Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 4.1924

DOI Heft:
Heft 1 (Januar 1924)
DOI Artikel:
Müller, Alexander: Bildender Kunstunterricht
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.22225#0004

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext

Deutsche Blätter sür Zeichen-Kunst- und Werkunterrlcht

Zettschrift des Reichsverbandes akademischer Zeichenlehrer
des Reichsverbandes akademkscher Zeichenlehrerinnen

Verantwortlich sür dic Schriftleitung: Professor Gustav Kolb, Göppingen
Druck und Verlag: Eugen Hardt G. m. b. H. Stuttgart, Langestraße 18

h. Iahrgang Ianuar 1924 Heft 1

Bildendcr Kunstunterricht. Müller, Lichtenberg — Zur Geschichte nnserer Rechnungszeichen. Or. E- Löffler —
Unsere Einstellung zur Reform der yöheren Schulen und der Lchrcrbildung. G. Stiehler — Werkunter-
richt in Verbindung mit dcm Zeichenunterricht. Walter Lange, Tübingen — Auszug aus der Bekannt-
machung über die vorläufige Normalstundentafel für die Einheitsschule in Thüringen — Nnzulänglichcs
bei Aufstelluna eincr ncuen Prüfungsordnung — Die tzarmonie der Formen — Was ist Kunstgewerbe?
Professor Wilhelm Thiele — Wille und künstlcrische Begabung. Schuldirektor Ludwig Schlosz, Rimas-
zombat — Vom kunstgeschichtlichen Unterricht — Ilmschau — Buchbesprechungen.

Bildender Kunstunterrrcht"

Von Mül! er - Lichtenberg.

Mit jcder neuen lsugend ist uns einc neue Mög-
lichkeil der Entfaltung menschlicher Fähigkeiken ge-
geben. Darum ist es Pflicht dessen, dem dic Pflege
dcr äugcnd vertraut ward, nicht das ihn Ge-
lehrte ungcprüst weiterzugeben, son-
dcrn bis auf den Anfang zu ersorschcn. Diese Leit-
gcdanken einer wahren Schulrcforin scien hier auf
den bildcnden Kunstunkerricht angewendek.

Der Begriff: Anfang, tst in der menschlichcn Bor-
stellung dahin formuliert worden: am Anfang war
die Tat. Diescs schöpferische Prinzip bcobachlen
wir auch als das Hcrrschende in der Iugcnd. ste
jünger das Kind ist, desto stärlrcr trcken diese schas-
fenden Gewalten an ihm in die Erscheinung. Die
Nakur zeigk uns hicr, dah die Iugcnd das schöpferische
Prinzip braucht zum ^Wachscn und Entfalten. Es
ergibt sich daraus, daß ein Pflegcr der Zugend eben-
falls von diescm Prinzip durchdrungen sein muß,
will er die ihm anvcrtrauken Mcnschen im Wachsen
fördern und nichi hindcrn. Sehcn wir siir das
Wort Tak das sich damit deckende Wort: schaffende
Arbcik, so erlrennen wir, dah ein Ilnterricht durch
schaffcndc Arbcit die naturgemähe Ausbildung der
Iugend ist, im Gcgcnsah zu eincm Lernunterricht, in
deni ferkige Erfahrungen von Menschen weik spä-
tcren Lcbcnsalters dcr Zugcnd ausgepfropft werdcn.
Die Arbeitsschule ist dahcr die Forderung der Iu-
gcnd nach dcm ihr eigenen Gcsch, die Arbeiksschule,
in der jcdc Erfahrung aus eigcner schaffcnder Ar-
bcit erwächst! —

Ein Eebict von auherordcnklichem Werk für die
Enkfalkung der schöpserischen Kräfkc der Kinder im
Rahmen dcr Arbciksschule wird dic roerktäiige Ar-

* Wir drucken diesen Aufsatz mit freundl. Erlaubnis de§ ^errn
Verfasscrs ab. aus dern Werk: ,Das Buch der Erzichung" von
Or. Max Epftcin (G. Draunsche Hofbuchdruckerci u. Vcrlag in
Karlsruhe).

beit sein und mik ihr der bildendc Kunskuntcrrichr.
Es geht aus der Nakur der Kindhcii hervor, daß
cinem rcinen, unverbildcten Kindc, Arbeitcn von
großcr Krafk gelingen und es ist daher nichk so sehr
crstaunlich, wenn Kindcrarbeiten Kunstwerken ver-
wandt erscheinen da das schöpferische Prinzip das
grundlegende auch in der Kunst ist. In der Kindheit
steckt die Kunst in ihrem Kern tn jedem Menschen-
kinde! Wie hat sich nun unser Zeikalter und seine
Schule diesem lebendigen Kern der Kunst gcgcnüber
verhalken? Wir stehen vor der kraurigen Tatsachc,
daß eine cinscikige Bevorzugung dcr Berstandes-
bildung diesen lebendigcn Kern der Kunst fast ganz
vcrkümmern und verschüttcn ließ. Die ganzc Sünde
unserer Zeit wird uns vffcnbar, wenn wir sehen,
daß der Durchschnikt der Bevölkerung Kunskdingen
vollskändig frcmd gegenüberstcht. Es hak Zeiten ge-
geben, ihre hinterlassencn Werke sprcchen für sie, in
welchen edle Werkkunst zum täglichen Glück dcr
Menschen gehörte. Es waren Lie Zeiten, da ein skar-
kes, gemeinsames Gefühl, z. B. eine Rcligion, die
Menschen einte. In einer Zeik wic unsere, in wel-
cher nur dcr Berstand zur Blüte und Herrschast, zur
höchsten Kraftenkfaltung gezüchtet wurdc, mutzte das
Gefühl und scin gonzes lebendiges Reich der Kunst
verkümmern. Abcr dic mißhandelke Nakur rächt sich
in einer verkrüppclten Menschhcit, denn sie gab uns
beides: Berskand u n d Scclc. stst

Die Organe, die unter der einseikigen Bevörzugung
der Verstandespflcge vernachlässigt wurden, stnd die
Seele und die Sinnc und das ihnen eigenö Gebiet:
das Kunskgcfühl. Das Kunstgefühl kann selbst-
verskändlich nicht vom Vcrstande gcleitet werden,
sondern ist eine reich cntwickelbare Funktion dcr
Seele und der Sinne.

Daß das Kunstgcfühl nie ausgeschalket werden
kann, daß es auch heutigcnkags zum täglichcn Leben
 
Annotationen