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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 4.1924

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Heft 1 (Januar 1924)
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Thiele, Wilhelm: Was ist Kunstgewerbe?
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https://doi.org/10.11588/diglit.22225#0017

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auch rn>! besondcrcr Begabung bcgnodelcn, also roerl-
vollcn Mcnschenlrlndcr, dle so ahnungslos in ihr
Schicksal hincinzugehen bcreil sind »nd leider, wle die
Ersahrung bcweisi, so häusig darln zu Grundc gchcn,
Eine Auskiärung isl also besonders wlchlig, und dazu
möchle ich bcilragcn, soweil meine Kenninisse über
diese vielgeslallige Malerie reichen, und möchke zur
Miiarbeil an dieser Auslrlärung aufsordern, Zunachsi
zu der Frage der besonderen Begabung, wic sie sich
im Schulzeichcnunkerrichi erwiesen hat. (Siche oben
Frage 2.) Da ist zunächst vor llberschäizung zu warnen.
Iedes normale Kind zeichnsi, „mali" gern und für sein
Alter gut, bevor es zur Schule kommk. Ans älterer
Generalion hai man in der einsiigcn schulmeisterlichen
Zucht dieses guie Zeichnen, das uns Frcudc machke,
aberzogcn durch das „mcihodische" Zeichncn. And wcr
sich gegen diese Dressur, meist aus richkigem, gesunden
Instinki heraus, sträubtc, der schied bald als ünbcgabt
aus und wurde von dem (an sich von der übrigen
Schule Lber die Achsel angesehenen) Zeichenunkerrichk
befreit.

Darin ist neuerdings ein Waudel eingetreten. Im
jehigen Zeichenunterrichk weht frische Luft, man baut
aus dem Spielkrieb, den die Kinder in dic Schuic mik-
bringen, auf, und der Erfolg isi der, dah bei den guten
Zeichenlehrern, die jetzt schon vielfach täkig sind, der
normale Durchschniktsschüler Zeichnungen von einer
natürlichen Frische schaffk, die uns ältere fast wie
kleine Kunstwerke anmuten. Es wäre salsch, hieraus
auf eine besondere Begabung zu schließen, die
durch die Mahl des Lebensberufes besonders gepflegk
werden mühte. Vor dieser Äberschätzung eines natür-
lichen Ergebnisses günstlger Wachskumsbedingungen
ist dringcnd zu warnen, das wäre der Anfang eines
Künstlcrdünkels, der viele Exisienzen vernichiet hat.

Zur drikken Frage: Was ist „Kunstgewerbe"? Obige
Antworten gcben uns ein Durcheinander zeichnerischer
TStigkelt für ganz verschiedene Berufe, die wir der
Reihe nach durchsprechen müssen.

llnter stnnen-Dekoration sind die Enkwürfe
für Möbel und für die Ausstattung ganzer Räume
gedachk. Es gibi Künstler, die einen so starken kon-
struktiven Sinn und ein so feines Eefühl für das
Wesen des Holzes haben, daß sie, ohne an der Hobel-
bank gelernt zu haben, das Holz so richkig bebandeln,
dah sie in ihrer Vorstellung und in den Zeichnungen,
die diese Vorsteliung auf dem Papier fesilegen, die
einzelnen Holzstücke, aus denen jedcs Möbel kon-
sirukkiv bcskeht, jedes so richtig, so holzgemäß bilden
und allc zu einem schönen Ganzen zusammenfügen,
daß ein reifes Werk entsteht; abcr das sind Aus-
nahmen. Normalerweise kann nur der ein Möbel
richtig enkwcrfen, der durch die Arbeik an der Hobel-
bank das Wcsen, die Struktur des Holzes sich zu
eigen gemachk hak, der gelernt hak, alle Einzelteile
richtig zu bilden, und aus diesen das Ganze zusammen-
zufügen, also der gelernke Tischler. Dicser Teil des
„Kunskgewerbes" bedcutek also das Tischlcrhandwerk.
Die Vaumaussialkung ganzer Räunre ist nun ent-
weder die geschickie Zusammcnstellung von Einzel-
möbeln mik Zubchör, die im Sti! und im Mahsiab
zucinander passcn, oder es ist in höhercm Sinnc die
Täiigkcit dcs Architckten, dcr den Luftraum model-
lierk und um ihn herum und in ihn hinein Fußböden,
Decken, Wände und Möbcl usw. geskaltet. Das aber

gchör! nich! zum Kuustgewcrbe; Lnzu isi das langc
schwcre Lernen des Archilckicn notwcndig.

