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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 4.1924

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Heft 1 (Januar 1924)
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Thiele, Wilhelm: Was ist Kunstgewerbe?
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Schlofz, Ludwig: Wille und künstlerische Begabung
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https://doi.org/10.11588/diglit.22225#0018

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Go!d- ünd Ciiberschmied lerni, Cchmuck zu
enlwersen. Dicsc Töligkcilcn sind das nalürliche
Lrgcbnis eincr gründlichcn Ausbildung i» den olken
angesehencn Berusen dcr Dclwralionsmalerei und dcr
Gold- und Silberschmiederei: dcr Nur-Liunslgewcrbler
isl hier Fremdling.

Nun kommt das schwierigslc Kapiicl, die Mode-
und Kostümzeichnerci. Währcnd die bis-
herigcn Artcn des Kunslgewcrbes bei näherer Unler-
suchung Einzclgebicte fcs! umrisscncr handwcrklichcr
oder industriellcr Bcrusc warcn, schcint mir die soziale
Entwicklung deS BcruseL der Modezcichncrci noch in
den Ansängcn begrissen zu scin, und zwar in An-
fängen, die nicht nakllrlich sind. Dcr gcsunde Mcn-
schenverstand sagt, dah nur dcr eincm Echneidcr an-
gcbe» kann, wie er ein Koslüm ausführcn solle, der
selber genau wciß, wie ein Kostürn angcferligk wird.
Alle Produkke dcr Konfekkion sind dreidimensional,
also der Vildhauerarbcit verwandk. Ebenso wie es
köricht isk, den Entwurf eincr Plastik zweidimensional
auf dem Papier vorzuschreibcn, ebenso primikiv er-
scheink mir das Mode bild gcgcnllber dcm Modell-
ir l e i d e, diesem raffinievten Eebilde ciner ganz fein-
fühligen Hand, die am Körper, also im Raume, die
Kleider bildek, und dabci nicht nur die Konturen und
die Farben der Stoffe angibt — das könnie wohl auch
auf der Papierskizze erfolgen —, sondcrn die viel
wichtigcren Reize der Stofse sclbst künsllerisch aus-
werket, also Strukkur, Gewichk, Faltenwurf, Glanz
usw.; Klcider sind nicht auf dem Papier mit Blei-
slisk und Pinsel, sondern in den Makerialicn
mik Schere und Nadel zu entwcrfen. Also wer für
Kostümentwcrfen begabt ist, gehc erst zu einer guken
Firma in die Schnciderlehre. Taksächlich sind die
Honorare für guke Schneiderinnen viel höher als für
Modezeichner. Der Modezeichner allerdings 'oder
d i e Modczcichnerin, dic b e i d e s gelernt haben, erst
die gründlich handwcrkliche Ausbilöung in der Klelder-
anferkigung, und hinterher eine künsklerische Aus-
bildung mik zeichnerischem und farbigcm Darskellen,
wird den Beruf am freiesten und sicherstcn beherrschen.

Was isk nun das ErgebniS dicser Anlcrsuchung?
Doch wohl das, dah das Kunskgewerbe nicht ein

Berus, sondern ei» Konglomcrat von Bruchslücken
auS allcn möglichcn handwerklichen oder induskriellen
Sonderbcrusen ist. Kunstgewerbe ist ein Sammel-
begrisf, ekwa wie das Worl Wissenschafk) es gibk
einigc geborene Führer, die alle diese Sonderberufe
so weik behcrrschen, datz sie für alle Berufe Entwürfe
schaffen können. (Diese nennen sich abcr niemals
Kunstgewerbler.) Oder es ist der Tummelplah für die
halben Existenzen, die von allem etwas, aber nichks
OrdcntlicheS gclernk habcn.

