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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 4.1924

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Heft 4 (Juli 1924)
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Kolb, Gustav: Der Unterricht in der Bildsprache, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.22225#0089

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allen gemeinbildendcn Sä-ulen und aus allcn Slusen
nebcn dcr Worlsprache zu pslegen und zv enlwlckcln.

Aus dieser Fassung ist zu ersehen, dah sich unsere
Forderung nichl aus Zeichnen beschränkt. Wlr dllr-
sen uns auch nichk darauf beschränken, wenn wir
unsere Schlller zu einer. daS Noiwendige und
Wesenlliche umfassenden Einheit der bildhaflen Auf-
sassung und Darslcllung fllhren wollen und alle
Ausdruckskräfte wecken roollen. Der Unlerrichl ln
der Vildsprache, wie wir ihn nennen wollen (der
Degriff Zeichenunkcrricht ist für dieses Unkerrichts-
gcbilde unzutrefsend und zu eng) muß deshalb neben
Zeichnen und Malen Formen umschliestcn. Außer-
dem s ollken noch, wenn irgend möglich,
andere Gestalkungsübungen wie Papierschnikl, die
graphischen Techniken, Stempelaufdruck und dergl.
geübk werden.

Zeichnen bildet allerdings das Grundelement des
Ilnkerrichts im bildhasken Gestalken und wird es in
der Schule bleiben müssen, schon deshalb, weil es
das bequemste Gestalkungsmiitel ist, das der ge-
ringsten äußeren Miktel bedarf. Man hat sich daran
gewöhnk, den Ausdruck „Zeichnen" als Sammelbe-
griff sür das bildhaste Gestalten in der Schule über-
haupt zu gebrauchen. Anter dem Ausdruck „Zeichen-
unkerricht" versteht man dann den allgemeinen
Schulunkerricht im bildhaften Geskalten. 3n diesem
erweilerten Sinne gebrauchen wir auch dlese Äus-
drücke in den nachfolgenden Ausführungen.

Wie stark, frisch und ursprünglich der Gestaltungs-
trieb des jungen Menschen ist, dürfen wir Zeichen-
lchrer jedes 3ahr erfahren, wenn die stugend zum
erstenmal in den Zeichensaal kommt.

Dieser Durst nach Form und Farbel Man kann
ihn kaum stillen. Dieser kecke Wagemut, der vor
keiner Ausgabe zurückschreckt! Man kann ihn kaum
bändigen.

Man spürk förmlich, wie die Iungen aufatmen,
wenn ste auf eine kurze Spanne Zeit dem sprachlich-
begrifflichen Druck, der alle bildhafte Anschauungs-
und Gestaltungskraft lahmlegk, entronnen sind und
wie sie die Flügel recken zum Flug ins sonnige
Kinderland der Phankasie.

Die Worksprache ist in gewistem Sinn die Feindin
der Bildsprache, und ihre fast ausschließliche Herr-
schaft in der Schule bedeuket an sich schon eine Ber-
gewaltigung der ursprünglichen Änschauungs- und
Gestalkungskräfke. stede sprachliche Darstellung ist
ihrer Natur nach gegenüber der Welt des Sicht-
baren, für das sie keinen unmitkelbaren und ent-
sprechenden Ausdruck hat, zur Abstraktion ge-
zwungen. Was wir heutigen Kulturmenschen sehen
und dem Gedächtnis einprägen, prägen wir uns nichk
bildmäßig ein. Anser Gedächtnis ist begrifflich,
redend, vielfach sogar redselig geworden. Die Wort-
sprache modelt so ein gut Teil unseres Seelenlebens
und die Bildsprache des jungen Menschen wird (ohne
Pslege) schließlich von der Worksprache förmlich auf-
gesaugt, indem die ganze bildhafte Äusdrucksfähig-
keit des modernen Durchschnitksmenschen in das
Schreiben ausmündet. (Karl Bühler.) Das Kind
wird schon frühzeikig zu einem Schreiblesewesen, so-
fern man es erzicht, die ganze Melt in Worte und
Zusammenstcllung weniger Zeichen umzulehen sS.
Schwarz. „Eine Fülle von Worken, hinker denen das
Kind keine Erscheinungen siehk, Begriffe ohne Bor-

stcllungen, dringen iägiich aus das Kind ein. Es
wlrd bildcrarm, scine leiblichcn und geiskigen Augen
werden tot". <Ärkhur Trcbiksch.)

