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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 4.1924

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Heft 2 (März 1924)
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Müller, F.: Über die Form der alten Hausmarken
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https://doi.org/10.11588/diglit.22225#0029

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Aeber die Form der alten Hauswarken

Von F. M ü

Zcichcn und zeichncn stchcn nickt nur spraMcht
sondcrn auch sachiich in innipstcr Beziehung. Zciäz-
nen bedeuteie ursprünglich nichi nrehr als an cinem
Gegensiand ein sichtbares Zeichen isiMum) anbringcn,
sei es durch Einschneiden, Linrihcn, Auskragen mii
Farbe, Aufschreiben mit Tinie oder durch sonst eine
sichtbarc, dem Maierial des Gcgensiandes eni-
sprechcnde Art. Selien waren solche Zeichen bild-
mästig, meisi besianden sic nur ous dcn cinfachsicn
Strichelemenien, wie sie sich mii dcn gewöhnlichstcn
Werkzcugen schnell und zweckmästig hcrstellen liehen,
Der Sprächgebrauch hai später das Wort zeichnen
auch auf alle kllnstlerisch oraphischcn Aeußcrungc»
bildlichcr oder dekorativer Art bezogen, soweit nichi
dcr Begriff „malen" fllr gceigncter gchalien wurde.
Der ursprüngliche Sinn von zcichnen konrmt uns jeht
kaum noch zum Bewuhisein, wenn wir das Wort in
den mannigsachsten Bcziehungen anwenden, wie z. B.
in dcn Redewendungcn: Hcrr N. „bezeichnete" uns
das Haus, in dcm er wohnt, die Handlungsweisc dcs
Herrn M. ist durch diesc Taisache gcnügend „gekenn-
zeichnci", er hat sich durch seine Tat für immer „ge-
brandmarkt", die Staatsanleihe istz Zur „Zeichnung"
aufgelegt, oder wenn derilägcr sprichk: ich sah deutlich,
wie dcr Bock auf den ersten Schuh „zeichnete". Wenn
in dem Worischah unserer Sprache die mik Zeichen
und zeichnen zusammenhängcnden Wörter so häufig
vorkommen, so ist daraus wohl zv schlietzen, datz das
Zeichen und damit das Zeichnen von Arzeiten her bei
den Menschen allgemein im Gebrauch gewesen sind.

Zu den einfachstcn und zugleich ehrwürdigstcn Zci-
chen gehören die Hausmarken, wie sie uns noch hic
und da an alten Bauwerkcn, an altem Kirchengcrät,
in alten Ilrkunden und insbesondcre auf alten Grab-
steinen erhalten sind. Sie waren von der Mikte des
15. Iahrhunderts bis weit in das 18. Iahrhunderi
hinein in der Volkssitie allgemcin verbrcitet. Jm Kol-
berger Dom finden sie sich auf den Grabsteinen bis zum
Jahre 1793. 5hr Gebrauch ist in alten Stadtbüchern
und Aechtsordnungen von allen Schichken der Bevöl-
kerung bezeugt. Der hohe und niedere Adel, Bürgcr
und Bauern bedienten sich ihrer zur „Bezeichnung"
ihres Grundbesitzes; und ihrer beweglichen Habe;
Städte, Kirchen und Klöster, Innungen und Gewerke
„bezeichneken" durch sie ihr Erb und Eigen. Dic
Handwerker beurkundeken durch sie ihre Erzeugnisse,
die Kaufleuke ihrc Waren, sogar die Gescllen ihre gc-
leistete Arbeit. An verschiedenen bedeutenden Bau-
werken finden wir sie als „Steinmehzeichen" ein-
eschlagcn. 3n den alten Ilniversitäksmakrikeln von
eipzig, Wittenberg und Erfurt sind sie hinter dsn
Namen der Rcktoren und Dekane „verzeichnet". Dic
Bauern benühten sie als Losstäbe beim „Kawcln",
um die Grasnutzung der Gemeindewiesen, die Fischer
zur „Kennzeichnung" ihrer Fanggerüte. Den auf dcr
Gemcindeweide befindliären Rindern wurden sie auf
die Hörner gebrannt. Bei gerichtlichen Verträgen
unterzeichneken die Beteiligten mit ihren Hausmar-
ken, auch wenn sie ihre Namen schrieben, und ver-
wendeten auch wohl die Hausmarken anderer Be-
siher, wenn sie in deren Austrag handelten. So fin-
den wir sie auch auf den Grabsteinen in Gemeinschast
mit den Namen der Vcrstorbenen oder mlt den stnt-
tialen ihres Namens. In die Bankschilde der Kirchen-
bänke, wie hierzulande in einer Dorfkirche, finden wir

l l e r, Kolberg.

