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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 55.1939-1940

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Christoffel, Ulrich: Rubens als Landschaftsmaler: zum 300. Todestag des Meisters
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https://doi.org/10.11588/diglit.16488#0233

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Rubens als Landschaftsmaler. Zum 300. Todestag des Meisters. Von Ulrich Christoffei

Am 50. Mai 1640 starb in Antwerpen der größte Ma-
ler der südlichen Niederlande. Peter Paul Rubens.
Seine Leiche wurde am selben Tage in die Jakobs-
kirche, zunächst in die Gruft der Familie Fourment
überführt und erst 1644 in der vom Künstler selber
erbauten Grabkapelle beigesetzt, die durch das herr-
liche Bild der Maria mit Heiligen, unter denen der
Ritter Georg und der Eremit Hieronymus besonders
hervortreten, geschmückt wurde. Drei Tage später
fanden auf Anordnung des Verstorbenen große Fu-
neralfeiern von barockem und flämischem Ausmaß
und Pomp statt, bei denen ganz im Sinne des Malers
die Lebensfrende, jene hinreißende, naive, anima-
lische Lebenshingabe des flämischen Volkes über die
Trauer siegen sollte. Diese Freude bildete den Grund-
ton auch der Kunst des Landes, und Rubens selber hat
die vollblütige Naturhaftigkeit und Sinnenkraft der
Breughel und Jordaens in sich getragen und sie in
seinen Farben in der Transparenz seines überlegenen
Geistes und seiner persönlichen Kultur mythisch ge-
läutert. Das Leben des Künstlers war durch alle
äußern Glücksumstände begünstigt gewesen, und nur
auf seine früheste Jugend fiel ein Schatten, da er als
Sohn eines von Antwez'pen nach Köln geflüchteten
und zur Zeit der Geburt seines zweiten Sohnes in Sie-
gen im Nassauischen gefangen gehaltenen Notars ge-
boren wurde, seinen endlich befreiten Vater schon
mit zehn Jahren 1587 durch den Tod verlor und seine
Kinderj ahre also in einer vom Kummer der Mutter
bedrückten Lmgebung verbrachte. Sein späteres Da-
sein war ganz das Werk seines persönlichen Genies
und war begleitet von den erstaunlichsten Erfolgen,
die ihm als Maler, Gesellschafter und Diplomat nicht
nur in seiner Heimat, sondern auch in Italien und an
den Höfen von Madrid, Paris und London zuteil wur-
den. Dem Verlust der ersten Gattin Isabella Brant,
mit der er sich auf dem Münchner Selbstbildnis por-
trätiert hat, folgte nach vierjährigem Witwerstand
1650 seine zweite Heirat mit der siebzehnjährigen
Helene Fourment, die ihn menschlich und künstle-
risch beglückte und mit der er häufig das neuerwor-
bene Landgut Schloß Steen aufsuchte, wo er auch die
schönsten Landschaften malte.

Bei einem Künstler wie Rubens, bei dem die ganze
Dynamik seines Wesens auf die malerische Umkrei-
sung aller Lebensströme gerichtet war. der in Altä-
ren. Allegorien, Dekorationen, Jagden und Idyllen
den ganzen Einklang des kosmischen und mensch-
lichen Geschehens in Orgelfülle in Erscheinung tre-
ten ließ, und bei dem, was er malte, der Verherr-
lichung des Menschen, seiner Taten, Träume, Leiden-
schaften diente, ist es erstaunlich, daß er die Land-
schaft als Gegenstand der kontemplativen Natur-
anschauung und als Einzelfall der Bildgebung über-
haupt darstellen mochte. Wirklich bleibt seine Land-
schaft immer etwas Mythisches. Fließendes. Allge-
meines, wie auch jedes seiner Bilder darin Landschaft

wird, daß die Heiligen und Helden, die als Geschöpfe
der natura naturans die Erde bevölkern, von Wolken,
Himmel, Frühling, dem zartesten hellsten Grün der
Bäume und einem rosigen Schimmer der Luft um-
blüht werden.

Rubens war wie Shakespeare als Mensch ein Teil Na-
tur und auch im Geistigen durch viele Adern mit den
Naturelementen verbunden, und seine Landschaften
entstanden daher nicht aus Natursehnsucht oder
einem resignierten Rückblick auf ein verlorenes Pa-
radies, sondern sie waren Phantasien seines eigenen
Naturerlebens. Zu diesem Verhältnis des Malers zur
Natur bemerkte Jakob Burckhardt in einigen schönen
Sätzen, daß sich in seinen selbständigen Landschaf-
ten unmittelbar ein nordischer Mensch offenbare mit
einem Rest von Traumfähigkeit, welche sich als
Landschaft zu äußern begehre und noch Kraft und
Lust dazu übrig habe neben einer riesigen sonstigen
Schöpfung. ,,Was die Natur zu ihm redete, oft gewiß
nur leise Worte, das setzte sich in seinem Innern zu
eigenen ergreifenden Visionen um, und so schenkte
er es der Welt wieder." Es wird damit schon gesagt,
daß Rubens als Landschafter etwas anderes war und
wollte als etwa die holländischen Maler, die ihr Land,
die Küste und Kanäle, die Wiesen, Weiden und
Alleen, sandigen Hügel, grauen Wolken und weiten
Blicke, die Bauernhäuser und Stadtwinkel um des
Darstellens der Wirklichkeit willen porträtierten und
in der unerschöpflichen Variabilität der Beobachtung
von malerischen Einzelheiten und in der Sättigung
der Bildform zu einer stilistischen Überlegenheit ge-
langten, daß ihre Nachwirkung in den deutschen und
französischen Schulen bis heute weiterlebt. Die Land-
schaften von Rubens aber waren unnachahmlich, und
wenn man in seinen Bildern etwa einen Kirchturm
von Mecheln oder den Schloßturm von Steen wieder-
erkennt, wird man dadurch nur daran erinnert, daß
die Landschaften nicht allein aus der Phantasie ent-
standen sind, sondern auch auf Beobachtung und
Wirklichkeit beruhen. Das Landschaftliche ist für
Rubens die Unterlage, um die Natur selber mit den
Sinnen und dem Geist zu ergründen und in ihrer
Phantastik, Größe und grausamen Schönhpit zu ver-
herrlichen. Der Betrachter dieser Naturallegorien
vergißt, was darin als Bildform, als Perspektive, Fi-
gur, Baumzeichnung erscheint und blickt durch einen
unvergleichlichen Schleier milder Farben der Natur
unmittelbar ins Medusenantlitz.

Rubens wurzelte durch das Jahr seiner Geburt und
die Uberlieferung seines Landes noch in dem Zeit-
alter der Renaissance, die mit der Entdeckung der
Unendlichkeit des Weltraumes und einer intensiven
Unendlichkeit in der Zusammensetzung der Stoffe,
der Farben und des Lichtes die Dämonie der Natur-
gewalten entschleiert hatte und nach den philosophi-
schen und bildnerischen Formen suchte, um das er-
schütternde Erlebnis Natur innerlich bewältigen zu

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