Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 55.1939-1940

DOI Artikel:
Puyvelde, Leo van: Die neuesten Werke von George Minne
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.16488#0046

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Foto B. du Vinage, Berlin

George Minne. Der Tod des Abel

Die neuesten Werke von George Minne.

Die wenigen, welche den Vorzug haben, dem großen
belgischen Bildhauer persönlich zu begegnen, freuen
sich an dem unentwegten Tatendrang und den rei-
chen schöpferischen Plänen des angehenden Siebzi-
gers. Es kommt selten vor. daß das Schaffen eines
Künstlers von höheren Jahren einer unaufhaltsam
steigenden Linie folgt. Solche Erscheinung zeugt von
der glücklichen Vereinigung wahrer Schöpferkraft
mit einem klaren, lenkenden Verstand.
Minne ist niemals völlig befriedigt von dem, was er
leistet: immer meint er, es hätte noch besser sein
müssen: ihm scheint es, als überrage sein künstleri-
sches Wunschbild das handwerkliche Können. Diese
Unbestechlichkeit gegen sich selbst kennzeichnet seine
Kunst. Es macht ihm nichts aus, stets dasselbe Thema
zu behandeln: ,,Mutter und Kind", ,,Christus". ,,Die
Badende". ..Der Kniende" . . . "Worauf es ihm einzig
ankommt, das ist, mit seinen Menschengestalten
Bildwerke zu geben, an denen sowohl Umfang als
Aufbau und Rhythmus zur Verwirklichung einer her-
vorragend plastischen Kunstidee beitragen.
In letzter Zeit tritt im Schaffen Minnes noch eine

Von L. van Puyvelde

weitere hohe Eigenschaft hervor: die Heiterkeit.
Jene Heiterkeit, wie sie das Alter überstrahlt — das
Alter, wo die Seele zur Ruhe kommt und die Leiden-
schaften ihre Bändigung und Zielrichtung finden —,
wo der Geist-Verstand aufleuchtet und die schöpfe-
rische Idee erhellt. Schon die Jugendwerke Minnes
ließen etwas von dieser wunderbaren Heiterkeit
ahnen. Allerdings haben einige seiner Arbeiten, wie
z. B. der ..Mann mit dem Schlauch", eine Seelennot
ausgedrückt, die ganz der Jahrhundertwende, dem
«fin de siecle», entspricht. Das war noch vor 1900. Zu
jener selben Zeit jedoch schuf er bereits den „Knien-
den" in Marmor, welcher in Gestalt eines großen Wür-
fels gehalten und in breiten Flächen gearbeitet ist.
Kubismus. — Diesem Streben, die Skulptur um ihrer
selbst willen zu schaffen, den Marmorblock in seiner
Ursprünglichkeit zu bewahren, die Form zu berei-
chern durch Bewegungen, welche bei aller Neigung
diese Einheit zu sprengen, dennoch stets zu ihr zu-
rückkehren — der Modellierung breite, weiche Wel-
lenbewegungen zu verleihen — im Großen zu ge-
stalten —, all dem ist Minne in seiner Kunst bis

Kunst für Alle. Jahrg. 55, Heft 2, November 1939

6

41
 
Annotationen