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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 55.1939-1940

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Griebitzsch, Herbert: Vom Wesen des Wandbildes
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https://doi.org/10.11588/diglit.16488#0021

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Staatliche Museen

Vom Wesen des Wandbildes. Von Herbert Gri

Wandmalerei ist eine besondere Gattung innerhalb
des Bildschaffens. Die Eingliederung des "Wandbil-
des in einen umfassenderen und größeren künstle-
rischen Organismus, in den der Architektur, bedingt
dies. Das gewöhnliche Tafelbild entsteht im Atelier
des Künstlers — auf der Staffelei. In solchem Falle
schafft der Künstler gänzlich frei. Vorwurf und
Durchführung sind seinem persönlichen Ermessen
überlassen. Der Wandmaler hingegen sieht sich einer
bestimmten Fläche gegenüber. Nicht nur die äuße-
ren Ausmaße liegen fest, das ist noch das Geringste.
Fest steht vielmehr ein totales Ganzes: das Bauwerk.
Diesem muß der Maler sein Werk eingliedern.
Hier liegt die erste Verpflichtung und Anforderung,
die den Wandbildmaler angeht. Er muß sich einfüh-
len in die Architekturformen, er muß von diesem
Ganzen aus sein Wandbild entwickeln. Ein Saal, der
in großakzentuierter, mächtiger Gliederung entwik-
kelt ist, bedarf eines ganz anderen Wandschmuckes
als etwa ein intimer wohnlicher Raum. Der Sinn des
Bauwerkes muß — um es in einer These klar zu for-
mulieren — im Wandbild erneut zum Klingen kom-
men.

Das Tafelbild kennt den Rahmen. Diese Leisten be-
tonen deutlich: sie umschließen eine Welt, die für
sich bestehen will und auch bestehen muß. Das Werk
auf der Wand aber soll ein bestimmtes Stück Fläche
in seiner Wesensart lebendig machen. Wie der
Rhythmus des Gesamtbaues die Formung bestimmt,
so ist in gleicher W eise die Struktur der zu bemalen-
den Wandfläche bestimmend. In der schönen spät-
romanischen Kirche zu Schwarzrheindorf befinden
sich Wandmalereien aus romanischer, das heißt aus
der deutschen Kaiserzeit. Ein Zentralraum entwik-
kelt sich durch zwei Geschosse. Mächtige Gewölbe-
zwickel stellen einen Teil der bemalten Fläche dar.
AlsA7orwurf wählte der Künstler Gestalten der Bibel.
Mächtig, majestätisch bieten sich die feinlinigen,
aber stets großartig gemalten Persönlichkeiten dar.
Sie sind dabei weniger Ausdruck einer jenseits ge-
richteten und asketischen Weltschau, diese Figuren
bedeuten vielmehr eine Huldigung an eine majestä-
tische Diesseitigkeit, so wie sie im Rittertum und
Kaisertum in damaliger Zeit tatsächlich Erfüllung
fand.

Aber das Absolute und Großartige, was die Figuren
zu Wandbildern macht, sie unlöslich mit der gleich-
falls majestätischen Architekur verbindet, ist die
Kunst der Eingliederung. Hängezwickel bilden die
Unterlage, komplizierte architektonische Gebilde,
die starke Spannungen in sich bergen. Diese inneren
Energielinien werden gleichsam sichtbar und fügen
sich zum Bild. Der Künstler hat nicht einen sitzen-
den Kaiser gemalt und diesen dann auf die Wand
übertragen, er hat vielmehr seine Darstellung aus
dem Gegebenen entwickelt. Eine mächtige Persön-
lichkeit bietet sich dar, aber sie entfaltet sich durch
und aus dem Gefüge der Wandfläche.
Diese Gebundenheit ist eine weitere Voraussetzung
echter Wandmalerei. Die häufigste Aufgabe aller-

bitzsch

dings bringt die glatte Wand. Auch diese gilt es im
Bild zu erhalten. Das Abschließende muß gewahrt
bleiben. Y\ ir dürfen nicht wie durch ein Fenster
plötzlich in die unermeßliche Weite eines perspekti-
visch gegebenen Naturausschnittes blicken. Das hieße
die Architektur zerstören. Wohl soll die glatte Fläche
belebt werden, aber dies mit und nicht gegen ihre
Spannungswerte. Wo wir deshalb in unseren Tagen
Wandbilder entstehen sehen, finden wir auch diese
notwendige Rücksichtnahme.

Niemals ist Wandmalerei impressionistisch. Dieser
Stil persönlichster Beobachtung entwuchs einem libe-
ralen und individuellen Zeitalter. Der Künstler
wollte geben, was er sah, einen rein persönlichen
Eindruck. Eine intime Bildwelt entstand, eine Mal-
weise herrschte, die mit zerlegendem Pinselstrich den
optischen Reiz dieser Welt darstellte. Eine derartige
Kunstwelt konnte dem Wandbild nicht dienen. Das
Gelockerte, das Impressive dieser Gestaltung liegt
weitab von aller großlinigen und geschlossenen Art,
die die Wandfläche bedingt. Wir wollen dabei keiner
fotografischen Treue das Wort reden. Eine malerische
Grundhaltung ist durchaus vonnöten, aber diese
steht im Dienste einer höheren Stetigkeit/einer Ord-
nung, die in der Architektur vorgezeichnet und die
— das entscheidet — jene impressionistische Augen-
blickshaltung als unbedeutend ablehnt. Wie das im-
pressionistische Zeitalter keine wahrhafte Architek-
tur hervorbrachte, so standen auch Kunst und Künst-
ler dem Wandbilde fern.

Größe und Klarheit fordert die Durchformung. Diese
Forderung stellt das Wandbild auch innerhalb der
einzelnen Malgattungen auf eine eigene Ebene. Im
Aquarell muß alles flüssig und leicht sein. Da gilt
schon eine bloße Andeutung für das Gemeinte. Auch
bei der Zeichnung schätzt man lockere Freiheit. Ge-
rade in deutlicher Sicht der Handschrift liegt der
Wert. Das muß beim Wandbild alles zurücktreten.
Klar muß die Sprache sein. Sie muß gleichsam in
gebundener Form erscheinen und stets einen bedeu-
tenden Inhalt versinnbildlichen. Eine Idee muß uns
packen. Nicht Eindrücke darf die Wand widerspie-
geln, Symbole müssen von ihr herab zu uns sprechen.
Alles Dargestellte muß dank der idealistischen Ge-
sinnung des Künstlers nicht nur ein Bild, sondern
ein Sinnbild darstellen.

Architektur und Wandbild finden sich nur, wo das
Leben des Einzelnen wie der Gesamtheit von größe-
ren, übergeordneten Ideen getragen wird. Architek-
tur im wahren Sinne erstellt keine Zweckbauten,
sondern in ihr offenbart sich das innere Streben, —
sagen wir es kurz: der Mythos — der Nation. Als
ewige Zeugen sollen die Bauwerke in reiner, geläu-
terter Form das Wesen ihrer Tage ausdrücken. Eine
höhere Ordnung, eine übergegenständliche Gesetz-
mäßigkeit, eine Klarheit des Gefüges und Festigkeit
im Aufbau muß vorhanden sein. Fehlt dies, dann
stehen wir außerhalb der ewig gültigen Gesetze, die
dem Architektonischen zu eigen und mit ihm der
dienenden Wandmalerei.

Kunst für Alle. Jahrg. 55, Heft 1, Oktober 1939



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