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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 4.1924

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Heft 2 (März 1924)
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Graf, Gottfried: Schwarz-Weiß im Holzschnitt
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https://doi.org/10.11588/diglit.22225#0038

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- 173

Schwarz-Weiß im tzolzschnitt ^

Schlvarz-Weih in der Graphik isi sür viels eine
Selbslversiändilchkcil. Selbslverständlich, daß elwaS
schwarz auf weih slehen muß, um eS zu erkennen.
Diese Selbslversländlichkcit aber wird dem Schasfen-
den sosorl zum Problem, sobald er sich klar wird, daß
es sich in der Graphik nicht nur darum handeln kann,
schwarze Geskalt auf wcißen Grund zu ziehen, son-
dern auch darum, ein kllnsllerischeS Verhältnis der
beiden Gegensähe Schwarz-Wciß zu einander her-
zustellen; ein Berhällnts also, das diese Gegensäße
auseinanderhäll und fie doch verbindet. Nämlich:
die Schafsung der Einyeit des Gegensählichen — die
künsklerische Gestalt.

Solange der Holzschnit! rein lincar blieb, solange
cr es vcrmied, Masse Schwarz gegcn Masse Weiß
zu sehen, blieb ihm dte Kontrapunktierung dieser
Gegensähe ersporl. Ein Dürcrscher Holzschnitt ist die
Wledergabe einer für dcn Holzschnitt berücksichliglen
linearen oder ionigen Zeichnung mit neukralcm
weißen Hinlergrund. Ein eigentliches Derhältnis
von Schwarz zu Weiß beslehk bier nichk. Die Gegen-
Lbcrslellung von Schwarzweißmassen blieb dem Ba-
rok, dem Zeilalter des Kontrapunktes, vorbehalten.
Dcr großc Schwarzweißkünsller Rembrandt war
ciner der ersten, der Massen in Bewegung sehke,
der gewaltig sich aufiürmendes Schwarz gegen strah-
lendes Weiß stellte, schimmerndes Lichk dringen ließ
in abgründige Finskernis. Aber analytisch gesehen,
ist es nicht Licht gegen Finsternis, hell gegen dunkel,
also Schwarzweiß verdinglicht, sondern zunächst
jst es die Flächenanordnung von Schwarzweiß
innerhalb der begrenzten Bildedene. Diese Schwarz-
weißstrakegie ist das große Geheimms seiner Kunst,
von vielen unerkannt, da sie nur die ins Anschau-
liche und Stoffliche hinabgestiegene Takkik sehen. —
Schon Ende des 16. llahrhunderks haben der tonig-
wirkende Kupferstich und alsdann die Radierung den
Holzschnitk verdrängt. Der Künstler verschmähte es
sehr bald, selbst in Holz zu schneiden und Lberlicß
den Holzstock, wie in Iapan den Kulis, so bei uns
den Holzschneidern und Tylographen, unter deren
Hand er wohl ein kechnisch glänzend bearbeitekes
Makerial blieb, aber völlig der bloßen Reproduktion,
dem Klischee anheimstel.

Erst In jüngster Zeit haben die Maler im Holz-
stock und zwar in dem schliä-ken Tannen- oder Birn-
daumlanaholz ein für rhre Ausdruckszwecke geeig-
netes Mittel wieder entdeckt. Der Holzschmkt
wlrd heuke nicht daraufhin beschränkt, ein bloßes
Mittel zur Wiedergabe einer linearen oder tonigen
Zeichnung zu sein, sondern er will durch Einbezie-
hung von Schwarzweiß f l ä ch e n eine ursprüngliche
Schwarzweihwirkung erzielen. Gerade durch Selbst-
bearbeitung des Holzstocks seikens dcs Künsklers ist es
ihm möglich, ganz in den Mikteln zu denken und in
ihnen während des Schneidens, aus den Gegebenhci-
len des Holzes und Messers, formale Reize zu erfin-
den, was dem an dle Zeichnung gebundenen Handwer-
ker nicht möglich ist. Dadurch erzielt der künsklerischc
Holzschnitt unmikkelbare Ausdruckskrafk und ursprüng-
liche Wirkung. Iener unkünstlerischen Forderung einer
bloßen Lehre der Technik an einer Graphikschule
muh gegenübergekreten werden. Einc Holzschnitl-Tech-
nik an sich gibt es nicht. Technik ist für den KünMer

lediglich Millel zur Berwirklichung eines Geistigen,
andcrnsalls isl sie leere Routine oder Manier.

