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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 4.1924

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Heft 4 (Juli 1924)
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Schäffer, Paul: Von der Form im Kunstwerk
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https://doi.org/10.11588/diglit.22225#0099

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234 -——^'-—

wc-nn an> Zuflandekoinmcn dcr Wirkung kcinerlci
materiellc Elcmcnte teilhabcn. lla, auch das Dar-
stelicn olltäglichcr Ecfühle geschieht auf Kosten der
künstlerifchen Oualität, Man kann z. B. bei Beet-
hoven nicht einfach von in Musik Lbcrsetzker Freude,
von Angst und Schrecken reden. Das hicße ELlt-
liches zum Menschlichen stempetn. Das Genie hak
hieraus erst bedeutende Form geschasfen, cleren
Heimak weit Lber ailcm Irdischen liegk.

Es leuchtei also ein, daß der Gegenskand, daS Mo-
tiv, nur Mikkel zur Auslösung der Inspirakion sein
kann. Sei der Gegenstand realistisch oder idealistisch,
daS ist gleich.

Der K u n st b e g r i f f geht parallel mik der jewei-
ligen Zeitkunst. Inkeressant sind die Kunstdefinikionen
einer Zeit, die der unsrigcn, der Zeik der künstleri-
schen Revolukion vorangeht. Beginnen wir Mik
Winkelmann, dem Zeikgenossen Lessings und
Begründer der modernen Kunstphilosophie. Er lehrkr,
dast „Hervorbringung idcalischer und über der Wirk-
lichkeik erhabener Aakur samt dem AuSdrucke gei-
stiger Begriffe die höchste Absicht der Kunst sei. Es
spricht sich hier eine Besangcnheit aus, hervorge-
rufen durch maßlose Ueberschähung der klassischen
Kunst. Winckelmann denkt an eine ins Ideale ge-
sisejgerte Naturform, mag er auch vielleichk das Enk-
scheidende geahnk haben. Seine erkräumte Kunst be-
bält Erdenschwere, da sie von der Sinnenfälligkeik der
Formungen ausgehk. Außerdem appelliert er da-
durch, daß er die Anlike als Borbild hinstellt, nicht
an die neuschöpferischen Kräfke im KLnstlerischen
Menschcn, sondern empfiehlk Aachahmung eines
bereiks geformken, einem anders eingestellken Zeik-
geiste enkströmten Kunstwillens. Lebendlge Kunst
aber ist ein ewiges Neugebären.

Abblld. 8

Linolschnltt. Realgymnasium Goppingen (Studienrat Smelich)

Achnlich abhängig zcigt sich A. R. Meng s, der
bekannte Rkaler, wcnn er verlangk, aus Rassael den
Geschmack der Bedeukung, aus Lorreggio den Ge-
schmack der Gefälligkcit oder Harmonie, aus TiZian
den Geschmack dcr Wahrhei! oder Farbe zu über-
nehmen.

Es ist also um 180Ü die absolute Abhängigkeit dcr
Kunst und waS aus ihr geworden ist, das zeigen uns
die Gemälde von MengS selber.

Auch Schelling erscheint befangen, indem er
das Geseh der Mäßigung aufstellt im Sinne Lor-
regios, alle Leidenschaft gcbändigk sehen will durch
die Form. Er verlangt also die Bindung an die
Form, wie sie erskmalig in der Ankike und dann in
der Aenaissance aufkrikk. Die Folge ist ein Nivel-
lieren, ein Ausgleich zwischen Psychischem und Opti-
schem. Auch er erlöst die Kunst nicht. Menn Schil-
ling den süßlichen Guido Reni als Meister der Seele
seiert, machk er uns skutzig, — völlig aber wenden
wir uns von ihm ab, wenn «r die Werke der Ma-
lerei klassiftziert nach Stilleben, Porkrät, Zagdstück
usw., — also rein Sußerlich nach dem Gegenstand.

Der bekannte Engländer Ruskin macht das
KunstverstSndnis sogar von einem Wissen abhängig,
indem er Kennknis der chemischen Eigenschaften
eines gekönten Marmors, wenn er zu einer Plastik
benuht worden isk, für unbedingk nötig hält. Da er
Darstellung des Menschen ols höchste Kunst schähk,
zeigk auch er Bindung, und zwar Bindung an den
Skoff. Er verkennk die Eröße der künstlerischen
Schöpferkraft, die jedes Ding mik kosmischem Geiste
durchfluken kann. i

Nach der künsklerischen Revolukion, wie ste sich^
beispielsweise im Expressionismus ausdrückt, sehen!
wir weiter und wissen, daß Kunst Lber allem Ma-!
teriellen steht. Materie, die künstlerisch unerlöste, ist ^
Erdenschwere. Sie ist zu allen Zeiken von aklen
Menschen verschieden gewertet worden. Diesem!
Wechfel der Beurkeilung kann in Wahrheik echte!
Kunst nichk unterworfen sein, sofern bedeukungsvolle s
Form vorliegt. Das echte Kunstwerk ist ewig wie '>
das göktliche selbst, deflen Aussirahlungen sich in der !
bedeutungsvollen Form kriskjallisieren. Gibt es >
Schwankungen in der Werkschähung, so sind andere !
Eründe maßgebend.

Eine Kunstbekrachkung im Sinne der Historiker,
die Kunst nur aus dem jeweiligen Zeikgeiste erklären,
ist zeikpsychologisch gewiß intereflank, kann aber nie-
mats Borbereikung zum Kunstverständnis im allge-
meinen sein. Das Kunstwerk braucht nichk das Lichk
der Geschichte, um ästhekische Werte zu erhalken:
das echke Kunstwerk ist absoluk, müßte jederzeit und
jedem Volke erstanden werden soweik die Urinstinkke
sich nicht verdunkeln. Es sei erinnerk an chinesische
und japanische Kunst, an die Kunst der Aegypker und
Primikiven. Kunst ist frohe Bokschafk an alle und
setzt nur Gokteskindschast voraus. Riemals ist sie
Borrecht einer exeklusiven Gesellschaft. Die Kunst
ist für alle allerdings mit der Einschränkung, daß
nichk alle für die Kunst geschaffen sind (Rohlfs).

Eine Kunstentwicklung im ganzen gibt es
nicht, höchstens inncrhalb der elnzelnen Epochen,
Wohl aber gibt es Höhen und Tiefen. Die zeitliche
Aufeinandersolge der Kunstäußerungen stellt eine
Mellenbcwcgung dar mit Wellenberg und Wellen-
tal. Daß Kunstgefühl und religiöses Gefühl mik-
einander verwandt sind, geht mit Sicherheit daraus
 
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