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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 49.1933-1934

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Weiss, Konrad: Wege des deutschen Kunstsinnes zwischen Marées und Munch
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https://doi.org/10.11588/diglit.16481#0283

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ges Äquivalent für die Sinnesempfindung auf ihrem
deutschen Wege durch die Natur und die eigene
Kreatur zu finden. Viele pflegen diese Art des gei-
stigen Ausdrucks zu verkennen, welche doch gerade
besonders deutsch ist und die Kraft von Urgefühlen
mit der geschichtlichen, deutschen Seelenerfahrung
zusammenbindet. Corinth hat aber auch die ein-
fache Fähigkeit. Seelisches durch Dingliches auszu-
drücken. Es ist das Seelische des besseren Nach-
kriegsdeutschland, das in dem scheinbar bloßen
Stilleben der ..Rüstungsstücke im Atelier" wie mit
der Schweigsamkeit eines Dokumentes zum Aus-
druck kommt. Die Sprache von Dingen beherrscht
den Raum. Die Empfindung, die der Deutsche für
die Dinge hat, jene bei ihm gegen die eklektische
Humanisierung immer wieder durchbrechende
Werkempfindung wird hier zu der stillen und star-
ken Sprache einer geschichtlichen deutschen Stim-
mung.

Der Südwestdeutsche Hans Thoma hat nicht die
starken Brechungen von Licht und Farbe und nicht
den Kampf um die Urlaute der Schöpfung im näch-
sten Leben von Zeit und Natur. Aber er hat all dies
doch auch, von der Romantik zu einer bäuerlich-
bürgerlichen Gegenwart herüberleitend, in seinen
stilleren Kunstsinnen. Er hat den Kampf um neue
Wege des Sinnes vor allem in einer erzählerischen
Rechenschaft mit seinem Gemüte. Jenes Narziß-
Motiv des Marees mit der nackten Jünglingsgestalt
vor dem Gegenblick im spiegelnden Wasser, jene
sinnhafte Versenkung, welche den Raum wie von
innen öffnet, ist bei ihm oft in die stille Fröhlich-
keit offener Silhouetten umgesetzt, welche nicht fra-
gen, sondern bejahen. In solcher Bejahung gibt es
aber eine feine und sinnig edle Zwiesprache. So
kann Thomas Bild ,,Luna und Endymion" die
mvthologische Schwere in die mildere romantische
Spannung umgesetzt zeigen, welche zu einem glück-
lichen Lebenssinn zwischen Zeitlosigkeit und Ge-
genwart gehört und welche Thoma ganz besonders
eigen ist. Diese romantische Zwischenhaltung, die
nach Altertum, Romantik und Märchen blickt und
den härteren Kampf der künstlerischen Versenkung
ins Poetische hinwegwendet, ist vielfach das Ideal
des deutschen Künstlertums nach der Romantik ge-
worden. Es ist aber nur bei Thoma ganz zu dem
schönen und reinen Zustande wirklicher und vom
Mythos bis zu mütterlicher Bäuerlichkeit gleich
gültiger Künstlerschaft hindurchgelangt. Auch
Thoma hat das Licht- und Lautsinnige. Er macht
mit dem Lichte einen Glauben und einen sinnigen
Spiritualismus, auch in seinen niedergeschriebenen
Betrachtungen; in seiner Graphik kommt aber noch
ein stilles Leuchten hinzu, das die zeichnerischen
Schriftzüge als feine Lichtgefäße benützt. Und so-
dann hat er im Meeresrauschen, im Gefühl der
Quelle, im Singen des Kindermundes etwas von
dem mythologischen Echo. Seine Kunst hat oft die
feine Stille eines „Nachbildes": sie ist wie die Er-
innerung an all die Notwendigkeiten größerer deut-
scher Sinneswege und ihrer weltanschaulichen
Wanderschaften.

Die Behaustheit, sozusagen gegenüber Mythos. Na-
tur und Geschichte, die Kunst der Innenraum-Dar-
stellung scheint darüber hinaus nichts weiter bedeu-
ten zu können. Aber gerade beim Deutschen kann
die Innenraumkunst wie ein reinlich geöffnetes
Stück Weltanschauung werden. Die Bilder mit In-
nenräumen von Leibi, Lhde, Kalchreuth haben in
der letzten Generation einen solchen deutschen
Sinn. L e i b I ist der unnachahmlich feste Künstler
einer ungebrochenen Volkheit. Wenn wir das Wort
..Brechung" oder gestaltliche ..Fraktur" verwen-
den, um ein weltanschauliches Hintreiben und Müs-
sen auf eine überhumanistische, nordische Größe
ausdeuten zu können, so hat Leibi diese Brechung
nicht. Er ist von einer naiven volkhaften Ganzheit.
So sind seine Bildnisse innerhalb des Zeitgeistes
ruhig vollendet; und so haben Innenräume von ihm
eine volkhafte Wirklichkeit, die fast wie ein Mu-
seum wirken kann. Er ist der Ausdruck einer Halte-
kraft des Volkes in der Zeit geworden, welche schon
durch soziale Empfindungen und ein neues Natur-
gefühl ins Treiben gekommen war. um neue Pole
ausmessen zu müssen. Fritz von U h d e hat von
diesem Treiben der Sinne schon mehr in sich auf-
genommen. Sein Bild ,,Drei Modelle" ist von einem
sozialen Hauch gegenüber dem rein Malerischen
scheinbar ernüchtert, aber es ruft einen neuen
Rhythmus der Existenz an. Es hat mit seiner Kin-
dergruppe auch einen ..zahlhaften" Eindruck, der
über die humane Rhythmisierung hinweg die Ge-
genwart selber entscheidend sucht. Zwischen reiner
Landschaft und sozialen Stimmungen eigentümlich
geteilt, hat gerade Uhde einen kurzen, aber persön-
lich sehr starken Zwischenraum zwischen den deut-
schen Sinnespolen erlebt und gefunden. So könnte
man noch weitere deutsche Künstler (wie Trübner)
und vor allem weitere Begriffsmomente wie „Bre-
chung", ,.Zahl" und andere zu formulieren ver-
suchen, indem man sich bewußt bleiben muß, daß
solche Versuche der Form- und Sinnerklärung nur
sehr unzulänglich gelingen können. Aber man muß
sie doch einmal wagen, um neben den klassischen
Begriffen auch den nordischen Lebensbegriffen
näher zu kommen, die mit aufgestauter Kraft in
unsere beruhigte Bildungsperiode hereinbrechen.
Es handelt sich immer wieder darum, daß ein neues
Geschichtsgefühl mit einem neuen Naturgefühl
verbunden zu sein scheint. Bei v a n G o g h ist die-
ser Aufbruch des Naturgefühls am stärksten erfolgt.
Die Landschaft ist bei ihm aus der ruhigen Nach-
ahmung ganz in eine schollenhafte Aufbrechung
versetzt. Er malt oft wie ein Schreibender und er-
reicht doch einen unglaublichen Glanz über einem
,.zerbrochenen" Bild der Erde. Er hat seinen künst-
lerischen Kampf nicht auf der deutschen Erde ge-
kämpft und die deutsche Sinnesart würde wie bei
Corinth alsbald nach einer stärkeren Empfindung
auch für das Geschichtliche verlangt haben. Aber
auch hier ist eine der Grundgewalten, die von einer
germanischen Kunstzeit sprechen lassen.
Durch den germanischen und deutschen Sinn grei-
fen künstlerische Naturgewalten in die Geschichte.

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