Cs gibl in der Kunst verschiedene Wege der Aeuhc-
rung, je nachdem unmiktelbarer Ausdruckswille des
Erlebnisses oder das Streben nach Gcstaltung des Er-
lebnisses vorherrschen. Dcr mchr willensmäßig ein-
gestellte Künsller wird nach eigenarkigem Ausdruck
streben und mit dem Temperament seiner Pcrsön-
lichkeit die gcsetzmäßige Bindung überrenncn. Dcr
mehr geistig eingestellte Künsller dagegen, dem Kunst
als Erlebnis Erkenntnis bedeuket, wird in den lhm
austauchenden künstlerischen Problemen nach Bcr-
wirklichung überpersönlicher Gesehe ringcn, die ein
Abbild sind der kosmischen Harmonien. Mir findcn
diese Polarilät zwischen subjekkiver, sogenannkcr
romankischer und zwischen gesetzmäßiger, sogenannicr
klassischer Kunsk, also zwischen unmitlelbarem indivi-
duellen Ausdruckswillen und der nach Formgestal-
tung ringenden künstlerischen Erkennknis eines gan-
zen Zeitallers, in allen KLnsten und zu allen Zeilcn.

Hat der neuzeikliche Holzschnitt dem srischen Zu-
grjff unvoreingenommener Künstler gedient und da-
mit als Ausdrucksmittel Geltung gewonnen, so isl
auch er der Zwangsläufigkeit der künsllerischen Enk-
wicklung unterworfen. Diese kritt augenscheinlich in
ihren Höhenkurven aus der Anarchie des einzel-
persönliäzen Ausdruckswillens über in den Willen
zur Ordnung, zur elgengesetzlichen, verselbständigten
Kunstgestalk. Gestalt ist Einheit der Bielheik von
Gegensählichem. stm Aolzschnitt also der optische Zu-
sammenklang von Schwarzweiß. Schwarzweiß als
polare Gegensätze müssen zentriert werden, um nichk
auseinander zu fallen. Wle zwei aufeinander bezo-
gene Krafifelder müssen sie nach dem gemeinsamen
Schwerpunnt des Bildes gravitieren. In ihrer Durch-
dringung liegt der dramakische Konflikt des Bildes.
Schwarzweißkunst, in diesem Sinne aufgefaßk, for-
dert eine Beherrschung des rhythmischen und bild-
logischen Ausgleichs der Gegensätze. Daher ist es
Aufgabe der künstlerischen Formschulung, dah neben
dem Studium der gegenständlichen Form der Sinn
für gesetzmäßige Bildgestaltung geweckt und gepflegt
wird. Darstellung des Gegenstandes an sich, das
Bilden aus der äußeren oder inneren Borstellung
ist noch lange nicht immer auch schon künstlerische
Gestaltung. Diese liegt auf einer höheren Ebenc,
von wo aus sich der tiefere Sinn aller Kunst erschließt:
die Offenbarung und Verwirklichung nicht des
Menschlichen, sondern des Götklichen im Menschcn.

Das Formmitlel der Graphik, insonderheik des
Holzschnitkes, isk Linie, — der sogenannke Skeg —
und Schwarzweiß-M a s s e. Holzschnitt als Hoch-
drucktype geschnitten und gedruckk, ergibt material-
gemäß den klarst ausgesprochenen Gegensah von
Schwarz-Weitz. Keine andere Technik kennt diese
skreng begrenztc, unverbogene Flächenwirkung in
dem kiefen Glanz des Schwarz und dem klaren
Spiegel des Weiß. Daher soll der Holzschnitk der
Schönheit und Einheit seiner in den Mikteln liegen-
den Möglichkeiken nicht aus dem Wege gehen, viel-
mehr sie bekennen. Allein mit diesem Bekenntnis
zur schlichken, abcr echken Makerialwirkung enk-
stehen die Gcslaltungsschwierigkeiten, deren sich die
neueske Graphik nicht immer bewuß! ist. Ilm so mehr
 
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