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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 55.1939-1940

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Schaumann, Ruth: Lucas Cranachs Kardinal Albrecht von Brandenburg als Hieronymus im Gehäuse
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https://doi.org/10.11588/diglit.16488#0051

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Dichter über Bildwerke, die sie lieben:

Lucas Cranachs Kardinal Albrecht von Brandenburg als Hieronymus im Gehäuse

Von Ruth Schaumann

Erst war es eine glückselige Liebe, dann eine un-
glückliche Liebe, seit heute mittag um zwölf Uhr ist's
eine verlorene Liebe, verloren auf Nimmerwieder-
sehen, und alles in allem war es eine Liebe auf den
ersten Blick.

Ganz, ganz zu Beginn war eine große und flache
Kiste, davor ein riesiger mit Hammer und Zange
bewaffneter Offizier, und dann noch ein kleines Kind,
ein Mädchen, vier Jahre alt. Hammer und Zange in
den starken weißen Händen taten, was ihres Amtes
war, und als der Deckel mit Krachen von der Kiste
herabsprang, da war vor ihm eine Dunkelheit. War
sie ein Stück Nacht? War sie ein Stück Tuch? Der
Vater klopfte schier ärgerlich mit dem Fingerknö-
chel daran, es gab den Ton einer zerbrochenen Geige.
Also war das Dunkel aus Holz. Aus der Dunkelheit
aber kamen nun Farben wie Töne, es ward rot wie
der Mohn, es war gelb wie Äpfel und Birnen im
Herbst, es war ein richtiger Apfel, eine leibhaftige
Frucht des Birnenbaums, ein wenig blaues Grün
schimmerte kalt, eines Mannes Gesicht sah in des
Kindes Gesicht, ein grauer Vogel bog sich über rosen-
farbene Krallen. Inniger beugte sich das Kind in die
Tiefe, da war unter ihm der Aufblick eines gefange-
nen Leuen, schwermütig, doch mild. Dieser Blick
aber riß für alle Zeit das kleine Kind in das große
Bild, sein Herz in das Gehäuse zu dem Manne, den
Früchten und der geduldigen Kreatur.
Was soll ich damit? fragte der Vater. Wäre es ein
Ritter, nun ist's ein Heiliger oder so, wäre es eine
Jagd, aber hier liegt ein zahmer Löwe. Unwirsch hob
er das große Bild aus der Kiste.

Und die Eltern hängten ein wenig mißvergnügt die
Photographie einer Parforcejagd und die zwei Pano-
ramas der Stadt Istanbul von der großen Wand weg
an eine kleine, dafür kam der Mann unter den Tie-
ren dorthin, er deckte etliche Schäden in der Tapete,
so war er doch zu etwas gut. Es war ein uralter Rah-
men darum, schwarz und golden, viele kleine Löchel-
chen waren hineingebohrt; das hätten die Würmer
getan. Das Kind wartete oft, daß die Würmer ihre
kleinen weißen Häupter aus ihren Haustüren her-
vorstecken möchten, doch sie taten es nie. Sie gaben
auch keinen Laut, wie alles auf dem Bilde selber in
Schweigen verblieb, der Leu, der an seinem Pult sit-
zende Mann, die Fasanen, das Eichhorn, der Hase.
Und doch sprachen sie zu dem Kinde, in jener Stunde
seiner ersten Liebe, dann Tage danach, Wochen,
Monde, Jahre, und das Kind redete mit ihnen, stumm
und schweigend wie sie. Es waren viele Sprachen, die
da gesprochen, die da verstanden wurden, das Kind
sprach die Hasensprache, als sei es Häslein geworden,
es redete die Sprache des Fasans, als sei es sein Kind,
es konnte die der Wachteln, die des Eichhorns, des
Bibers, des Rehs, endlich auch die dessen, der da an
einem kleinen Kreuz hing auf dem großen Tisch vor

dem Pult des Mannes, der Hieronymus heißen sollte:
diesen allein verstand das Kind nicht, sicherlich sprach
und sann er einzig Latein.

Das Kind war immer in seiner Art einsam gewesen,
fortan war es nicht mehr einsam. Es schlich sich her-
ein, es saß vor dem Bild auf dem türkischen Teppich,
es war in der Stube des Vaters, die nach Juchten und
Tabak roch, und dennoch in der Kammer mit den
grünen bleigefaßten Scheiben.

Die Tiere hatten wohl die Namen ihrer Art, das
Kind gab ihnen Namen zum Rufen. Celia hieß
das Reh, die Wachteln Lutz und Lenore, Karl war
der Biber; warum, das Kind wußte es selber nicht.
Agid war der Name des kleinen Papageis, der Hase
gehorchte dem Ruf: ,,Ostermorgen", Seraphika aber
hieß das Fasanenweibchen und der Hahn Tyl. Schwer-
mütig, doch ohne Zorn blickte der Leu über die Tat-
zen, grollend mußte der Name sein, erhaben, doch
demütig zugleich — ..Theodor", sagte das Kind, und
der Leu blickte zufrieden.

Einmal war das Kind der Lüge geziehen worden,
man hatte es hart und zu Unrecht gestraft. Es schlich
herein, stieg auf das Ruhebett, es legte sein kleines
Gesicht an des Löwen Mähne heran, es sagte mit
Schluchzen: Sie sagen, ich habe gelogen, du weißt es,
du weißt es, du könntest es ihnen wohl sagen, ich
habe dir doch den schönen Namen geschenkt. Der
Leu schwieg, die Tränen rannen heiß über das alte
Bild zwischen die kornpickenden Küchlein hinein.
Die Wesen des Bildes blieben sich immerdar gleich,
das Kind wandelte sich. War es schwer und stet ge-
wesen, so ward es unstet und flüchtig und in seinen
Gedanken wie das vielendige Leuchtergeweih auf dem
Bild. Selbst eine Hinde Celia, glitt das Mädchen
durchs Haus. Höher hinan als zum Speicher ging es
nicht mehr, da hing es denn halb zu der Luke hin-
aus in den Sommerhimmel mit seinen schreienden
Schwalben, sehnsüchtig, selbst schwebende Schwalbe
zu sein. Da pfiff eine Maus, da mußte man sich wohl
wenden, da sah das Mädchen hinter Staub und Spin-
nengeweb das Gleißen von goldenen Spangen, glei-
ches Gold wie da und dort im Hieronymusbild, und
ein Dolch blitzte, als wäre er wahr.
Selber Blitz, flog es die Treppe hinab: Vater! ■
Was gibt's, oder brennt's?

Gold und Dolch und eine sehr schöne Dame! Wo?
Auf dem Speicher. Sie komme herab!
Aber sie kann nicht, sie hat keine Füße, und dann,
sie hat nichts an bis auf das viele Geschmeid.
Meinst du die? Das ist die alte Lukrez! (Der Vater
pfiff.) Der den Löwen dort malte, hat die droben
auch gemalt, aber der mit der Mähne kann sich
schließlich doch sehen lassen, aber die droben, nie!
Vater, nimm sie dort fort, denk an die Mäuse. ■—
Hat sie nicht ihren Dolch? — Vater, was hilft ihr
der Dolch? — Nun denn, hole Hammer und Nägel!

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