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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 49.1933-1934

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Christoffel, Ulrich: Wo stehen wir heute in der Kunst?
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https://doi.org/10.11588/diglit.16481#0261

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siegte über den Faust von Cornelius, das
fremde Pathos über die eigene Ergriffen-
heit, die Theaterbeleuchtung über das trok-
kene Tageslicht, die Weltgeschichte über
die Heimatgeschichte, die Ferne über die
Nähe, obwohl eine der wesentlichsten Eigen-
tümlichkeiten der deutschen Kunst gerade in
ihrer schlichten Genügsamkeit an der Nähe
und am Gegebenen besteht. Die alten Kunst-
länder Italien, Spanien und die Niederlande
haben sich der französischen Akademie bei-
nahe widerstandslos ergeben. In Deutschland
aber setzte schon früh eine Abwehrbewegung
gegen die fremde Äußerlichkeit ein, und sie
war von einem Geiste geleitet, der aus der
Übereinstimmung der eigenen, nationalen
Kunstrichtung mit den künstlerischen Grund-
gesetzen aller Zeiten seine Kraft und Recht-
fertigung schöpfte. So standen die Künste in
Deutschland während der zweiten Hälfte des
19. Jahrhunderts unter französischem Ein-
fluß, aber unter diesem Einfluß erwachten die
besten Künstler zum Bewußtsein ihrer Eigen-
art, die sie immer unabhängiger zum Aus-
druck brachten. Unter der Oberfläche aller
chaotischen und abstrakten krankhaften und
leeren Formverzerrunsen und Formmanie-

Karl von Piloty. Columbus sieht Land

i reu erlebte die deutsche Kunst in den letzten

dreißig Jahren eine tiefe romantische Er-
yf'Myty^-. neuerung. und es gilt heute, dieses verbor-
WSl gene Feuer zu hüten und anzufachen, daß die

äußern Schlacken sich darin verzehren, statt
es durch die kalten Sturzbäche einer summa-
i'~ tS?^ rischen Kritik auszulöschen. Kritik kann för-
S Bt! -j derlich nur im Abstufen, Wägen und Prüfen,
3 Bgl nicht im Verallgemeinern sein, und unerbitt-
I- "ffl-. lieh hart sollte sie nur gegen den Dilettantis-

jr* JbL mus und jeden andern Mißbrauch des künst-

lerischen Ausdrucks auftreten. Es gibt unver-
— '^pj-J änclerliche Lebensbedingungen des Künstle-
rischen, die Goethe ..die exakte sinnliche
fif=Bpa| Phantasie" genannt hat, und jeder Künstler
S^EEEBeE: trägt diese Beziehungen in sich, wenn er ge-
boren wird. Es liegt meist nur an den Zeit-
■iEEM umständen, wenn er sein Künstlertum nicht

in einem totalen Sinn verwirklichen kann und
" bald in der Nachahmung der Wirklichkeit,

^^^S^^hajuB&jg^gj^j^^j^^^^SUg^j^^ bald in der Betonung des Formalen und Deko-
rativen, bald in der Übersteigerung der Far-
Friedrich von Thiersch. Justizpalast in München. Nordmittelbau ben die gegebenen Grenzen übertritt.

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