sic eingcschnitzt zur „Bezeichnung" dcr angestamm-
tcn odcr gekauficn Kirchcnplätzc. Meine Schüler
brachtcn mir noch in diesem Sommcr die Zeichnung
ciner Reihe von Hausmarken, die sie in Goslar an
dem Hause Gosestraße 6 an cinem Hausbalken ge-
fundcn hatien. — Der Name Hausmarke bezog sich
llbrigcns nicht lediglich auf das Haus als Wohnskätte,
sondcrn im umfassenderen Sinne auf die Familie, das
Geschlcchk, das Gewerk oder die Körperschaft, so daß
das Zcichen ols Verircier der Person galt, mit ihr
rechtlich verbunden war und vercrbk wurde, wie dies
von den Wappen gilt, mik denen die Hausmarken
hinsichilich des Eebrauchs vieles gemein haben.

ES soll hicr nicht meine Aufgabe sein, über die
Hausmarkcn in der Kuliurgeschichte überhaupk zu
schrcibcn, nur auf ihre äußerc Form und deren mut-
maßliche Entsichung möchie ich hier eingehen.

Die Hausmarken habcn im Gegensah zu den Wap-
penbildern ganz und gar nichts Bildmätziges. Ledig-
lich unter dcn Steinmetzzeichen finden wir hin und
wiedcr die Nachbildung eines Handwerksgeräts oder
dic Hinzufügung der primitiven Abbildung eines
Werkzeuges, ctwa eines Hammers oder eines Win-
kels an die eigcnkliche Hausmarke. Sonst sind dicse
incrkwürdigcn Zeichcn immcr rein lineare Gebilde,
die offenbar nichks darstellen, d. h. nichks abbilden
sollen. Das scheint uns auf den ersten Blick verwun-
derlich, wenn wir gewohnt sind, in abstrakten, geo-
mctrischen Zeichen die abgeschliffenen Formen eines
Bildcs zu vermuken. Von unsercn Schriskzeichen
nimmt man bekanntlich an, daß sie aus einer Bildcr-
schrift enkstanden seicn. Wir vcrfolgen unsere Schrist-
zeichen rückwärts bis zur phönizischen oder kretischen
Ilrschrift und vermuken, daß diese sich auf eine, bis
jetzt allerdings nicht aufgefundene Bilderschrifk
gründe, wie wir es in der ägyptischen und zum Teil
noch in der chinesischen Schrist vor Augen haben.
Nun hat man aus spanischcn Höhlen Kiesel zu Tage
gcfördcrt, die mit Zeichen bcmalt flnd, welche den
Buchstaben unserer lateinischen Kapitalschrifi verzwei-
felt ähnlich sehen und die angesichks ihres hohen
Alters von mindestens 19 900 Zahren mit den römi-
schen Schriftzeichen unmöglich in ursächlichem Zusam-
menhang stehen- können. Aber man hat auch darauf
hingewiesen, dah infolge der nicht sehr großen Kom-
biüakionsmöglichkeit skrichliger Zeichen die gleichen
Formen unabhängig voneinander entstehen können, so
datz die Theorie der Entwicklung jeder Schrift aus
einer Bilderschrift zur abstrakten Lautschrift durch
diesc spanischen Funde nicht umgestotzen zu werden
braucht. — Auch die in jedem Kalender abgebildeten
Zeichen des astronomischen Tierkreises (um noch ein
anderes Beispiel anzuführen), sind offensichtlich in
ihrer jetzigen abstrakten Form aus den naturalisti-
schen Bildern enkstanden, die man auf alken Stern-
karten findet. Es schcint sich auch hier zu bcstäkigen,
daß dcr häufige und schnelle Gebrauch der Zeichen
eine Abschleifung des ursprünglich nakuralistischen
Bildes bis zur typischen abstrakken Form zur Folge
hat, wodurch allerdings ihre praklische Vcrwendbar-
kcit ganz erheblich gesteigert wird.

Bei unseren Hausmarken aber scheint dieser Vor-
gang nicht stattgefunden zu haben; vielmehr können
wir mik Bestimmtheit annehmen, daß sie ursprünglich
kcine Bilder waren, ebensowcnig wie die Nunen, mit
 
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