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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 4.1924

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Heft 1 (Januar 1924)
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Groth, H.: Vom kunstgeschichtlichen Unterricht
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Umschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.22225#0021

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einer Auswohl sllr den Äunstunicrrichi. Die Kunst
dcr Gcgcnwarl wendei sich viel unmitielbarcr und
nachhaliiger durch den Äeichkum ihrcr Bild- und
Formensprache an das Bolh als srtiher, und wer km
ständigen Verkchr mii dcr Iugend sieht, weist, daß
die verschicdcnen Ausdrucksformen der Gcgenwarks-
leistungen auch verschiedcne Wirkungen aus die Iu-
gcndlichen ausübcn, Bon diesen erwarten wir, dajz
sie sich in der Sprechweise der Gegenwark aus-
drticken, Erlcbtes erzählen und zeichnen und beim
Bctrachtcn zeilgcmäßer Kunslerzeugnisse ehrliche
Empsindungen äußern. Von den Lcistungen der
Künstler und Kunstgewcrblcr der Gegenwart findet
sich daher woh! cin gangbarer Weg zum Bergleich
mit den Kunsiäußerungen vergangener Zeiken, und

Rmschau

Europa und Ostasien. (Diese Abhandlung sollte
in Heft 6. 5lahrq. 1923 Lor dem Aufsatz: Der primi-
tivcstder klassi'sche und"der orientalische Mensch pe°
chenstMeb äber aüsMcrsehen dort weg. Alir bit-
ten, ihn iin Zusammcnhang mit letzterem Aufiatz
zu lesen. Die Schristleitg ) 'BerglelMman die Künst
-SMsiens mit der Europas, so werden bald, nach der
tibcrwindung des erstcn fremdartigcn Eindrucks,
grundlegende Unkerschiede klar werden: in der
Malerei, neben dem eigenarkigen leichken Makerial,
das Fehlcn der Rkodcllierung, die ungewohnte Ark der
Niedersicht für die Naumdarskellung, das Ankhro-
pozenkische frische' in der Plaskik. Es wurde viel
über das Fehlen von Licht und Schakken in der
chinesischcn Malerei geschrieben: als Grund dafür
wurde angcgcben, daß dcm Ostasiaken das Walken
des Lichts als ekwas Zufälliges erscheine, das darzu-
stellen ihm nichk in den Sinn käme: nichk der slüchkige
Augenblick, sondern das Bleibende müsse im Bilde
fesigehalten werden. Äber die Anschauung, daß die
Aaumdarskellung der Ostasiaten „fehlerhask" sei, ist
man glücklich hinausgekommen. Die steiie Nieder-
sicht auf chinesischen GemSlden hat den gleichen An-
spruch auf Anerkennung als künstlerisches Ausdrucks-
miktel wie die abendländische Zenkralperspektive. Die
entschcidende Frage wäre wohl die: warum kennk
der oftasiakische Maler dic plastische Wiedergabe des
Objekks und die Zentralperspektive nicht als die einzig
richkigen Darstellungsmikkel an; lätzk sich das Fehlen
dieser bcidcn Elcmente viellcicht auf eine gemeinsame
Ursache zurücksühren?

Dic Antwork könnte mit ein paar Worken gegeben
werden: der Grund liegk in der prinzipiell anderen
Einstellung des Ostasiaten der Welt gegenüber.

Der Abendländer mik seinem scharf ausgeprägken
Einzigkeiksbewutzksein seht, in allen seinen Abarten,
immer sich der Welk gegenüber. Von fich aus
begreist er das Geschehcn der Nakur, alles wird auf
seine Pcrson zurückbczogen. Kritische Wissenschafi
isk ihm Lrkcnntnis schlechthin. Er verskeht erst, wenn
cr begriffen hak. Er gehk von autzen her an die
Dinge hcran und bildek sich, von der Vielheit aus-
gchend, die vereinfachenden, über der Nakur stehenden
Bcgriffc.

