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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 4.1924

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Heft 4 (Juli 1924)
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Dülberg, Franz: Schöpferisches Zeichnen in der Schule: zur Ausstellung im hessischen Landesmuseum
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Wendung zur Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.22225#0096

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Der Zcichenunlerrichk is! ein kleiner Teil dcs
großen Gcbieles „Crzichung", nur in diesem Zu-
sammenhangc zu bcwerien und nur aus der Äennknis
pädagogischer Grundgesctze zu verslchen. Erfüllk er
seine Sendung. so wird er seinc Sonderaufgabc er-
füllen und olle übrigen Erziehungsgcbieke besruch-
ten, verkennt er sie, so mutz er nlcht nur elnen wichti-
en Teil menschlicher Enkwicklungsmöglichkeiten
emmen, sondern diese Hemmung auch auf das ganze
Geblek der Menschenbildung überkragen.

ES muh dcm hessischcn Landesmuseum gedankk
werden, datz es mit der AuSstellung „Schöpferisches
Zeichnen in der Schule" nun auch für Eassel die
Erörterung übcr dic Probleme des Zeichenunterrichkes
eröffnek, und dah eS seine schönen Räume mit mühe-
voll zusammengctragenen und vorsichiig auSgewähl-
tem Malcrial gefüllt hat, auS dcm in wesenklichen
Beijpielen der heutige Stand der Reformbestrebun-
gen auf dem Eebieke deS ZeichenunkerrichkcS sich
zeigk. Ist in den biSherigen AuSführungen ein all-
gemeiner Standpunkk zu dieser Ausstellung auch schon

Wendung

Zn der Tak macht sich bereits ein Zug nach dieser
Richtung hin bemerkbar; die Besseren unter den Ge.
-ildeten DeutschlandS blicken nach neuen Zielen auf
geistigem Gebiete auS. Bismark hat allerdings ge-
äußert „die Bolksmeinung ist schwer zu erkennen";
und wirklich ist diese ofk ekwas ganz anderes als die
sogenannke öffcntliche Meinung; aber selbst eine ver-
vorgene Strömung verrät sich ducch ein dunkles
Rauschen. So auch hier. Das Interesse an der
Wissenschast und insbesondere an der früher so popu-
lären Naturwissenschast vermindert sich neuerdings
tn weiten Kreisen der deutschen Welk; es vollziehk sich
«in merklicher Umschwung in der bekreffenden allge-
meinen Stimmung; die Zeiten, in welchen ein ange-
sehenes Mikglied der Naturforscherversammlung zu
Kasfeh diese allen Ernstes stir das „Geoirn Deutsch-
lands" erklären konnte, sind vorüber. Man glaubt
nichk mehr so recht an diese Art von Evangelium.
Man ist einigermaßen Lbersättigt von Jnduktion;
man dursket nach Synthese. Wir stehen jetzk an der
Wendung einer neuen Epoche. Die Herrschafk zwar
nlchk der Wissenschaft überhaupt, aber doch der ge-
genwärkigen und sich zeitweilig allmächtig dünkenden
Wiffenschaft neigt sich zu Ende. Die jetzige vorwie-
gende gelehrke Bildung dep Deukschen bedeutet nur
eine Durchgangsstufe innerhalb ihrer geistigen Ge-
samtenkwickelung. Sie sind ein Kunstoolk und sollen
sich daher innerlich wie äujzerlich als ein solches be-
wahren; „zu allen Künsten, Sachen, Handkierungen
so ein listig geschwind Bolk, datz sie Niemanden nach-
stehen wollen", nennk sie bereits der alte Sebastian
Frank in seiner Welkchronik. Schon in Eoeihe, ja
wenn man will, schon in dem musikliebenden Luther
findet sich das unbestimmte Borgefühl einer solchen
Entwickelung; ersterer hakte bekanntlich bis zu seinem
40. Leibcnsjahr die ernstliche Absicht, sich der bildenden
Kunst zu widmen; und die Haupttak des letzteren, die
Bibelübersetzung, ist wesenklich eine künstlerische
Tat. Besonders die Persönlichkeik Goethes isi in die-
sem Fall vorbildlich für das heukige deutsche Bolk.
Die gcistige Signakur des letzkcren ist zwar zurzeik

