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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 55.1939-1940

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Penzoldt, Ernst: Das kleine Mädchen von Salonae
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https://doi.org/10.11588/diglit.16488#0151

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Dichter über Bildwerke, die sie lieben

Das kleine Mädchen von Salonae. Von Emst Penzoldt

Auf einer Reise nach dem Süden sali ich kürzlich in
einem Museum unter allerlei Uberresten antiken
Hausrates, zerbrochenen Öllämpchen und Topf-
scherben einen Dachziegel, darauf sich die flüchtige
Fußspur eines Mädchens oder Knaben erhalten hat.
Über viele Jahrhunderte hin behielt das irdene Ge-
dächtnis den Eindruck eines Augenblicks. Die Spur,
schmal und untadelig geprägt, jung und uralt zu-
gleich, hat für den Beschauer etwas rührend Lieb-
liches. Es war nun freilich nichts Bedeutendes ge-
schehen, als eben nur, daß vor Zeiten ein Kind acht-
los oder sogar mit Fleiß über zum Trocknen ausge-
legte, feuchte Tonziegel geschritten war, eine junge
Hirtin vielleicht, denn andere Scherben tragen Fähr-
ten von Ziegen. Der Ziegelbrenner hatte das also ge-
zeichnete Stück nicht verworfen; es ward gebrannt
und als einziges Zeugnis eines Menschen überlie-
fert, von dem wir freilich nichts wissen, als daß er
gelebt hat, und der sich gewiß nicht träumen ließ,
daß seiner zierlichen Fußspur die Ehre zuteil werden
würde, einst in der Vitrine eines staatlichen Museums
aufgestellt zu werden.

Das nachdenkliche Erlebnis kam mir unwillkürlich
in den Sinn bei der Begegnung mit jenem reizenden
Mädchenköpfchen, das, in Salonae ausgegraben, im
Museum zu Agram in aller Stille aufbewahrt wird.
Ich kannte das Bildnis schon lange, allerdings nur
von einer kleinen Photographie, aber es schien mir
durchaus der Mühe wert, seinetwegen einen Umweg
über Zagreb zu machen, um das Original zu sehen.
Nicht aus kunsthistorischem Forschungstrieb, son-

dern aus reiner Verliebtheit in das anziehende Ge-
sicht, einer Verliebtheit übrigens, die ich zu meiner
Genugtuung nicht eben selten selbst bei ernsten Ge-
lehrten fand, zum Beispiel bei Betrachtung der an-
mutigen Athene des Myron in Frankfurt. Das Mäd-
chen von Salonae aber ist keine Göttin, seine Züge
sind nicht klassisch schön, ja der Zufall einer Be-
schädigung hat der Nase etwas Keckes, Stupsnäsiges
gegeben. Es ist auch nicht die Kunst so sehr, die mir
die Plastik wert, sondern der Reiz des Urbildes, das
Menschliche ist es, was sie mir lieb macht und was
mich daran entzückt, das also, worum es ohne Zwei-
fel auch dem unbekannten Künstler zu tun war, als
er dem süßen vergänglichen Zauber der Jugend
Dauer zu verleihen versuchte. Wahrhaftig, man
glaubt diese Anteilnahme zu spüren, in der zärt-
lichen Art der Darstellung, besonders des Mundes,
der einer Knospe gleicht, die eben erblühen will, oder
auch der Umgebung des Ohres, die im Gegensatz zu
der künstlichen, stark stilisierten Wohlfrisiertheit des
Haupthaares ganz unkonventionell, ganz persönlich,
gleichsam mit liebender Hand nachgeschaffen ist.
Mit liebender Hand, nicht anders als die verliebte
Vorsehung jene Fährte den Nachkommen bewahrte,
formte der Meister die zierlichen Löckchen zwischen
Ohrmuschel und Wange, einer jener zarten Stellen
also von Eros: Wohlgefallen.

Ich sagte schon, daß das Mädchen keine Göttin und
gewiß keine klassische Schönheit sei. Sie ist keiner
erhabenen, idealen Vorstellung entsprungen, sondern
dem Wunsch, ein liebenswertes sterbliches Geschöpf

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