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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 55.1939-1940

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Christoffel, Ulrich: Die Bildererzählung als Stilleben
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https://doi.org/10.11588/diglit.16488#0142

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Daniel Chodowiecki. Atelier

Die Bilderzählung als Stilleben. Von Ulrich Christoffel

Figuren im Raum in einer Handlung oder einer un-
bestimmbaren seelischen Empfindung und Spannung
darzustellen, galt immer als eine besonders reizvolle
Aufgabe der malerischen Bildkunst, und seit dem Be-
ginn des malerischen Stiles im 15. Jahrhundert sind
in der Verkündigung, in der Geburt der Maria und
des Johannes, im Hieronymus im Gehaus und in der
Heiligen Familie schon alle Möglichkeiten der Ver-
bindung des Räumlichen und Figürlichen und der
Abstimmung der Figur auf den Raum abgetastet und
angewendet worden. Die Übertragung dieses Motivs
der Bilderzählung im Innenraum aus der sakralen in
die bürgerliche Welt haben die Holländer des
17. Jahrhunderts vollzogen, wo Metsu, Maes, Pieter
de Hooch, Vermeer und Terborch das Leben der hol-
ländischen Stuben, Dielen und Küchen in Gruppen
von Kavalieren und Damen, Müttern und Kindern
oder in Einzelfiguren von Briefleserinnen, Spinne-
rinnen, Milchmädchen, Köchinnen zu schildern be-
gannen und dabei einem Behagen an farbigen Kost-
barkeiten und Stoffen wie Seide, Pelzen, Metall, am
Licht- und Schattenspiel halboffener Türen und Fen-
ster, am "Widerschein der Spiegel unbegrenzt nach-

gingen und daraus die delikatesten koloristischen
Schönheiten entwickelten. Die Weitung des Räum-
lichen in diesen holländischen Stubenbildern und das
Hineinführen des Blickes in die Tiefe eines oft hei-
lern Hintergrundes, verbunden mit der dekorativ ver-
feinerten Umrißzeichnung der Gruppen und Figuren
ergab für die Vereinigung des Figürlichen und
Räumlichen überraschend eigenartige und zaube-
rische Wirkungen. Aus den Anregungen des hollän-
dischen Sittenstückes sind im 18. und 19. Jahrhun-
dert immer neue Varianten der Bildgebung entstan-
den und auch heute ist die Anziehungskraft dieser
Genre-und Interieurmalerei noch nicht erlahmt, aber
von der fruchtbaren Überlieferung haben sich auch
manche weniger erfreuliche Nebenentwicklungen ab-
gezweigt, indem die eigentliche malerische Aufgabe,
über den Absichten zu unterhalten und zu verblüffen,
oft vernachlässigt wurde.

Schon gegenüber der artistisch meisterhaften Stuben-
malerei der Holländer sind Bedenken geäußert wor-
den, daß bei dieser restlosen Versenkung der male-
rischen Empfindung in das Räumliche und Stoffliche,
in die Schönheit der Schatten und Glanzlichter die

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