im Schmelzzustand gereicht werde, ist ein Verbrechen Diesen sollte man empfehlen, in das Handwerk der
am heiligen Geist der Kochkunst. Und nun die Aggre- Stukkateure und Tüncher überzusiedeln, denn es ist
gatzustände! Welche Möglichkeiten geben sie, einer nicht angängig, daß man den Magen durch Putz und
Speisefolge zauberischen Reiz zu verleihen, wenn Zierat um seine edelsten Rechte betrügt. — K. v.H.
1936. VI. 3