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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 55.1939-1940

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Raschke, Martin: Nicolas Poussin, "Schlafende Venus, von Hirten belauscht"
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https://doi.org/10.11588/diglit.16488#0022

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Dichter über Kunstwerke, die sie lieben:

Nicolas Poussin, „Schlafende Venus, von Hirten belauscht". Von Martin Raschke

Die Sage erzählt, daß Venus dein Meere entstieg,
und so scheint es auch uns, die wir doch längst die
Gründe der Sage verließen, als wiege sich diese
Schläferin in Erinnerung an ihre Heimat auf einem
grünbraunen Meer hinaus in Traumesfernen. Es ist
Iceine hoheitsvolle Frau, die vor uns auf der braunen
Waldhank ruht, in einem abendlichen Lichte, das
seine letzten Feuer im Haar der Schläferin und in
den Schatten ihres fallenden Leibes anzündete: es ist
eine junge, ländlich anmutende Schöne, die um ihre
Bewegungen wissen darf, ohne dadurch an Schönheit
einzubüßen, was ihr göttlichen Rang verleiht. Sie
schmiegt ihren Kopf in den gewinkelten Arm wie in
die Achselhöhle des Geliebten, der von ihr ging und
doch noch ihren Schlaf bewohnt: alle Glieder dieses
wohlig gelösten Leibes sprechen von ihm. Wie locker-
ten Schlaf und Erinnerung selbst das Gesicht, in dem
sich Lust und Trauer zärtlich mischen. So schlum-
mert sie. von einer braunen W eile aus dem Wald-
grund hervorgetragen, eine den Göttern geschenkte,
ja wie geopferte Frau und doch eine Göttin: die
Gabe des Gehens scheint ihr auch im Wachen nicht
eigen. Schlafend ordnet sie die Erde. Alles wird ihr
Besitz, indem sie es in ihren Traum einbezieht. Das
Licht, in das sie ein schon lange versunkenes Gestirn
taucht, scheint von ihr wider, als fließe ihre Liebes-
kraft über und erhelle alles ringsum mit einem näch-
tigen Glanz. Wie ein Wassersturz fließt das Tuch
unter der Schläferin hervor, die es in ihrem leiden-
schaftlichen Traume verschob: es leuchtet mit silb-
rigem phosphoreszierendem Scheine und schenkt dem
Bilde zu dem gedämpften Rot und Braun und Blau-
grün einen kühlen Ton, in dem alle Motive der
Zerstörung anklingen.

Die Eroten sind ausgeschlossen aus diesem Kreise,
wo sich die Welt in Traum auflöst. Gestürzt sind die
Becher, die Trauben verschüttet. Wozu der Rest?
Gern würden die Götterchen die Göttin wecken, eifer-
süchtig auf den Traum. Täppisch greift der eine nach
ihrem Lager, womit er dem Vordergrund, zusam-
men mit dem umgefallenen Mischkrug, ein anmuti-
ges Maß der Tiefe schafft. Sein Kranz ist noch frisch,
seine Pfeile sind gespitzt: auch die Götter vermögen
ja keine Lust zu spenden, ohne zu verwunden. Rot
überhaucht seine Flügelchen das Licht des Tages, mit
dessen Scheiden er Zwiesprache hält. Das lichte Ver-
gißmeinnichtblau seines Kranzes wird beantwortet
vom blauen Rocke der Hirtin im Mittelgrund und
ferner am blaugrünen Himmel: unter diesen Brük-
kenpfeilern ans Blau schäumt die grünbraune Woge
aus den rechten Waldgründen, die Schläferin auf
ihrem Rücken. Geheimnisvoll kreuzen sich diese zwei
leicht schwingenden Raumdiagonalen, und die Musik
ihres schwingenden Gefälles durchtönt das Bild: das
barocke Erbe von Kurvaturen vermählt sich mit
einem kühleren und beruhigteren Gestaltungsprinzip.
Nimmt der zweite Erote, der zu Füßen der Göttin

angelehnt steht und trotz seiner aufgerissenen Augen
ihr lustvoll entspanntes Gesicht zu spiegeln scheint,
die Hirten wahr, die sich rechts aus der Baumhöhle
vorbeugen, um die Schlafende zu belauern? Greift
er nicht schon nach Köcher und Pfeil, er. dem die
Treue nichts, die schmerzliche Lust alles ist? Und
hemmt wohl jene Lauscher ein ähnliches Gefühl, wie
es uns viel spätere Menschen vor solchen Schläferin-
nen beseelt, daß der Schlafende heilig ist und daß
sich die Welt in ihm geheimnisvoll heilt, ja erneuert,
oder bedenken sie ganz ohne Ehrfurcht vor dieser
Traumbraut, die satt von Liebe einschlief und doch
noch hungert, wie sie die Schläferin überlisten kön-
nen? Fühlen sie vielleicht gar. da sie sich ihr nahen
wollen, um der Träumenden die Nähe des Geliebten
vorzugaukeln, daß sie gar nicht wie diese junge Göt-
tin wirklich sind, sondern nur schattenhafte Bewoh-
ner ihres Traumes? Der Betrachter jedenfalls, des-
sen Augenmerk zunächst die nackte Schläferin be-
herrschte, angerührt von der Musik des Gliederfalles,
entrinnt dem Wahne kaum, daß alles, was um die
Träumende im Bilde geschiebt, nur ein Niederschlag
ihres Traumes sei.

Im abendlichen Lichte schimmern die rötlichen Baum-
wolken: es nistet auch in der Wolle der weidenden
Lämmer, die Eile haben zu fressen, ehe die Nacht
sie schläfert. In ihrem Kreise sitzt der Herr dieser
arkadischen Welt, der Hirt, dem sich die Liebste
naht. Das alles träumt die Göttin, und sie spürt sogar
mit ihren immer wachen Sinnen, die sie ausgespannt
hat wie ein Netz, um Schmerz und Liebe zu fischen,
die Nähe der gierigen Hirten. Schläft sie denn noch?
Hängt ihr nicht eine ungepflückte Traube zu Häup-
ten? Spiegelt sich etwa gar das Rot des Schäferkittels
in ihrem Gesicht und nicht der milde Abend? Was
eben noch ihr Traum schien, gewann Wirklichkeit
und beginnt schon sein leidvolles und lustreiches
Spiel mit dem Träumer. Darum also liegt sie so ver-
lockend, die große Fischerin. Sie stellte sich nur schla-
fend. Gleich, wenn die Lockung vollendet ist, wird
sie aufspringen vom nur vorgetäuschten Lager, den
Mantel des gütigen Schlafes abstreifen und blind ihre
Pfeile senden auf alle, die hungrig auf ihren Schlaf
waren. Dann werden die Becher aufgerichtet, die Trau-
ben von triefenden Lländen gekeltert, und die Welt
altert in den Zechern abermals um einen Tag, wäh-
rend sich die Göttin, eintauchend in das Meer des Schla-
fes, wieder jung schläft und mit neuen Schauern belädt.
Ist es vielleicht gar nicht Abend auf diesem Bilde,
sondern Morgen, und ist das Rot, das alles wärmt,
nicht Erinnerung, sondern Feuer und Vorgefühl
neuer Leidenschaften? Wir entrinnen dem Hause
dieser Göttin nicht, mag sie schlafen, mag sie wachen.
In ihrem Traume bleiben wir gefangen. Scheint es
auch manchmal, als dürften wir fern von ihr nur uns
gehören, dauert es doch niemals lange, bis sie uns
zurückruft und wieder an ihr Herz nimmt.

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