Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 55.1939-1940

DOI Artikel:
Reetz, Hans: Karl Blechen, Opfergang der deutschen Romantik
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.16488#0039

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Karl Blechen, Opfergang der deutschen Romantik. Von Hans Reetz

Karl Blechen war bis zu seinem 24. Lebensjahre ein
junger Bankbeamter, der sich in den Mußestunden
der Malkunst widmete. Indessen gehörte er zu den-
jenigen, hinter denen das Schicksal steht. So kam er,
nachdem er 1822 Schüler der Berliner Akademie ge-
worden war, bereits nach kurzer Zeit mit den Schlüs-
selstellungen der damaligen Malerei in Berührung.
Das geschah zunächst in Dresden. Dort hatte Bunge
seine entscheidenden Jahre verbracht, und dort hatte
sich ebenso die Entwicklung Caspar David Friedrichs
vollzogen, dessen Malerei die eigentliche Höhe der
Bomantik ist. Indessen war Dresden bereits seit dem
18. Jahrhundert aber auch eine Hauptstadt des Bea-
lismus. Dort lebten Kersting, der, wie Friedrich, die
eindringliche Xaturbeobachtung von Kopenhagen
herübergebracht hatte, Carus, der besonders als For-
scher und Theoretiker den werdenden Bealismus be-
förderte, und vor allem Claussen Dahl (1788 bis
1857), der aus seiner Heimat Norwegen und von
Kopenhagen einen Bealismus robuster, malerischer
Art mitgebracht hatte. Dahl war einer der entschei-
denden Führer des malerischen Bealismus.
Karl Blechens empfindliche und empfängliche Art
empfing die entscheidenden Anregungen sowohl von
Friedrich als auch von Dahl; und damit stand er nicht
nur zwischen den gegensätzlichen Malweisen des
zeichnerisch dünnen, die Farbe zurückhaltenden
Silhouettentons der Frühromantik und der breiten,
erregten, die Farbe malerisch vortreibenden Malweise
des beginnenden Naturalismus der Zeit nach 1830,
sondern ebenso zwischen den beiden Welten der gei-
stigen Sinndeutung der Natur aus dem Allgefühl des
romantischen Geistes und der willensmäßigen Be-
wältigung und gleichsam Überwältigung der Natur
aus der Kraft des menschlichen Schöpfertums, dem
die Farbe das Urelement der Welt ist. Blechen stand
zwischen der Bomantik und dem malerischen Bealis-
mus, in dem ja die Anfänge zum Impressionismus
steckten.

Geladen mit dieser Spannung kam Blechen 1828 nach
Italien, wo nicht nur die sonnenreiche, von Licht
überflutete Landschaft in ihm die Sinnengewalt der
Farbe aufs heftigste entzündete, sondern wo auch be-
reits seit zehn Jahren, besonders durch die Englän-
der, der Parteienstreit zwischen den Bomantikern.
Nazarenern und Klassizisten auf der einen Seite und
den Bealisten des Malerischen auf der anderen im
Gange war. (1820 stellte Turner in Born aus, 1824
setzte sich die englische Auffassung bereits in Frank-
reich durch.) Hier ließ Blechen die Zügel seiner
genialen und schweifenden Begabung schießen. Hier
drängte seine qualvoll angespannte Phantasie vom
Bomantischen hinweg zur Sinnenglut des südlichen
Lichtes. Dabei ist er nur in seltenen Fällen zur rei-
nen, lediglich nach Färb- und Lichteindrücken emp-
fundenen Malerei — also zum Impressionismus —
gekommen. Er hat vielmehr die romantische Grund-

haltung niemals aufgegeben. (Darin gleicht er Tur-
ner und auch Corot, der sein Generationsgenosse
war.) Das war ja gerade seine Größe, das Einzig-
artige an ihm und zugleich seine Tragik: er hat mit-
ten in der brennenden, gleißenden Lichtfülle des süd-
lichen Tagesgestirns, wo das Auge erfüUt wird mit
der Überfülle weltlicher Schönheit, Kraft und Da-
seinsbejahung, niemals das innere Träumen, das
Grüblertum, die bohrende und die Natur nach Sinn
und Sinnbild befragende Sehnsucht des Nordens auf-
gegeben.

Während er so von der extremen Bealität und der
extremen Phantasie zugleich geleitet wurde, entfes-
selten sich die Tiefen in seiner eigenen Brust, aus
der das Elementar-Dämonische hervordrang. In die-
ser Zerrissenheit war er eine daxch und durch roman-
tische Natur. Mit Gewalt drängte er aus seiner Zeit
heraus. Sein Temperament war zu stark und seine
Sendung zwingend, als daß er sich hätte bescheiden
und beschränken können wie der Hamburger Was-
mann, auch ein „Frühimpressionist", der seine male-
risch-impressionistischen Arbeiten vor der Welt zu-
rückhielt und sein öffentliches Dasein als ein honet-
ter Biedermeier-Porträtist verbrachte. Blechen war
von jener romantischen Bulielosigkeit getrieben, von
jenem Badikalismus der Bomantik, der den eigenen
Gegensatz aus sich heraustreibt und von Extremen
beherrscht wird bis zur Zerstörung und Auflösung.
Freilich ist die kurze Blüte und die Frucht unendlich
süß, aber der Bruch, sowohl im Werk als auch in der
Person, kann nicht ausbleiben. Das trifft auch bei
ihm zu, dem in der Vereinigung der beiden gründ-
lich entgegengesetzten Welten der Bomantik und des
malerischen Freilichtrealismus, Werke, Skizzen ge-
lungen sind, die eben nur einmal und einem gelingen
können, die einer einmaligen geschichtlichen Lage
und einem kurzen Augenblick entstammen und die
gewissermaßen den schwebenden Punkt darstellen,
wo das Bad der Geschichte umschwingt.. .
Man hat einmal gesagt. Blechens Impressionismus sei
beinahe Privatsache. Man wollte damit sagen, er
stünde eigentlich außerhalb der Geschichte. Daran ist
insofern etwas Wahres, als er in dem echten roman-
tischen Drang über die Grenzen, die dem Menschen
in Baum und Zeit der Geschichte gesetzt sind, hinaus-
griff und dabei in das Zwischenreich der Zeiten ge-
langte, wo neben dem verheißungsvollen Zauber der
noch ungeborenen schöpferischen Elementargewalten
auch die Gefahr künstlerischer Frühgeburt lauert,
die fragmentarisch ist und die der gesicherten Form
entbehren muß.

Bereits 1859 wurde Blechen wahnsinnig. Er starb
ein Jahr darauf. Sein Erbe führte zu Menzel und
Böcklin. Die geschichtlichen Kräfte, an deren Zusam-
menhalt, Bändigung und Einheit er die Kraft seines
Lebens gesetzt hatte, teilten sich hinter ihm . . .

34
 
Annotationen