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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 4.1924

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Heft 4 (Juli 1924)
DOI Artikel:
Kolb, Gustav: Der Unterricht in der Bildsprache, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.22225#0088

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Deutsche Bkätter für Zeichen-Kunst- und Werkunterricht

Zeitschrift des Reichsverbandes akademlscher Zekchenkehree
des Reichsverb andes akademifcher Z eich enlehrerinnen

Derantwortlich für die Schriftlcitung: Profeflor Gustav Kolb, Göppingen
Druck und Derlag: Lugen Hardt G. m. b. H. Stuttgart, Langestraße 18

rt. Iahrgang

Iuli 192tz

Heft tz

Der Nnterricht in der Bildsprache, G. Kolb — Schöpferifches Zeichnen in der Schule, Dülberg, Caffel —
Wendung zur Kunst — Etn Pfadfinder — Von der Form im Kunstwerk, Schäffer, Uelzen — Buch»

besprechungen

Der Anterricht in der Bildspracke

von G. K o l b. ^

Pestalozzl, den wir den Vaker des Echulzeichen-
unterrichks nennen können, üußerte sich einmal Lber
seine Ankerrichksversuche im Zeichnen: „Solche
itebungen gäben freilich unseren Echülern ein ganz
anderes Aussehen. Aber, bis das roirklich geschieht,
nämlich, datz Zeichnen seinem Bildungswert enk-
sprechend in der Schule gcpflegk wird, kann noch
mancher mit dem Wunsche, datz es geschehen möge,
in d!e Grube sinken". Das war ein prophetisches
Wort. Mehr als 100 Iahre sind seitdem vergangen,
und noch ist die Lehrerschaft in ihrer Gesamtheit von
dem Werk des Zeichnens noch nicht völlig überzeugt.

Pestalozzi, der Kinderfreund und Kinderkrenner
wußke, dah der Drang zum bildhaften Gestalten dem
Kinde angeboren ist, daß er nakurtciebhaft in ihm
wohnk. Er sagk in seinem ABC der Änschauung:
, Die Neigung zum Zeichnen enkwickelt sich bei sedcm
Kinde namrlich und frei, hingegen die Mühseligkei-
ken, durch welche es zum Buchstabieren und Lesen
gebrachk werden muß, mit großer Kunst und harier
Gewalk eingelenkt werden müssen". And an anderer
Stelle: „Die Neigung zum Zeichnen ist jedem Kinde
elgen, und es ist unglaublich, was für seinc Bildung
gewonnen werdcn könnte, wcnn diese nur in der
Zeik, in der die Kinder sonst nichks tun, benühk und

* Dicscr Aufsag wurde vor 4 Iahren nicdcrgeschricbc» und
zu eincm Bortrag verwcrict, den ich im srrübsahr 1822 in Karls»
ruhc, anläkllch der Taauna dcs Dcrcinsvadtschcr riclchenlckrcr

Aelt. Pmmcr wiedcr treten Wünsche an mich hcran uin Dcros-

scntlschung dicses Dortragcs. dcncn ich nunmehr Folgc gebe und
zwar nicht zuletzt auch im Hinbltck aus dte Kritik, die bcr Zci-
chcnunicrricht anlätzlich der Agsstclluna i.Schövlcrischcs Fcichnen»
in Kasscl durch Prof. Dülberg gefunden hat. Dcr Kritiker mögc
daraus erschcn, daß dic dentsche Zeichenlehrcrschast scincn For-
derungen nicht fcrne steht. Zch sage ausdrückltch: «die dcutschc
Icichcnlehrcrschast'; dcnn die hier vorgctragcncn Scdankcn und
Anschauungcu faffcn gröhtcnteils nur das zusammcn, was die
Ictchenlehrcr in sahrzchntclanger Arbcit gcdacht und crnrbcltet
haben. §> K.

geleitet würde." Pestalozzi kam Nlcht auf dem heute
o hochgeschähken und nach meiner Auffaslung über-
chätzten Weg der experimentellen Psychologie zu
>ieser Erkenntnis, sondern durch geniale flntuikion,
durch innere Offenbarung, würde Goethe sagen. Er
berichlet darüber: „Es war eigenklich das Pulsgreifen
der Kunst, das ich suchte — ein ungeheurer Griff —
ein Sehender hätte ihn nichk gewagt. Anfänglich ein .
Ergebnis der Not, wuchs.das Zeichnen bei näherem
Zusehen durch Denken Tag für Tag zu einem durch
nichts zu ersehenden Ausdrucksmitkel."

Pestalozzi hat also schon erkannt, datz Zeichnen
eine Sprache ist, die neben der Mortsprache selbst-
ständigen Wert hat und unentbehrlich ist.

Die Forschung hat die intuitiven Erkenntnisse
Pestalozzi's bestätigk. Es gilt heute als unbestritten,
datz der Trieb zum bildhafken Gestalten aller i
Menschheit schon auf der Kindheiksstufe ihrer Ent- !
wicklung eigen isk.. —Man denke nur an die Höh- l
lenzeichnungen der älkeren Steinzeit und an die j
primikiven Kunstleiskungen der heukigen Nakurvöl- !
ker. — And es war keine geringe Stühc des psycho- s
genekischen Grundgesetzes, nach dem das einzelne j
Kind die grotzen Menschheitsschritte der geistigen s
Entwicklung aus sich heraus wiederholen muß, datz j
man auch beim Kinde aller lebenden Kulturvölker !
diesen Gestalkungstrieb nachweisen konnke.

Bielleicht darf man cs heuke wagen, ohne mitzver-
standen zu werden, die Erkenntnisse Pestalozzis auf
das bildhafte Geslalten überhaupt anzuwenden und
die Folgerungen für den allgemein bildenden Anker-
richt zu ziehen. Wir gcwinnen dann folgenden grund-
legendcn Lcitsah für unsere weiteren Äusführungen:

Das bildhafle Gcskalken sZeichnen, Malen,
Formcn) liegt nakurkriebhast im Kinde. Es ist die
zweite Mukkersprache des Menschen und deshalb in
 
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