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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 55.1939-1940

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Scheffler, Karl: Erinnerung an August Gaul
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https://doi.org/10.11588/diglit.16488#0075

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Erinnerung an August Gaul. Von Karl Scheffier

August Gaul ist imHerbst 1922 gestorben; am 22. Ok-
tober dieses Jahres hätte er sein siebzigstes Lebens-
jahr vollendet.

Große Teile der Jugend, sogar jüngere Künstler wer-
den fragen: wer war August Gaul, wodurch verdient
er ein solches Geburtstagsgedenken über das Grab hin-
aus? Diese Unkenntnis bestätigt zwar die alte Er-
fahrung, daß die Lebenden gemeinhin am wenigsten
von denen wissen oder wissen wollen, die ihnen un-
mittelbar vorausgegangen sind, doch rechtfertigt sie
eben darum ein Erinnern. Mit dem Schlechten, das
es verdient, sollte nicht auch das Vortreffliche ver-
gessen werden. Die Mahnung Hans Sachsens in den
„Meistersingern" klingt auf: „Verachtet mir die Mei-
ster nicht!" Damit sind nicht nur die großen, im Glo-
rienschein der Genialität durch die Jahrhunderte wan-
delnden Meister gemeint, sondern auch die Kleinmei-
ster, die als unauffällige Handwerker der Form, in
den Grenzen eines gesunden Zunftgeistes, Bleibendes
geschaffen haben, die stillen Erhalter erhaltenswerter
Überlieferungen, die stets Bescheidenen, die mehr
leisteten als versprachen, mehr zu sein als zu schei-
nen wünschten und die kein Wollen gelten ließen, das
sich nicht durch ein solides Können auszuweisen ver-
mag.

Ein solcher sich bewußt beschränkender Kleinmeister
war der Tierbildner August Gaul. Ihn hat kein Fürst
gefördert, ihm wurden nicht gewinnbringende Staats-
aufträge zuteil, gleich fern stand er allen Kunstrich-
tungen und ihren Kämpfen; er schaffte still in der
Werkstatt, mit Schurzfell und in Pantinen. Wenn er
in seinem fünfzigsten Lebensjahr aber sinnend sein
Lebenswerk betrachtet hat, so hatte er ein ganzes
Paradiesgärtlein von großem und kleinem Getier vor
Augen, munter wie am fünften Schöpfungstag, in
aller Munterkeit seinen Schöpfer preisend: den gro-
ßen göttlichen Schöpfer und den ihm fromm dienen-
den Künstler. In der tätigen Beschaulichkeit dieser
Bildnerei lebt jenes Altdeutsche auf, dessen Patron
der Peter Vischer des Sebaldusgrabes ist. Um das Stil-
problem hat August Gaul sich nie groß gesorgt, ob-
wohl es seine Jahrzehnte leidenschaftlich bewegte; er
hat immer das Nächste getan, so gut, so gründlich er
konnte, hat Werk an Werk gereiht, und es ergab sich
der Stil, in dem sich eine Persönlichkeit und zugleich
eine Epoche abspiegeln, wie von selbst. Sehr genau
hatte Gaul freilich zugesehen, wie es die Alten ge-
macht, wie sie dem Wechselnden der Erscheinungen
das Bleibende abgewonnen haben. Er hat es sich
sauer werden lassen, hat von der Pike auf gedient
und alles selbst gemacht; er war keiner jener Gentle-
man-Bildhauer, die die schmutzige und „langwei-
lige" Arbeit bezahlten Hilfskräften überlassen. Als
er sich aber sicher fühlte, hat er, den Impulsen seiner
Tierliebe folgend, die Arbeitsstrenge in Spiel ver-
wandelt, der Fleiß wurde unsichtbar, das Mühsame
erschien leicht und der Ernst begann zu lächeln.
Dieser Bildner stammte aus Hanau, kam in dieser
Stadt der Goldschmiede in die Lehre zu einem Gold-

schmied, besuchte dort die Zeichenakademie und in
Berlin sowohl die Kunstgewerbeschule wie die Meyer-
heimklasse der Akademie. Als er zur Plastik überge-
gangen war, arbeitete er zunächst für Reinhold Be-
gas: die beiden großen Löwen am Denkmal Kaiser
Wilhelms hat er mit neubarocker Bravour modelliert.
Ein Preis der Akademie ermöglichte eine Italienreise.
In Rom, neben Louis Tuaillon und angesichts anti-
ker Tierplastiken, fand er die eigene Form. Als der
Dreißigjährige in der Berliner Sezessionsausstellung
von 1899 eine Bronzelöwin zeigte, war sein Erfolg
bereits gesichert. Zwanzig Jahre hat er dann emsig
gearbeitet und ist allzufrüh gestorben. Von allen be-
klagt; denn er gehörte zu den seltenen Menschen, die
keinen Feind haben. Bei seinem Tode schien das
Lebenswerk sicher dazustehen, doch ist es dann über-
rannt worden. Es wird eines Tages den ihm geschicht-
lich zukommenden Rang einnehmen.
August Gaul war eine beharrliche Natur, die sich
ganz einer Sache hingab. Im 19. Jahrhundert hat es
keinen Bildhauer gegeben, der das Tier so ausschließ-
lich zum Gegenstand der Darstellung gemacht hat.
Selbst der Franzose Antoine Louis Barve kommt ihm
hierin nicht gleich. Von dessen romantischer Bewe-
gungslust unterscheidet sich Gaul dadurch, daß er
die Tiere nicht im Affekt, sondern in der Ruhe dar-
stellte. Er zähmte das Ungebändigte im Tier, so ließe
sich sagen, durch die Form. Doch geriet er bei dieser
Beruhigung niemals ins Genrehafte: seinen Tieren
ist zwar oft eine feine Drolerie eigen, doch erzählen
sie nie Anekdoten. Anderseits prahlen sie nicht pathe-
tisch heraldisch. Alle Werke haben Stil ohne zu stili-
sieren. Die Freude an der reinen Existenz führte Gaul
in der Folge dahin, daß er vom großen Format mehr
absah (die Löwen, Adler, Stiere usw.) und sich
mit besonderer Liebe dem kleinen Getier hingab.
Am besten sind ihm die Esel, Schafe, Ziegen,
Schweine, Biber, Gänse, Enten usw. gelungen. Diese
Darstellungen kleineren Formats nehmen gefangen
durch ihre Unmittelbarkeit, durch die intime Sach-
lichkeit, womit das Tiergemüt erfaßt ist; die Dar-
stellung ist so getreu, so wenig forciert, daß jedes-
mal ein Stück Umwelt mitgestaltet zu sein scheint.
Jede Form ist meisterhaft dem Material, dem Stein
oder der Bronze, abgewonnen, niemals ist das Detail
überbetont auf Kosten des Ganzen. Das erste war
stets der feste anatomische Aufbau, doch sind auch
die Oberflächen so lebendig behandelt, daß das Glatte
und Rauhe, das Fleischige und Fellige, das Fedrige
und Pelzige, das Nasse und Trockene zur Anschau-
ung kommt, als sei es tastbar. Der Künstler hat viel
im Zoologischen Garten gezeichnet und modelliert,
doch arbeitete er ebenso fleißig im naturwissenschaft-
lichen Museum vor den Tierskeletten. Darum ist die
Konstruktion, die Struktur ebenso ..richtig", wie die
Oberflächen es sind. Die Tiere sind nicht nur ge-
sehen, sondern verstanden. Und so konnte dem Mo-
mentanen das Typische und dem Typischen das Mo-
mentane abgewonnen werden.

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