Diescm harken Anpocken der umgebenden Welt
cnksprichk als künstlerischcs Ausdrucksmitkel allein

* Datz dcr Mensch im Mittclpunkt stehc. D. Sch.

untcr kunstversländigcr Leitung kann Auge und str-
kcil der Schülcrinnen in künsilcrischen Dingcn so
gcschult werden, datz sie Kunstleistungcn gegenüber
nichk hilslos sind.

Fehler, die beim Ankerrichken aus Mangel an
kunstpädagogischer Einsicht gcmachk worden sind, las-
sen sjch durch die klbcrlragung des Kunstunkerrichks
an dazu besähigke und geschulke Lehrkräfle bcseitigen.
Anserer weiblichen Iugend diese wertvolle Anterwei-
sung ganz zu nchmcn, könncn wir nur als Reakkion
gegen die kunsierzicherischen Bestrebungen der Ge-
genwark ansehen. Ein Schweigen hierzu zu beob-
achten, hietze eine Pslich! versäumen, die zum Reden
zwingk, nichk um zu klagen, sondcrn anzuklagen.

H. Grokh.

der europäische Linearismus, d. k die Vegreifung des
Objekts nach ihrem kastbaren Lharakter. Von An-
fang an drängte der abcndländische Geist auf dieses
Ziel hin: die erste und zugleich schärsste Formulierung
fand er in der Kunst des Griechen. Die plastische
Wicdcrgabe der Dingc gehörl fortan zum Wesen der
abendländischen Malerei und Skulpkur. Die Illusion
der Wirklichkeit sollke vorgezauberk werden. Die
plaskische Wiedergabe des Raumes durch die Zenkral-
perspekkive findet sich in ihren Grundelementen schon
auf pompeianischen Wandgemälden. * Sie mutzke
bei der besonderen Veranlagung des Europäers im
Moment, wo man zu einer geschlossenen Bildauf-
fassung gelangke, enkstehen. Der abendländische Geist
war zufrieden, als er sein System der Aaumdarstel-
lung mathemakisch beweisen und begrifslich fassen
konnke.

Die chinesische Weisheit machk den scharfen Schnitt
zwischen Mensch und All nichk. Sie sah den Menschen
nie als die Krone der Schöpfung an, er war immer
nur ein Teil der Natur. Zndividualität wurde nie
betonk.

Dieser universiskische Grundzug isk selbst in dem
positiven Syskem des K'ung Tse nichk zu übersehen:
gleich der Philosophie des Lao Tse isk ihm das Tao
(Bahn oder Weg, worin sich das All bewegk, also
nakürliche Welkordnung) der Angelpunkt allen SeinS.
Dieses Tao zu erkennen, um sich ihm anzufügen, ist
das Ziel der menschlichen Weisheit. Das Tao des
Menschen, der vom All gezeugk ist, mik dem Tao des -
Aniversums in Einklang zu bringen: das ist das
Skreben des wahrhaft Gebildeken. Die Wege K'ung
Tses und Lao Tses sind verschieden, das Ziel ist das-
seibe. Höchstes Glück ist dem ankhropozenkrischen
Abendland die Persönlichkeik, China findet es in der
vollkommenen Harmonie mik dem Weltall.

Dieser Geist des fernen Ostens isk überall in seiner
bildenden Kunst zu fühlen. Da der Chinese die scharfe
Trennung von 3ch und Welk nicht dachte, bedcukeke'
ihm die verstandesmähige Beherrschung der Nakur
nichks; es lag ihni mit seinem Allbewußtsein das
robuste und kritische Vorgchen unserer Wissenschaskler
wie auch unserer KLnstler ferne. So erklärt sich bei
ihm das Fehlen der Plastizikäk und der Zenkcalper-
spekikve, die auf die besondere geistige Bewußkseins-
lage des Europäers zurückgehk.

* Dorbercüet durch Ptolcmäus uud Euklid. D. Sch.

Nn§ K. Bachhofers „Lhincsischer Kunst"

(Fcrd. hirts Verlag, Brcslau.)
 
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