Nun die Lehre daraus: Man lerne zuerst dle
Prax is eines kunstgcwerblichen Beruscs in Hand-
werk oder hndustrie. Erst wenn man hier fcslen Boden
unler den Fllßen hat, wenn man das Leben und scine
Notwendrgkcilen kcnnengelernk hat, besuche man
cine gule Kunstgewcrbcschule, um hier alles das er-
gänzend zu lernen, was die Praxis nichk lehren
konnte. Nur ganz ausnahmsweise ist ein anderer Weg
gereäztfcrkigk.

Wie lange dauert dann aber im ganzen solche Aus-
bildung? Die Antwort laulet: Soll sie gründlich sein,
dann mindcstens so lange, wie jeder andere höhere
Beruf,.fünf bis sechs Iahre und noch länger. Aber ich
darf beruhigend hinzufügen, mujz die Auskildung vor-
her abgebrochen werden, dann ist aus jedem Zwischen-
zustand heraus eine enksprechcnd bescheidenere, aber
doch bei sonsliger Tüchkigkeik gesicherte Lebensstellung
zu erwerben, weil das handwerkliche immer guk be-
zahlke Können als Grundlage vorhanden ist. So wird
am sichcrsken dcr oft besprochenen Nok des Künstler-
prolekariats vorgebeugk. Sogar während des Skudiums
auf der Künstgewerbeschule ist es jederzeit möglich, ofk
sogar erwünscht, das Lernen im Beruf durch produk-
tive Arbeik, also durch Geldverdicnen, zu unierbrechen.

Bisher habe ich gcwarnt vor dem Beruf des Kunst-
gewerblcrs. Ich möchte meine Ausführungen schließen,
indem ich ihn, wenn richtig angefangen, preise als
einen der schönsken Berufe. Dem jungen Künskler, der
unker sich deN sicheren Boden des handwerklichen
Könnens hat, stehen viele Wege der Zukunfk osfen.
Nirgends aber fragk jemand nach Vorbildung, Be-
rechkigungen, Examina: immer enkscheidek allcin sein
Können. (Aus der „Vostischen Ztg.")

Wille und künstlerische Begabung

Von Schuldirekkor Ludwig Schlosz. Rimaszombak
(Slovakien).

Seik Mitte des vorigen Zahrhunderts bcreits regt
sich eine erfreuliche und ersprießliche Reformtätig-
keik auf dem Gebieke des Zeichcn- und Kunstunter-
richkes. Abcr krohdem man allenlhalben beflissen
ist, die breiken Volksmassen zu dcn Ouellen edelster
Bildung und KLnsklcrischer Erhebung heranzuziehen,
hörcn wir sehr oft die berechtigte Klage, daß die bil-
dende Kunst nicht volkskümlich wird und daß auch
dic Künstler wenig tun, sie dem Volke näher zu
bringen. Es ist leidcr eine Tatsache, daß das Volk
nur spärlichcn Ankeil hak an Dichtung und Bühnen-
kunst, an Musik großcn Skils, sowie an den bilden-
den Künsken.

Der Volkserzicher, dcr das Elück haitc, von Kunst
und von wissenschastlichcr Erkcnntnis crhoben zu

werden, empfindet gewiß die Klufk, die sich zwischen
vielen Schätzcn der Gcistcskultur und der großen
Volksmasse auskut, besondcrs schmcrzlich.

Und da wirfk sich uns die Frage unwillkürlich auf:
Wie kann die Kunst am ehcstcn noch Gemeingut des
Volkes werdcn? Die natürliche Ankwort lau-
tek: aus dem Wcge der allgemein bilden-

den Schule: Klein- und Hochschule. Dort
soll der Sinn und die rechte Liebe der
Iugend für die Kunst crweckk und erzogen werdcn.
Eclbstverfländlich nichk für cine phrasenhafte, in-
kernakionalc Luxuskunst, sondcrn für die unserem
Wesen angepaßte Heimakkunsk, in der der nationale
Charaktcr klar und unversälscht zum Ausdruck ge-
langk.
 
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