Dann dle zwcidimensionalen Künsle: Zunächsi dcr
B u ch s ch m u ck. Bücher herzuslellen isl jehl unerhör!
ieuer. Wenn einma! ein Verleger die Kosien sür
illustrativen Schmuck eines Buchcs wagi, dann suchk
er nichk einen jungcn Kunstgewerbler oder cine Kunst-
gewerblerin, die „Zierleisken" oder „Vignetken" zeich-
nek, sondcrn wendet sich an einen ancrkannten Künst-
lcr, dcn Träger eines grohen Namens, der das Visiko
lohnt. „Buchschmuckkünstler" brauä-en wir nichi aus-
zubilden. Ähnlich ist es mil Tapete n, nur dah hier
dazu kommk, dah die Technik des maschinellen
Tapctendruckes den Eukwerfenden in der Frcihcii des
Entwurfs eineugt, so dah die Fabrikanken in> allgc-
meincn die in ihrem Bcruf aufgcwachsenen, dlesc
Tcchnik bcherrschcnden Zeichner bcschäskigen und die
Echwierigkeiken des Zusammenarbcikcns mit eincm
auherhalb dcr Branche stehenden Künsiler nur dann
Lbernehmcn, wenn auch hicr der anerkannte Vus
eines Künsilers die Mehrkosten lohnt. Das gili im
verstärkten Mahe von den Entwürsen für alle Tex -
tilien. Hier ergaben sich gerade die bestcn Enk-
würfe aus den „Bindungen" der verschiedenen Tech-
niken. Die Fabrikanien können hier mik den Phan-
tasieprodukten, die auf dem Papier, „aus dcr Ticfe
des Gemütes heraus" entstanden sind, nichks anfangen.

Anders isk es mit dem nächsken Gebiek der Pla-
kate und der Stickereien. Plakate sind technisch
ungebunden. Die Technik kann ungefähr alles, was
gezeichnet und gemalt wird, reproduzieren. Darum ist
da auch das Angebot derartig groß, daß nach meiner
Kenntnis der Wirtschafkslage die Aussichten sehr
schlccht sind. Es gibt einige große, geschäftlich stark
organisierte llntcrnchmerfirmen, dic ein Heer kleiner
Zeichner und Zeichnerinnen beschäskigen, die infolge
des großen Angebokes relativ schlecht bezahlt sind
(schlechter auf jeden Fall, als z. B. die kaufmännischen
Angestellten, Skenokypiskinnen usw.). Die Aussichten,
auhcrhalb dieser llnternehmerfirmen zu einer sicheren
Exisienz als Plakatkünstler zu kommen, sind gering.
Don S t i ck e r e i - Entwürfen kann kein Mensch
leben. Eniwürfe werden nur wenige gebraucht, und
wenn einmal nach langen Bemühungen einige Ent-
würfe verkauft sind, so sind meist schon die llnkosten
und der Zeitverlust für die Laufereien größer, als die
geringe Entlohnung für dlese paar Arbeiten. Hoch im
Preise sind guke fertige Stickereien; aber wenn man,
wie es doch kaufmännisch richkig ist, von den Kosten
z. B. eines Sosakissens die Selbstkosten der Mate-
rialien abziehk und dann dcn Restbetrag durch die
Zahl der Arbeltsstunden für den Enkwurf und für das
Kissen dividierk, kommt meist ein erschreckend geringer
Siundenlohn heraus, wobei an allgemeinen Spesen
oder Gewinn Lberhaupt nicht gedacht wird. Eine
Stenokypistin, sogar eine Hausangestellke wird meist
bcsser bezahlt. Daß einmal mit vorübergehenden
Modeartikeln z. B. jetzt mik den dummen Teepuppen
sür Kriegsgewinnler einzelne besouders geschäfks-
gewandke Damen viel Geld verdienen können, sei zu-
gestanden, aber auf solche Zufallserscheinungen baut
man keinen Lcbensberuf auf.

Wandmalereien und Schmuck könncn
gemeinsam besprochen wcrdcn. Es isk selbsivcrständlich,
daß der Malcr lernt, Wandmalcreien, und dah dcr
 
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