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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 4.1924

DOI Heft:
Heft 4 (Juli 1924)
DOI Artikel:
Schäffer, Paul: Von der Form im Kunstwerk
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https://doi.org/10.11588/diglit.22225#0098

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233

Von der Forin im Kunstwerk

Von P. Schgffer (Uclzen).

Kunsi ist Erregung des üsihctischen Gcfühls. Der
Begrifl des ästhetischen Gesühls bedarf einer Klä-
rung, da er in unserer Zcii undeulltch geworden ist
und außerdem zu eng gefahi wird Diese Trübung
ist im lehien Sinne eine verderbliche Folge der be-
dingungsivsen liebernahme der aniiken Kunsianschau-
ung, von der man den Lehrsah ableiieke, Kunst sei
Darstcilung des stnnsäliig Schönen und nun den Sah
ausstcllie: „Kunfi isi Darsiellung eines schönen Ge-
dankcns in schöner Form". Dicser Satz drücki ein
Derkennen des Wesens der Kunst aus. Er begnügt
sich mii einer maieriellen Wirkung des Kunstwerkes,
indcm er „schöne- Form (d. h. schöne Naturform)
verlangt, und autzerdcm beansprucht er inlellek-
tuelle Geisiigkeik, wenn er von Darstellung eines
chönen Gedankens (also nichk einer Idee)
prichk; beides Elementc, die der Kunst wesensfremd
ind.

Suchen wir einen anderen Weg.

Anseren allgemeinen Schönheitsbegriff wenden wir
auch auf eine Blume an, auf eine Landschast, auf
einen Menschen. Diese Gegenstände wirken auf unser
äschetisches Gefühl völlig anders als Kunstwerke.
Dori die Wirkung eines maieriellen Gegenstandes,
hier die einer immakerlellen Gestalkung. Dort ver-
bunden mit einem Begehren, einem Berringern-
wollen des Abskandes, — hier die Distanz, das Ab-
fkrakie, eine Allgemeinbrdeutung, die sich über das
Einmalige erhebt. Das ist das Enischeidende. Ein
Kunstwerk verursachk unbegreisliche Erregung, kommk
aus Uriiesen und erschükicrt Ilrgründe. Dieses An-
begreisliche geht nicht vom dargestellken Objekk aus,
— das Orignal müßte sonst ungleich stärker wirken —
es geht auch nicht eigenklich von der künstlerisch
umgesialteken Form des Objekks allein aus, sondern
von der Gesamkform des Kunstwerkes überhaupt.
Auf sensible Menschen wirkk diese unmittelbar; ste
erfühlen das Lntscheidende sofork ohne erst durch
tnkellektuelle Täkigkeit die Beziehungen des Darge-
stellten zur Naturform sestgepellt zu haben. Denken
wir an alichristtiche Mosaiken oder ägypkische Sta-
tuen. Dle unerklärliche Mirkung gehk von der
Form aus, wohlgemerkt nicht von der Aakurform.
Der Künstler schafft die an stch makerielle und sterile
Nakursorm in der Stunde der Inspiration zur leben-
digen Kunstform um; der Schöpfer gibk lhm zu Oual
und Seligkcit cinen Hauch seines Odems; er befähigt
ihn, den Hiniergrund der Dinge gefühlsmähig zu er-
kennen. Und so ftndet die Kundgebung dieser me-
taphysischen Erkenninis in der „bedeutungsvollen
Form^ stakk, um die Wertprägung eines führenden
englischen Kunstphilosophen zu benutzen (Bell).

Nun ergeben stch interestante Folgerungen. Es
iritt also zwischen Objekk und Kunsiwerk eine Span-
nung ein. Ist diese nicht vorhandcn, haben wir die
belangloseste Kunstart, den Naturalismus, vor uns.
Der Naturalismus macht es stch beguem und über-
nimmt fertige Naturformen, die nach akademischen
Regeln zu einer gewissen Kunftsorm gebrachk werden
können. Die Wirkung auf das äsihekische Gefühl tsk
fast makerleller Art. Es ist ost Sinnenerlebnis, von
dem nur schwache Reflexe in der Eeele entstehen.

Beim krassen Naturalismus ist die bedeutungsvolle
Form übcrhaupt nicht vorhanden; aus Schöpfung
wird Nachahmung.

Diese Kunstrichtung gehört dcn dunkelsten Zeiken
der Kunstgeschichie an, der Mitte des 19. llahrhun-
derts. Datz einzclne Degnadeie, wie Courbet, trotz
Naiurnähe Spannung, die Kunst bedeutet, schaffen
konnien, kann den Naturalismus in seiner Gesamt-
heit nichi rellen. — Sein Gegenpol ist die absolute
Form (Kandinsky), was abcr an sich noch kein Werk-
urkeil bedeuiet,

Was bedeuick der dargestellie Gegensiand sür das
Kunstwerk? Wcnn Schöpfung der bedeuksamen Form
Endziel alles Kunskschassens ist, ist die Frage eigent-
lich bereits enkschieden. Dis bedeuksame Form ist
Nicdcrschlag ciner meiaphysischcn Schau, die in den
meisten Fällcn zwar (besonders in der bildenden

Abbild. 7

Papier-Schablonenschnitt nnd -Druck. Symnasium Sreifswald
(Stndienrat Kreutzfeldt)

Kunst) durch irdische Dinge ausgelöst wird, sonst
aber mit dem Objekt nichts mehr zu tun hak. Es
handelt sich um die Welk, die hinter den Dingen ist.
Der Dersiändnislose wird zwar immer sein UrkeU
bilden nach Bergleich von Knnstform und Naturform;
er wird indische Buddhafiguren und gokische Minia-
kuren steks unkünstlerisch finden, weil unnaturali-
sch. So kommt es zu den laienhafien 3a- und
einurkeilen. And daS ist gerade das Berhängnis,
daß bildende Kunst immer auch opkisch erfaßt werden
kann und dadurch zu Trugurkeilen verleitet. Wer
vom Objekt das Künsilerische nicht abstrahieren
kann, wer ein Kunstwerk nur materieu auf sein
ästhetisches Gefühl wirken läßt, der hat, den Geist
der Kunst nicht erfaßk. Eine Produkkion, die nur
unkerhalten will — Genrebilder — kann kein Kunst-
werk sein. Die Kunst steht auch nichk im Dlenste
der Moral oder Religion, — sie ist Ekhos und ist
Religion. Sie hat keinerlei Tendenzen mit prak-
tischem Einschlag; sie ist bloße Kundgebung.

Ileberhaupt ist feskzustellen, schon rein empirisch,
daß ein Kunstwerk dann am meisten erschüktert.
 
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