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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 55.1939-1940

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Schaumann, Ruth: Lucas Cranachs Kardinal Albrecht von Brandenburg als Hieronymus im Gehäuse
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https://doi.org/10.11588/diglit.16488#0053

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Und Vater und Tochter haben des Cranach schöne

Lukrezia wieder zu Ehren gebracht.

Zwei Cranach in Ihrem Besitz? sagten die Gäste voll

Staunen. Ja, ja, das kommt vom Sterben und Erben.

Mein Erahn sammelte solcherlei.

Wie in der Kirche sprachen die Gäste im Flüsterton

und wechselten zwischen der schönen Lukrezia und

dem Leuen.

Wer war dein Urahn? fragte das Kind den Vater.
Dein Ururahn, herzoglicher Rat war er zu Braun-
schweig, ein Bücher- und Bildernarr, mit Büchern
und Bildern ließ er sich malen, seine Frau aber allein
in Spitzen wie eine Fei, daraus guckt sie mit deinem
Gesicht. Ist schon lange tot, er ist auch tot, fand einst
zwischen zwei alten Häusermauern zahllose Bilder,
waren auch diese dabei, wären sie dort geblieben, es
wäre kein Schade, wer lebt denn noch mit Bildern?
Ich, sagte das Herz des Kindes.

Das Kind verließ das Elternhaus, in des Lebens
Lehre zu gehn: Lebe wohl, Karl, lebe wohl. Oster-
morgen, lebt alle wohl, Celia. Tyl, Seraphika und
Agid, lebe wohl, Theodor, lieber! Das Bild des Man-
nes am Kreuz trug es klein und silbern am Hals.
Auch die schöne Lukrezia mußte dann gehn.
Eine Herrengesellschaft und das deutende Finger-
chen der nachgeborenen Schwester: ,.Dies istMammi"
verbannte die schöne Tugendreiche in das Ankleide-
zimmer des Herrn. Dort sah sie der Bursche Seba-
stian. Der brauchte fortan Stunden im Ankleidezim-
mer, wofür er sonst Minuten gebraucht. Der Haus-
herr erwog: Sebastian oder Lukrezia! So mußte denn
sie das Haus verlassen wie eine Magd.
Und Jahre vergingen. Sehr fern dem Elternhaus
sehnte sich die Siebzehnjährige nach dem Löwen
Theodor, nach Karl dem Biber, nach dem Mann am
Kreuz. Sehnsucht muß singen, und auf einen kleinen
Zettel schrieb sich das erste Sonett:

Hieronymus im Gehäuse

Es riecht nach Löwen und nach greisen Haaren
Und von der Decke schwankt die Kürbisglocke,
Der Pilgerhut hängt groß beim roten Rocke,
Um einen neuen Wandertag erfahren.
Das junge Eichhorn nagt am Lindenblocke,
Dem Alten seine Lust zu offenbaren,
Er aber deckt des Buches Zeichenscharen
Mit des Gedankens ungeschmolzner Flocke.

Die Initiale einer Seite weist
Türkisenblau voran den Letterbahnen
Des Herren Jesu Christ Am-Kreuz-Vergehn.
Im morschen Menschen beugt sich aller Geist.
Schwach wärmen Küchlein zärtlicher Fasanen
Die bebenden und welken Pilgerzehn.

Jahre verstrichen. Und die Jungfrau sagte zu ihrem
Verlobten: Wann ich dich jetzt in das Haus der
Eltern führe, was ist von ehemals noch darin, ach
nicht viel! Vater ist nicht mehr da, er liegt vor Ver-
dun. Aber das Bild ist noch da, das ich liebte, bevor
ich dich liebte, der Löwe Theodor weiß, wie sehr.
Sie standen davor, es war dem "Manne, als sitze neben
dem Leuen ein kleines Wesen, das Haupt in seine
Mähne geschmiegt, die Küchlein lockend, auf der Schul-
ter Agid, den Papageien, Ostermorgen im Schoß des

purpurnen Kleids, Celia mit Blicken kosend, Karl mit
der Spitze des Schuhs, und der Hinde gleichend in
Scheu, sprechend: ich bin die Liebe des Kindes, das
sich dem Bilde geschenkt.

Und ein Sohn ward den Gatten geboren. Die Mutter
betrachtete ihn, sie sagte: Er ist so klein, wie die
Küchelchen der Fasanen, er hat Haare wie Oster-
morgen. ich werde ihn mit den kleinen Füßen auf
den Rand des alten Bildes stellen: gehe hinein, mein
Sohn, fürchte dich nicht, sei so glücklich im Gehäuse,
wie ich es gewesen bin.

Die kleinen Füße haben nie auf dem Rande des Bil-
des gestanden.

Durch das neue andere Haus in der Vaterstadt irrte
die junge Frau, treppauf, treppab, über den Spei-
cher und durch die Keller, und bei der Suppe fragte
sie bebend: Wo habt ihr den Hieronymus hingetan?
Er ist verkauft!

V as man liebt, davon muß einer reden, auch wenn
es verschollen ist. Immer wieder taucht der Leu und
das Bild, das geliebte, in den eigenen Büchern auf:
,,Die Ordonnanz steht, die Augen unbeweglich auf den
untersten Band des alten Hieronvniusbildes gerich-
tet, Hieronymus im Gehaus, der Löwe gezähmt, Küch-
lein des Fasanen picken auf seinen mageren Schen-
keln, bei einem gelehrten Einsiedler wird ein Löwe
nicht fett, das Eichhorn auf dem Tisch knackt eine

Nuß." [Der Major.)

Und wieder:

,,Seine Faust schwoll sofort von dem Schlag auf den
Tisch. Daß des Hieronymus Löwe nicht aus dem Bild
an der Wand sprang, das hat ihn gewundert, es muß
entsetzlich sein, zeitlebens ein gemalener Löwe zu
seil).'" [Der Major.)

Zu dem einen Sohn sind noch andere Kinder gekom-
men. Sie fragen: Mutter, wo aber kam dein Hiero-
nymusbild denn nur hin?

Der Himmel weiß es. Suchst du es? Ja, ich suche,
aber ich finde es nicht, irgendwo muß es doch sein.

Schreiben Sie uns etwas als Dichter über ein gelieb-
tes Kunstwerk, bat die „Kunst". Haben Sie eines?
Ja, ich habe. Es ist Cranachs Hieronymus im Ge-
haus, geliebt und verschollen, sie haben es verkauft,
sie sagten mir nichts davon, ich hätte soviel gegeben.
Wir haben einen Cranachschen Sammelband.
Oh, er ist nicht darin.

Sie blätterte doch darin, da wurde sie rot und dann
bleich: ,,Sarasota (Florida), Sammlung John Rieg-
ling: Kardinal Albrecht als Hieronymus im Gehaus.'1
Ein Abbild des Bilds, und sind noch alle darauf: Tyl
und Karl, Seraphika und Ostermorgen, die geflügel-
ten Lutz und Lenore, Agid und Celia, die Küchlein,
der Mann hinterm Pult und der Mann am Holze des
Leidens, der Apfel vom Paradies und die Traube vom
Rebstock, und der Löwe Theodor blickt schwermütig
über die Tatzen hinaus: Sie haben uns alle verkauft,
du aber hast uns geliebt, wir wollen dir's nicht ver-
gessen, wie du uns ja nicht vergißt.
Es war eine glückliche Liebe, dann war es eine un-
glückliche Liebe, und nun ist's eine verlorene Liebe,
verloren auf Ximmerwiedersehn.

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