Möchken für das deuksche Volk die Fcskskellungen
Kerstenskeiners nicht mchr zukrcssend sein, wenn er
ausfllhrk: „Nichk 50 Prozent allcr Kinder beschäftigen
sich vor dem 10. Lebensjahr freiwillig mlt Zeichnen
(bein Sprechen wäre es ebenso, d. h. wenn man sich
mit dem Kinde nicht beschästigen würde, nichts vor-
sprechen wllrde, seinen Nachahmungskrieb nichk
wecken würde). Später nimmt die Lust ab, späker
hörk es ganz aus, weil das Organ verkümmert.
Weder die Schule noch das Leben hat die FSHigkeit,
dieses Ausdrucksmikkel zu gebrauchen, genügend enk-
wickelk entsprechcnd der wachsenden geilkigen Neife.
Es wird mehr und mehr unzulänglich, schließlich ver-
sagt es ganz. Der heuiige gebildeke Mensch hat vlel-
leicht denken. selten aber sehen gelernk".

Denn wir brauchen die ursprüngllchen Kräste deS
Anschauens und Gestaltens heuke nökiger denn je.
Es isk heute geradczu eine Lebcnssrage für unser
Bolk, daß wir sie zur höchsten Höhe entwlckeln.

Darauf müssen wir Zeichenlehrer bei der
Amgestaltung des Erziehungs- nnd Bildungswssens
mit Nachdruck hinwcisen.

Der greise Sallwürk hat sein geistvolles Buch:
„Erziehung zur Kunst" geschricben, um dem Anheil
vorzubeugen, daß man, wenn die Schule elnmal vor
die Aufgabe gestellt wird. der neuen Erziehung die
Wege zu weisen, für die Kunst keinen Naum und
keine Zeit mehr finde.

Mögen die Verantwortlichen sich bewuht werden,
daß es sich bei dem, was wir für nokwendig halten,
nicht ekwa nur um ein Fach unier anderen Fächern
handelt, das man haben kann oder nicht haben kann,
sondern, wie der schon genannte Dr. Sebaldus
Schwarz so schön und überzeugend sagk, „um eine
andere Art, die Welt aufzufasten und in sich nachzu-
schaffen, die als Ganzes parallel zum wistenschafk-
Üchen Anlerrichk skeht, diesen nach der sinnlich-prak-
tischen, nach der anschaulich-denkenden und vor
allem nach der künsklerisch-fühlenden und schaffenden
Seite ergänzend."

Freilich ist für uns Zeichenlehrer mit der Ber-
pflichtung, solche Forderungcn zu stellen, die andere
verknüpft, den Ankerricht in der Bildsprache zur
höchstmöglichen Dollkommenheit zu heben. Da gtlk
es, zu prüfen, was unserer Arbeit noch fehlen
könnte.. Nehmcn Sie meine Ausführungen als einen
bescheidenen Beikrag zu dieser Prüfung entgegen.
Es ist mir wohl bewußt, daß es Ler Änstrengung
aller küchtigen Kräste unseres Standes bedarf, das
Odeal des neuen Kunst- und Zeichenunterrichts, das
uns heute erst in großcn Amrissen vorschwebt, zu
verwirklichen. — Zunächst gilt es, Wesen, stnhalt,
dann Ziel und Wege der Bildsprache klarzustellen.

D!e Bildsprache enthälk e!n Zweifaches, das wir
der Klarheit wegen auscinandcrhalken müssen. Sie ist
Berskändigungsmittel und sie ist Ausdrucksmitkel.

Sie istBerstSndigungsmittelfür alles das,
was sich m!t der Worksprachc nicht so deutllch, Lber-
zeugend und schnell klarstellcnZSHt. Es beruht auf
bewußkem, erkenntnismäßigem Sehen, auf anschau-
lichem Denken. Die logische Bcrständlichkeit dessen,
was gesehen und gedacht wurde. ist beim Darstellen
d!e Haupksache. Zeichncn als Berständigungsmittel
 
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