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gewonnen, so daß der Leser dic Nutzanwendung auf
die vorhandencn Beispiele unschwer selbst ziehen
könntc, so scheint eS doch unerläßlich, unker der ver-
wirrenden Flllle deS auSgestcllien Makerials ein
wenig zu sichken, und den erzicherischen Zweck der
Aussiellung mit Borbedachk nach Kräfien zu fördcrn.
Denn nichi nur die aus der räumlichen Disposition
des Museums enkstandene Anordnung der Aus-
stellung, auch die ausgestellken Arbeiten selbst könn-
ten irreführen.

Der Name der AuSstellung, um deren Zustande-
kommen sich Dr. Luthmcr vom Landesmuseum und
Professor Michel von der Kunstakademie besondere
Berdienste erworbcn haben, bekont bewußk das
schöpferische Moment, und in der Tak dominiert
auch das „schöpferische Zeichnen", während das
„Zeichnen als BerständigungSmikkel" zur nokwendi-
gen Ergänzung dienk, und die Rückwirkung der
„Einsührung in die bildende Kunst" nur aus den
Arbeiien selbst abzulesen ist.

zur Kunst

noch eine wiffenschaftliche; doch ist sie es nicht für im-
mer; es scheint vielmehr, datz ihm jeht zunächst ein
Kunstzeikalker bevorstcht. Kleine und trohdem deuk-
liche Anzeichen bestätigen das. Wie man an -er
Halkung eines Grashalms schon die herrschende Wind-
richtung erkennk, so zeigi sich die geistige Mitterungs-
änderung, welche im heukigen Deukschiand statkfindek,
unker anderem auch darin, daß der Typus des „Pro-
fessors" von der deutschen Allkagsbühne fowie aus
dem deukschen AllkagSroman verschwindet, um dem-
jenigen des „Künstlers" Platz zu machen. Auch die
Trivialikäk hat ihre Gcsehe; und sie gehen, harmonisch
genug, denen der Genialitäk parallel. stn diesem Fall
verkünden sie beide nur Eukes; sie versprechen eine
Erlösung von dem papierenen Zeikalker; sie verkünden
eine Rückkehr zur Farbe und Lebensfreudigkeit, zur
Einheit und Feinheik, zur Znnigkeit und stnner-
lichkeit.

Wenn das deuksche Volk fich wreder im rechken
Sinn zum Bilde und zum Bilden kchrk, so wird es
eine Bildvng geben; so kann es genesen, „Darum
bilde der Mensch sich in allem schön; jede Handlung
sei ihm eine Kunstaufgabe". hat Schinkel gesagt.
Gerade die so hoch gestiegene Berwirrung und Der-
irrung in den durchgängig gangbaren Bildungsbe-
griffen der Deutschen spricht dafür, daß in ihnen bald
eine radikale Aenderung eintreten wird. „2st das
Lhaos da, ist die Schöpfung nah", singt ein neuerer
Dichter. Der neubildende Geist kann in diesem Fall
nur derjenige sein, welcher in den deutschen Künst-
lern, das Wort im weitesteen und besten Sinne ge-
nommen, lebt; sie sind die Berireker einer Herzens-
bildung; während der Gelehrte als solcher grund-
sätzlich und sogar häufig ausschließlich einer Berstan-
dcsbildung huldigt.

Gegenüber dem Niedergang der heuke herrschenden
wissenschafklichen Bildung einerseits und dem Aufgang
einer kommenden künstlerischen Bildung andererseits
liegt es nun nahe, nach dem Miktel zu fragen, um
bcide Borgänge möglichst zu fördern, zu regeln, klar
abzuwickeln. Das deutsche Volk ist in seiner letzken
 
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