Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 55.1939-1940

DOI Artikel:
Beutler, Ernst: Johann Heinrich Füßli
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.16488#0061

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Johann Heinrich Füßli. Kriemhild an Siegfrieds Leiche

jähr, der italienische Aufenthalt, der Tod, all diese
Ereignisse liegen bei ihm 7 bis 8 Jahre vor den ent-
sprechenden Daten von Goethes Leben. Die Folge da-
von ist, daß Füßli schwerer und später sich dem
Klassizismus annähert, länger braucht, um roman-
tische Elemente in sich aufzunehmen. Ubergänge,
die Goethe leicht wurden, in die er sozusagen mit der
Flut seiner Zeit hineinglitt, vollzogen sich langsamer
bei dem Schweizer, der noch zuviel Ballast aus dem
Jahrzehnt vorher mit sich führte.

Und doch haben beide Naturen ihre Verwandtschaft
empfunden, und wie Füßli in Rom den Werther las
und den Götz — Bücher, die ihm Lavater schickte —,
so hat wiederum Goethe mit leidenschaftlicher An-
teilnahme das Schaffen des Künstlers verfolgt und
seine Skizzen gesammelt, ja 1780 sogar Füßli in
einem dringenden Brief um einen Entwurf für ein
Denkmal im Park an der Ilm gebeten. — Erst mit
seiner Hinwendung zum Klassizismus rückt der Dich-
ter, und nun allerdings entschieden und für lange
Zeit, wenn auch nicht für immer, von dem Schwei-
zer oder nunmehr englischen Maler ab.
Nach England war Füßli gegangen, weil er durch
einen Angriff auf die bestechliche Verwaltung der
Züricher Aristokratie sich selbst gefährdet hatte, ande-
rerseits war England damals das maßgebende Land

Europas. In der Dichtkunst, der Religion, der Phi-
losophie, vor allem auch politisch war dieser Staat
führend. Die Freiheit und den weiten Raum, den
Füßli brauchte, hier hoffte er beides zu finden. Aber
er ist trotzdem nie im eigentlichen Sinne ein eng-
lischer Maler geworden. Die Engländer haben in ihm
auch immer den Ausländer gesehen, noch bis zuletzt
ihn in London „The wild Swiss" genannt und nach
seinem Tode rasch ihn und sein Werk vergessen. Und
„wild" war er wirklich, vor allem, wenn man ihn mit
der zahmen Malerei der Zeit vergleicht, die in Eng-
land auf das Schöne und Elegante, in Deutschland
auf das Bürgerlich-Intime ausging. Alan kann sich
keinen größeren Gegensatz denken als Füßli und
Chodowiecki. Und was die englischen Gesellschafts-
bilder anlangt, so hat Füßli — von ganz wenigen
Zeichnungen englischer Frauen abgesehen — sich
auch hier gegen die Zeit gestellt. Porträtierte Gains-
borough die Damen des Hochadels, so Füßli mit süf-
fisanter Kennerschaft die Londoner Kokotte. Ja, es
gibt Zeichnungen von ihm, die an raffiniertem Zy-
nismus ihresgleichen suchen. Es war ihm das immer
noch interessanter als die befriedete Glätte der Ge-
sellschaft.

Aber sein eigentliches Feld war das heroische Pathos.
Ihm hat von Jugend an sein Herz gehört. Mochten

55
 
Annotationen